Benjamin Netanyahu spricht während des Wahlkampfs auf einem Markt

Israel wählt Kommt "Bibi" zurück?

Stand: 01.11.2022 03:15 Uhr

Wieder wählen die Israelis ein neues Parlament, und wie schon in den vergangenen Jahren zeichnet sich ein knapper Ausgang ab. Vor allem eine Frage dominierte den Wahlkampf: Schafft Netanyahu ein Comeback?

Israel kommt nicht aus der innenpolitischen Dauerkrise. Nachdem die Regierung im Frühsommer ihre Parlamentsmehrheit verlor, muss nun zum fünften Mal in weniger als vier Jahren gewählt werden. Zwei Parteienblöcke stehen sich gegenüber: das aktuelle Regierungsbündnis von Kräften aus nahezu allen politischen Lagern um den liberalen Premier Jair Lapid und Verteidigungsminister Benny Gantz sowie die Opposition aus rechten und streng religiösen Gruppierungen, angeführt von der nationalkonservativen Likud-Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Benjamin Netanyahu.

Hinter ihnen liegt ein erneut stark polarisierter Wahlkampf. Wichtiges Thema für die Israelis sind zwar die extrem hohen Lebenshaltungskosten - sie sind Umfragen zufolge aber nicht ausschlaggebend für die Wahlentscheidung. Die Position der Parteien im Konflikt mit den Palästinensern spielt keine große Rolle. Man steht politisch entweder links oder rechts, ist entweder für Netanyahu oder gegen ihn.

Der ehemalige Langzeitpremier, der sich weiter einem gegen ihn laufenden Korruptionsprozess stellen muss, hofft auf eine Rückkehr an die Macht. Der 73-Jährige - Spitzname "Bibi" und für seine Anhänger nur "König Bibi" - griff die aktuelle Regierung im Wahlkampf scharf an. Sie habe "all die wunderbaren Dinge, die wir hervor gebracht haben", zerstört.

Er warf Premier Lapid vor, keine Ahnung von der Bekämpfung der auch in Israel grassierenden Inflation zu haben. Außerdem gefährde Lapid die Sicherheit Israels durch den Abschluss eines Abkommens mit dem Libanon, dass die Förderung von Erdgasvorkommen vor den Küsten beider Länder regelt. Netanyahus Botschaft: Nur er könne Sicherheit und Wohlstand garantieren.

Rechtsextremisten im Aufwind

Bei dem Versuch, zurück an die Macht zu kommen, setzt er auf einen umstrittenen Partner. Netanyahu will mit der Unterstützung des rechtsextremen Politikers Itamar Ben Gvir regieren. Dieser soll in einem Kabinett Netanjahu Minister werden.

Ben Gvir fiel immer wieder durch rassistische Äußerungen und antiarabische Hetze auf. Er ist mehrfach vorbestraft - unter anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Politisch ist er im Aufwind. Das Wahlbündnis "Religiöser Zionismus", zu dem auch Ben Gvirs rechtsextreme Partei "Jüdische Macht" gehört, könnte Umfragen zufolge dritt- oder viertstärkste Kraft werden.

Netanyahu setzt außerdem erneut auch auf die zwei streng religiösen jüdischen Parteien als Partner. Kritiker befürchten, dass er sich als Regierungschef durch entsprechende Gesetzgebung vor Strafverfolgung schützen, Einfluss auf die Besetzung von Richterposten nehmen und generell versuchen könnte, die Rolle der Justiz in Israel zu schwächen.

Lapid will Gesellschaft einen

Lapid sprach im Wahlkampf immer wieder die Spaltung der israelischen Gesellschaft in rechts und links, säkular und streng religiös an und das Misstrauen zwischen jüdischen und arabischen Israelis. Er wolle Premierminister aller Einwohner sein, die Spaltung bekämpfen und die Gesellschaft einen, versprach Lapid.

Der 58-Jährige ist erst seit Juli Regierungschef. Zuvor war er Außenminister. Lange sahen viele Israelis in dem ehemaligen Fernsehmoderator Lapid ein politisches Leichtgewicht. Mittlerweile hat er an Profil gewonnen.

Im Konflikt mit den Palästinensern ist Lapid für eine Zwei-Staaten-Lösung. Außenpolitisch steht er für eine weniger konfrontative Linie als Netanyahu. Bei Lapid sei "Israel in guten Händen", lobte Bundeskanzler Olaf Scholz, als der israelische Premier im September Berlin besuchte.

Lapids Chancen auf eigene Mehrheit gering

Seine liberale Zukunftspartei legte zuletzt in Umfragen deutlich zu und wird voraussichtlich zweitstärkste Kraft. Lapids Aussichten auf eine eigene Mehrheit mit seinen bisherigen Koalitionspartnern sind dennoch sehr gering.

Für die traditionsreiche Arbeitspartei, die Israel nach der Staatsgründung Jahrzehnte regierte, könnte die 3,25-Prozent-Hürde für den Parlamentseinzug ebenso zum Problem werden wie für die linke Meretz-Partei.

Große Unbekannte bei den Wahlen ist das Abstimmungsverhalten der arabischen Minderheit, die knapp 20 Prozent der Wahlberechtigten ausmacht. Ihre Parteien könnten eine Minderheitsregierung von Lapid unterstützen oder sich zum Teil sogar direkt an einer von ihm geführten Koalition beteiligen.

Dass alle arabischen Parteien den Einzug in die Knesset schaffen, ist aber nicht sicher. Falls die Wahlbeteiligung der arabischen Israelis niedrig ausfällt, wird davon voraussichtlich vor allem das Netanyahu-Lager profitieren.

Erneutes Patt wahrscheinlich

Umfragen zufolge wird der Likud sehr sicher stärkste Kraft, aber Netanyahu und seine politischen Partner kommen ebenso wenig auf eine Mehrheit der 120 Sitze in Israels Parlament, der Knesset, wie der Block um Lapids Partei.

Nach der Wahl vergibt Staatspräsident Jitzchak Herzog den Auftrag zur Regierungsbildung an den Spitzenkandidaten mit der meisten Unterstützung und den besten Erfolgsaussichten. Gelingt keine Koalitionsbildung, kommt es zu Neuwahlen. Bis dahin bleibt die aktuelle Regierung im Amt.