Eine Person steht vor dem Bezirksgericht in Wan Chai vor der Anhörung zur Verurteilung von zwei ehemaligen Stand News-Redakteuren, die wegen Aufwiegelung verurteilt wurden.
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Hongkong Das leise Verschwinden der Freiheit

Stand: 29.09.2024 10:49 Uhr

Hunderttausende waren 2019 bei pro-demokratischen Protesten in Hongkong auf die Straßen gegangen. Fünf Jahre später ist von dem Bestreben nach mehr Demokratie in der Öffentlichkeit wenig übrig geblieben.

Er trug ein T-Shirt mit dem Protest-Slogan "Befreit Hongkong, Revolution unserer Zeit", deswegen wurde er vergangene Woche verurteilt. Ein Jahr und zwei Monate muss der 27-jährige Hongkonger ins Gefängnis wegen angeblicher Volksverhetzung. Ein "Sicherheitsgesetz", in der Mini-Verfassung Hongkongs seit März verankert, erlaubt den Behörden, politisch Andersdenkende nahezu mundtot zu machen.

Aus Sicht der Regierung in Hongkong geht es um die nationale Sicherheit, das betont auch Regierungschef John Lee immer wieder: Die Bedrohung der nationalen Sicherheit sei real.

Bei den Protesten vor fünf Jahren, die sich erst gegen ein Auslieferungsgesetz an China richteten und dann mehr und mehr gegen den generellen Einfluss, gingen an manchen Tagen zwei Millionen Menschen auf die Straße.

Unter dem Joch der "Sicherheitsgesetze"

Dabei kam es auch zu Gewalt - seitens der Polizei und auch der Demonstranten. Es wurden Tausende friedlich protestierende Menschen festgenommen. Die kommunistische Zentralregierung Chinas hat schon nach den Protesten 2020 ein "Staatssicherheitsgesetz" für Hongkong eingesetzt, welches fast alles kriminalisieren kann, was sich gegen die Regierung richtet.

In diesem Jahr folgte dann das verschärfte, eigene Gesetz. Mehr als 300 Menschen sind aufgrund der "Staatssicherheitsgesetze" im Gefängnis, etliche verurteilt - darunter Demokratieaktivisten, Journalisten, Vertreter der Zivilgesellschaft.

Fünf Jahre nach den Demonstrationen ist wenig übrig geblieben von dem, was Hongkong bei der Übergabe von Großbritannien an China vor 27 Jahren versprochen wurde: weitgehende Autonomie und Freiheitsrechte.

Oppositionelle im Gefängnis

Wie wenige Freiheitsräume es noch gibt, zeigt das Leben von Po Ying. Mitten im geschäftigen Treiben einer großen Straßenkreuzung im Zentrum der Stadt steht die 68-jährige Vorsitzende der ehemaligen Parlamentspartei "Liga der Sozialdemokraten". Die Partei ist aus dem Parlament ausgeschlossen - durch ein geändertes Wahlrecht können nur noch Peking-treue Kandidaten antreten.

Viele oppositionelle Politiker, darunter auch Po Yings Parteifreunde, sind im Gefängnis. Sie hält ein Mikrofon in der einen, die Parteizeitung in der anderen Hand. Vier weitere Mitglieder ihrer Partei verteilen die Zeitung, sie trägt die Aufschrift "Kang Ming" - "Nicht gehorchen".

Ob es verboten sei, darauf aufmerksam zu machen, dass die Regierung ihre Stimmen nicht erhört, fragt sie. "Nennt sich das Unruhestiftung? Ich muss diese Fragen stellen." Doch es ist, als ob ihre Stimme im Nichts verhallt. Niemand traut sich so recht stehenzubleiben - zu gefährlich. Nur die Polizei dokumentiert alles, was die fünf Sozialdemokraten machen. 

Meinungsäußerung für den "Seelenfrieden"

Po Ying, deren Mann wegen friedlicher, prodemokratischer Aktivität auch im Gefängnis sitzt, meint dazu: "Die Leute sagen mit leiser Stimme 'Weiter so', sie können ihre Unterstützung nur versteckt zeigen." 

Für Po Ying und ihre Mitstreiter ist es nahezu unmöglich, politisch aktiv zu sein: Der Partei wurden die Bankkonten geschlossen, niemand möchte ihnen Räume vermieten. Auf die Straße geht Po Ying weiterhin, um ihre Meinung zu äußern, zu ihren prodemokratischen Werten zu stehen. Sie tue es für sich: "Es gibt mir Seelenfrieden."

Viele würden auswandern, wenn sie könnten

Überall in der Stadt hängen Plakate zum 75. Jubiläum der Volksrepublik China. Etwa 400 Veranstaltungen soll es am 1. Oktober, dem chinesischen Nationalfeiertag, geben. Das, was sich in den vergangenen Jahren bereits abgezeichnet hat, wird jetzt besonders deutlich: Der Einfluss der chinesischen Zentralregierung nimmt zu. 

Seit 2019 sind nach Schätzungen eine halbe Million Hongkonger ausgewandert. Eine Umfrage der Chinesischen Universität Hongkong aus dem vergangenen Jahr ergab, dass 38 Prozent der Befragten auswandern würden, wenn sie könnten. Als wichtige Gründe hierfür wurden unter anderem der Zerfall von Freiheit und Menschenrechten sowie ein undemokratisches System genannt. 

"Staatsbürgerschaft" als neues Schulfach

Die einen gehen, die anderen kommen. Es gibt ein von der Hongkonger Regierung auferlegtes Programm, das "Toptalente" nach Hongkong locken soll. Allein in diesem Jahr sind damit 70.000 Menschen in die Stadt gezogen. 95 Prozent davon sind Festlandchinesen. Für sie und für alle, die aus China einreisen, ist Hongkong auch immer noch die weltoffenere, buntere und internationalere Region.

Doch in Hongkong selbst und im Ausland nehmen viele Beobachter das anders wahr: Die Sonderverwaltungsregion Hongkong gleiche zunehmend einer Stadt in Festlandchina. Das ist zum Beispiel an den Schulen zu sehen - wie jener im Stadtteil Tseung Kwan O.

Vier Schüler und Schülerinnen der 11. Klasse marschieren im Gleichschritt in Uniform durch den Mittelgang der Schulaula. Beim Ertönen der chinesischen Nationalhymne wird die Flagge gehisst. Gehorsam soll geübt werden. Ein Schulfach, das 2009 extra eingeführt wurde, um den Schülerinnen und Schülern dialektisches, kritisches Denken, argumentatives Hinterfragen beizubringen, ist vor zwei Jahren abgeschafft worden.

Jetzt wird "Staatsbürgerschaft" unterrichtet. Der Schulleiter Lo Wai Shing meint: "Hongkong war so lange eine Kolonie Großbritanniens, es braucht Zeit für die Schüler. Aber ich vertraue ihnen." So beobachte er, dass die Schülerinnen und Schüler eine zunehmend positive Einstellung zu Festlandchina haben. 

Optimismus trotz Repressionen

Für die Demokratieaktivistin Po Ying gibt es nichts Positives an der Entwicklung zu entdecken. Ihren Mann muss sie im Gefängnis besuchen. Ihm droht im schlimmsten Fall eine lebenslange Haftstrafe, weil er politisch aktiv war.

Trotz allem findet Po Ying immer wieder optimistische Worte: "Ich glaube, dass die Mehrheit der Hongkonger immer noch für Demokratie und das allgemeine Wahlrecht ist." Daran habe sich nichts geändert. "Obwohl sie jetzt schweigen, einige sogar Hongkong verlassen haben, ist die Einstellung immer noch da."

Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Weltspiegel - am Sonntag um 18.30 Uhr im Ersten.

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