Israelische Soldaten suchen während eines Raketenangriffs aus dem Gazastreifen Schutz in einem Park in der israelischen Grenzstadt Sderot

Nach Hamas-Attacke Angriffe in Israel, Gegenangriffe im Gazastreifen

Stand: 09.10.2023 14:56 Uhr

Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben weitgehend Kontrolle über die von Hamas-Terroristen angegriffenen Städte zurückerlangt. In Jerusalem und Tel Aviv wurde unterdessen Luftalarm ausgelöst. Die Zahl der Toten steigt weiter.

Zwei Tage nach dem Beginn des Hamas-Großangriffs auf Israel ist in Jerusalem Luftalarm wegen Raketenangriffen ausgelöst worden, in dessen Folge mehrere Explosionen zu hören waren. Auch in Tel Aviv ertönten die Sirenen.

Zuvor hatte die israelische Armee verkündet, sie habe die Kontrolle in den von der Hamas angegriffenen Orten in Südisrael zurückerlangt. Allerdings könnten sich noch Terroristen in der Region aufhalten, sagte Armeesprecher Daniel Hagari.

Militär sichert Grenzzaun

Am Morgen hatte die israelische Armee zunächst mitgeteilt, es gebe noch "zwischen sieben und acht" offene Kampfschauplätze im Grenzgebiet zum Gazastreifen, an denen weiterhin gekämpft werde. Er könne nicht ausschließen, dass weitere militante Kämpfer in israelisches Gebiet eindringen, hatte er gesagt.

Das Militär versucht derzeit den Grenzzaun zu sichern, der an mehreren Stellen durchbrochen wurde, berichtet ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann aus Tel Aviv. Man gehe davon aus, dass in den vergangenen Tagen 800 bis 1.000 militante Palästinenser durch den Grenzzaun durchgedrungen seien, berichtet von der Tann.

Kämpfe im Schwimmbad in grenznaher Stadt Sderot

Medienberichten zufolge gab es in der israelischen Stadt Sderot in einem Schwimmbad heftige Schusswechsel mit mehreren israelischen Verletzten. Das israelische Militär teilte mit, die Fallschirmjägerbrigade habe sich in einem "hartnäckigen Kampf" befunden, bei dem Soldaten Sderot durchsucht hätten, "um die Stadt von Terroristen zu befreien". Sderot liegt etwa einen Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Die Bewohner der Stadt wurden aufgefordert in ihren Wohnungen zu bleiben und niemanden hereinzulassen.

300.000 Reservisten mobilisiert

Als Reaktion auf die Angriffe der Hamas mobilisiert die israelische Armee rund 300.000 Reservisten. Dies sei die größte Mobilisierung in der israelischen Geschichte in so kurzer Zeit, bestätigte ein Armeesprecher.

In der Nacht hatte ein Sprecher der israelischen Streitkräfte erklärt, Ziel sei, dass die Hamas am Ende des Krieges militärisch nicht mehr in der Lage sein werde, Israelis zu bedrohen. Zugleich werde man dafür sorgen, dass die Hamas den Gazastreifen nicht mehr regieren könne.

Luftangriffe auf Gazastreifen - viele zivile Opfer

Unterdessen bombardiert Israel weiterhin Stellungen der Hamas im Gazastreifen. Nach Angaben des israelischen Militärs wurden in Folge der Offensive bisher mehr als 1.000 Ziele im Gazastreifen getroffen, darunter auch Wohnhäuser von Hamas-Terroristen. Zugleich seien mehrere Kommandozentralen der Hamas attackiert worden, teilten Israels Verteidigungskräfte (IDF) mit. Die IDF habe ferner eine operative Einrichtung der Hamas ins Visier genommen, die sich in einer Moschee in der Stadt Dschabalia befunden habe, hieß es.

Auch das Flüchtlingslager Dschabalia wurde palästinensischen Angaben zufolge bei den Luftangriffen getroffen. Das Gesundheitsministeriums in Gaza teilte mit, dass dabei viele Palästinenser getötet und verwundet worden seien.

Nach Einschätzung von ARD-Korrespondentin von der Tann kommen aufgrund der dichten Besiedlung im Gazastreifen immer mehr Zivilisten ums Leben. Das palästinensische Gesundheitsministerium teilte mit, bei den israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen seien mindestens 560 Menschen getötet worden. Mindestens 78 Kinder und 41 Frauen seien ums Leben gekommen. Etwa 2.900 Menschen seien verletzt worden.

Abriegelung des Gazastreifen

Zudem soll das dicht besiedelte Palästinensergebiet bis auf weiteres vollständig abgeriegelt werden. Verteidigungsminister Joav Galant sagte, er habe eine entsprechende Anweisung gegeben. "Es wird keinen Strom, keine Lebensmittel und keinen Treibstoff geben", so Galant. Man habe es mit Barbaren zu tun und werde dementsprechend handeln. Das israelische Sicherheitskabinett hatte in der Nacht zum Sonntag bereits einen grundsätzlichen Stopp der Einfuhr von Strom, Brennstoff und Waren in den Gazastreifen beschlossen.

Mehr als 130.000 Vertriebene im Gazastreifen

Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden bislang mehr als 123.000 Menschen im Gazastreifen vertrieben. Insgesamt 123.538 der 2,3 Millionen Einwohner des Gazastreifens hätten ihre Häuser "aus Angst, aus Sorge um ihren Schutz und wegen der Zerstörung ihrer Häuser" verlassen, erklärte das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA). Mehr als 73.000 Flüchtlinge seien in Schulen untergebracht.

Laut einem Sprecher des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNWRA) ist mit einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen zu rechnen. In den Schulen, von denen einige zu Notunterkünften erklärt worden seien, gebe es Strom. Die UN-Mitarbeiter versorgten die dort untergekommenen Menschen außerdem "mit einer Mahlzeit, sauberem Wasser, psychologischer Unterstützung und medizinischer Behandlung", sagte er der Nachrichtenagentur AFP.

Mehr als 700 tote Israelis

Auf israelischer Seite kamen bisher nach Militärangaben etwa 700 Menschen ums Leben. Darunter vor allem Zivilisten und mehr als 40 Soldaten. Allein bei einem Musikfestival in der Negev-Wüste starben bei einem Angriff von Hamas-Terroristen mindestens 260 Menschen.

Insgesamt erlitten mehr als 2.100 weitere Menschen Verletzungen, so das israelische Militär. Viele befänden sich in einem kritischen Zustand, weswegen die Zahl der Todesopfer weiter steigen könnte.

Laut der israelischen Regierung verschleppte die Hamas seit Beginn der Angriffe zudem mindestens 100 Menschen aus Israel in den Gazastreifen, unter ihnen Frauen, Kinder und ältere Menschen. Unter den Geiseln sind nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt auch deutsche Staatsbürger. Die Geiseln sollen der Hamas zufolge freigelassen werden, wenn im Gegenzug Tausende von Israel inhaftierte Palästinenser frei kommen.

Hamas-Sprecher: "offener Kampf zur Verteidigung unseres Volkes"

Zudem wolle die Hamas alle israelischen Provokationen im Westjordanland und in Jerusalem, insbesondere an der Al-Aksa-Moschee, beenden, sagte Abdel-Latif al-Kanua telefonisch zur Nachrichtenagentur AP.

Hamas-Mitglieder kämpften weiter gegen das israelische Militär und hätten am Morgen weitere Israelis gefangen genommen. "Wir befinden uns in einem offenen Kampf zur Verteidigung unseres Volkes und der Al-Aksa-Moschee", sagte er. "Dieser Kampf ist verbunden mit der Befreiung aller palästinensischen Gefangenen und der Beendigung der Aktivitäten dieser faschistischen Regierung in Jerusalem."

Evakuierung von Bürgern, Warnungen vor Reisen in Region

Immer mehr Länder holen unterdessen ihre Staatsbürger aus Israel. Rumänien flog 245 seiner Bürger aus Tel Aviv aus. Dazu gehören auch zwei Pilger-Gruppen. Das teilte das rumänische Außenministerium mit.

Polen flog fast 300 Staatsbürger in drei Militärflugzeugen aus, die am Morgen in Warschau landeten. "Die ersten aus Israel evakuierten Menschen befinden sich bereits in Polen", teilte der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak im Onlinedienst X mit. Zudem sei eine Boeing-Maschine der Streitkräfte auf dem Weg nach Israel, "um weitere Menschen zu evakuieren", fügte Blaszczak hinzu.

Fluglinien wie die Lufthansa, United Airlines und Air France haben vorübergehend alle Flüge von und nach Israel ausgesetzt. Zudem haben mehrere Länder ihre Reisewarnungen für Israel und die Palästinensergebiete verschärft.

Schwerster Angriff seit 50 Jahren

Der Überfall der Hamas war der schwerste Angriff auf Israel seit dem Jom-Kippur-Krieg vor genau 50 Jahren. Die im Gazastreifen herrschende islamisitische Terrororganisation hatte ihren Großangriff am Samstagmorgen überraschend gestartet. Sie schoss tausende Raketen auf Israel ab und drang nach Angaben der israelischen Armee mit schätzungsweise tausend Kämpfern in israelisches Staatsgebiet ein. Die USA versprachen uneingeschränkte Unterstützung und umfassende militärische Hilfe.

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