Mahmoud al Faseeh mit seiner Familie in einem Zelt in al Mawasi.

Zeltstadt im Gazastreifen "Jeden Tag in Gefahr, zu sterben"

Stand: 03.01.2025 12:50 Uhr

In der Dünenlandschaft von al Mawasi haben Zehntausende Zwangsvertriebene aus Gaza Notquartiere errichtet. Die Bedingungen in den Zelten sind hart. Einige Säuglinge sterben, da sie nicht ausreichend versorgt werden können.

Mahmoud und Nariman al Faseeh sitzen mit ihren beiden kleinen Kindern auf einer Schaumstoffmatte in einem Zelt, als ein lokaler Mitarbeiter der ARD sie besucht. Ausländischen Journalisten untersagt die israelische Armee derzeit den freien Zugang in den Gazastreifen.

Der Sandboden in ihrer provisorischen Unterkunft ist mit blauer Plastikfolie überzogen, die Kleidung über das Zeltfenster zum Trocknen gelegt. Ihr vierjähriger Sohn Rayan und die dreijährige Tochter Nihad kamen in Gaza-Stadt auf die Welt. Dort lebte die Familie damals in der Wohnung des Taxifahrers.

Das dritte Kind - Sila, ein Mädchen - mussten sie nach ihrer Geburt am 3. Dezember in ein Zelt nur wenige Hundert Meter von Meer entfernt bringen. Sie wurde keine vier Wochen alt. Die Nacht, in der seine Tochter starb, "war eine sehr kalte Nacht", sagt der 31-jährige Vater. Selbst "wir Erwachsenen konnten die Kälte nicht ertragen, weil es sehr, sehr kalt war." Er habe seine Tochter am Morgen des 25. Dezember zwischen drei und sieben Uhr verloren. "Als ich sie sah, fand ich sie erfroren und blau, und sie hatte Blut an Mund und Nase."  

Das Zelt hat die junge Familie in der Dünenlandschaft von al Mawasi aufschlagen müssen, westlich von Chan Yunis, dort, wo Zehntausende von Zwangsvertriebenen ihre Notquartiere errichtet haben, in der sogenannten "Schutzzone." Das Meer ist nur wenige Hundert Meter von der improvisierten Zeltstadt entfernt.

Mahmoud al Faseeh steht vor seinem Zelt in al Mawasi.

Mahmoud al Faseeh steht vor seinem Zelt in al Mawasi.

Temperaturen unter zehn Grad

Die Temperaturen in der Nacht sinken derzeit auf unter zehn Grad. Mit Nylon, einem wärmenden Material, habe er sein Zelt nicht ausschlagen können. Im Krankenhaus in Chan Yunis gab es nicht mehr die übliche Erstausstattung für Neugeborene und ihre Mütter, die sie noch ihre Kinder Rayan und Nihad damals erhalten hatten: Milch, Kleidung, Pampers.  

Er habe bis jetzt das Gefühl, "dass ich meiner Tochter Unrecht getan habe und dass ich sie in dieses Leben gebracht habe und dass ich sie nicht mit dem Lebensnotwendigen versorgen kann." Sila habe keine natürliche Milch von ihrer Mutter trinken können, habe keine Milch mehr angenommen, habe Milchnahrung gebraucht, die er habe ausfindig machen müssen.

Er habe seiner Jüngsten nichts von dem bieten können, was seine Frau und er den beiden Erstgeborenen noch hätten geben können: Schutz, Wärme, Geborgenheit. "Wie Sie sehen können, ist mein Zelt aus Stoff, und nachts, wenn es sehr kalt wird, ist das Zelt wie eine Gefriertruhe", sagt Mahmoud. Sein Zelt sei für nichts geeignet. Als seine Frau Nariman noch mit Sila schwanger gewesen sei, habe sie gelitten und Nahrung gebraucht. "Aber ich konnte sie nicht versorgen, da wir nicht in unserem Haus wohnten."

Säuglingsstation des Nasser Hospitals in Chan Yunis.

Säuglingsstation des Nasser Hospitals in Chan Yunis.

Mehr Frühgeborene als sonst

Auf der Neugeborenen-Station des Nasser Krankenhauses in Chan Yunis ist derzeit Platz für die medizinische Versorgung von 30 Babys, auch für Frühgeborene, die in den wenigen Brutkästen liegen. Auf der Pflege- und Intensivstation für die Neugeborenen läge jetzt ganz besonders das Augenmerk des medizinischen Personals. Der Grund: "Wegen der extremen Kälte und auch wegen der Zunahme der Zahl der vorzeitig geborenen Kinder, die als Frühgeburten bezeichnet werden." Die Anzahl der Frühgeborenen sei in diesem Krieg höher als sonst, sagt Dr. Ahmed al Farra.

Der 52-jährige Chef der Kinderabteilung hat nach eigenen Worten bislang drei erfrorene Säuglinge untersucht, auch den Leichnam der kleinen Sila, der Tochter des Ehepaares al Faseeh. Der Kinderarzt rät davon ab, mit einem Kind in ein Zelt zu gehen. Er hoffe, dass dieser Krieg aufhöre und die Vertriebenen in ihre Häuser zurückkehren und die Grenzübergänge geöffnet werden könnten. Doch dabei, das wisse er, "handelt sich um Wünsche und Sehnsüchte, die zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer zu verwirklichen sind und nicht zur Verfügung stehen."

Babys dürfen Körpertemperatur nicht verlieren

Längst geben er und seine Ärztekollegen Eltern Tipps und Ratschläge, die in keiner Mediziner-Ausbildung gelernt werden: Die Zeltecken müssten fest innerhalb des Zeltes fixieren, damit es halbwegs gesichert sei. Die Säuglinge müssten mit einer Vielzahl von Kleidungsstücken abgedeckt werden, so al Farra. Denn: Die Babys dürften ihre Körpertemperatur um keinen Preis verlieren: "Wenn die Möglichkeit besteht“, wäre es "eine kleine Holzkiste" gut, in die die Eltern den Säugling nach dem Füttern legen sollten.

Wenn keine Holzkiste zur Verfügung stehe oder nicht vorhanden sei, "kann man das Kind nach dem Füttern in eine Pappschachtel legen, die in alle Richtungen eine Öffnung zum Atmen hat, so dass sie einen kleinen Raum für das Kind bildet und es seine Wärme nicht verliert," erklärt der Arzt.

"Wieder so leben wie vor dem Krieg"

Die Tochter hat das neue Jahr nicht mehr erlebt. Was Mahmoud sich für 2025 wünscht? Der Vater antwortet: "Mein Wunsch ist es, in Frieden und Sicherheit zu leben, dass meine Kinder in Würde leben können, dass dieser Krieg zu Ende geht, dass es meiner Seele (wieder) gut geht, dass wir wieder so leben können wie vor dem Krieg, und hoffentlich besser."

Für 2025 wünsche er sich ferner, in sein Haus in Gaza-Stadt zurückzukehren, das aus fünf Stockwerken bestand und "völlig zerstört ist." Er habe seine Mutter im Krieg verloren, die Ehemänner seiner drei Schwestern, Verwandte, Nachbarn und Freunde. Jetzt habe er um seine beiden Kinder und seine Frau Angst, "wegen der Bedingungen, unter denen wir leben. Wir sind jeden Tag in Gefahr, zu sterben, anstatt einmal - tausendmal: Wir wollen in Würde und Frieden leben, wir sind sehr müde. Es ist genug."

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