Ein Junge hält Brot und Wasser in einer Gasse des Beiruter Flüchtlingslagers Burj al-Barajneh in der Hand.

Nakba-Tag im Libanon Hoffnungslos staatenlos

Stand: 15.05.2024 03:57 Uhr

Palästinenser gedenken am 15. Mai der Flucht und Vertreibung von 1948. In den Palästinenserlagern des Libanon gehört die Nakba nicht der Vergangenheit an. Gaza holt die palästinensische Ur-Katastrophe in die Gegenwart zurück.

Drei Generationen sind hier schon durchgegangen: Die Großeltern, die damals flüchteten oder vertrieben wurden. Die Eltern, die in den Zeltstädten aufwuchsen. Und die Kinder, die hier geboren sind und nichts anderes kennen als diese Lager mit den zugemüllten Gassen, dem Kabelgewirr, das wie dicke Spinnweben über dem Baracken-Labyrinth hängt, den ausgefransten Fahnen, die wenigstens etwas Farbe bringen in diese palästinensische Tristesse.

Das hier ist kein Zuhause, sagen die, die hier leben. Zuhause ist anderswo: "Ich bin aus Jaffa", ruft eine ältere Frau, "ich aus Akko", ruft eine andere. Und schon hat sich ein kleiner Menschenauflauf gesammelt, und alle rufen sie durcheinander - aus Jaffa, aus Haifa aus al Chalil.

Krieg macht aus Geschichte Gegenwart

Es ist, als sei die Nakba - die "Katastrophe" - gerade erst geschehen. Und als sei es nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder zurückkehren würden in ihr verlorenes Palästina, das in den 1940er Jahren freilich britisches Mandatsgebiet war, bewohnt von Arabern und auch von Juden.

Aber das ist Geschichte. Gaza mit dem täglichen Horror, den 35.000 Toten, den Menschenmassen, die zur Zeit zwischen Chan Yunis und Rafah umher irren - dieser seit sieben Monaten tobende Krieg ist Gegenwart. Er bringt das historische Ereignis der Nakba als etwas Allgegenwärtiges ins palästinensische Flüchtlingsbewusstsein zurück.

"Sie haben uns alle belogen"

Über 700.000 Palästinenser verließen in Folge der Staatsgründung Israels ihre Dörfer und Städte, zogen in den Libanon, nach Syrien oder Jordanien. Die Flüchtlingsströme von damals haben sich mit den Jahrzehnten in den Lagern demografisch verdoppelt, verdreifacht. Allein im Libanon leben mittlerweile 250.000 staatenlose Palästinenser. Gewachsen ist mit der Zahl der Flüchtlinge auch die Hoffnungslosigkeit und das Gefühl, immer und immer wieder verraten zu werden - von Europa, den USA, den arabischen Staaten.

"Wir wurden im Krieg geboren, wir sind durch Kriege gegangen, wir sterben in ihnen. Was jetzt in Gaza geschieht, ist für uns nichts Neues", sagen die Frauen im Lager. "Unsere Eltern mussten während der Nakba fliehen, sie haben die Schlüssel ihrer Häuser mitgenommen. Die Araber hatten versprochen: Ihr werdet zurückkehren. Sie haben uns alle belogen."

  

Unerwünscht bis heute

Die Zeltstädte von damals gibt es schon lange nicht mehr, sie mutierten mit den Jahren zu elenden Siedlungen, kontrolliert von palästinensischen Fatah-Milizen oder Hamas-Islamisten oder bewaffneten Gangs, was oft auf dasselbe hinausläuft. Der libanesische Staat, sagen viele hinter vorgehaltener Hand, "kümmert sich einen Dreck um uns".

Von Anfang an waren die Palästinenser unerwünscht und stets im Verdacht, im Libanon die ohnehin latent vorhandenen Konflikte zu schüren. Als in den 1970er Jahren Jassir Arafats PLO in den Libanon zog, errichteten seine Kämpfer einen Staat im Staat, um Israel vom Grenzgebiet aus zu attackieren. Sie trugen so zum Ausbruch des Bürgerkriegs bei.

Unerwünscht sind die Palästinenser bis heute. Die Einbürgerung wird ihnen verweigert, Landbesitz ist ihnen verboten, viele Berufe werden ihnen verwehrt. Das Einzige, woran sie sich festhalten können, ist der Traum von Palästina. Den geben sie weiter, von Krieg zu Krieg, von Generation zu Generation.

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