Femke Halsema (M.) mit Ermittlern bei einer Pressekonferenz

Nach Angriffen in Amsterdam "Ich verstehe, dass das Erinnerungen an Pogrome weckt"

Stand: 08.11.2024 16:57 Uhr

In den Niederlanden herrscht nach den Angriffen auf israelische Fußballfans Erschütterung und Fassungslosigkeit. Die Ereignisse erinnern an dunkle Zeiten - und wirken sich auch auf die Innenpolitik aus.

Die Erschütterung ist der Amsterdamer Bürgermeisterin Femke Halsema anzusehen. Bei der Pressekonferenz ringt sie nach Worten. Die politischen Reaktionen weltweit - vor allem die aus Israel - haben Erschütterung ausgelöst.

"Ich verstehe vollkommen, dass das alles Erinnerungen an Pogrome weckt", erklärt die Amsterdamer Stadtchefin: "Letzte Nacht wurden nicht nur Menschen verletzt. Die Geschichte unserer Stadt ist zutiefst beschädigt worden." Auch die jüdische Kultur der Stadt sei dadurch bedroht.

Der niederländische König Willem-Alexander wählte in einem Telefonat mit Israels Staatspräsident Izchak Herzog deutliche Worte: "Wir haben die jüdische Gemeinde im Zweiten Weltkrieg im Stich gelassen. Und letzte Nacht haben wir sie erneut im Stich gelassen", heißt es in einem nach dem Telefonat veröffentlichten Mitteilung des Königshauses.

Viele Juden flohen im Zweiten Weltkrieg nach Amsterdam

Diese äußerst selbstkritische Wortwahl dürfte mit Bedacht gewählt worden sein. Amsterdam war eines der bedeutendsten jüdischen Zentren in Europa. Seit 1933 flohen viele europäische Juden nach Amsterdam. Von den rund 80.000 Juden überlebten nach Angaben jüdischer Organisationen in den Niederlanden nur 10.000 die Nazi-Herrschaft.

Die in Frankfurt geborene Anne Frank, die mit ihren Eltern in die Niederlande flüchtete, um den Nationalsozialisten zu entkommen, hielt sich von 1942 bis 1944 in einem Hinterhaus in Amsterdam versteckt und wurde kurz vor Kriegsende ermordet. Das ist der historische Hintergrund, um die Worte des niederländischen Königs an den israelischen Präsidenten zu verstehen.

"Sie hielten Leute an und schlugen auf sie ein"

Es habe so ausgesehen, als wäre alles organisiert gewesen, berichtete eine israelische Augenzeugin im niederländischen Sender NOS, die am Flughafen auf ihre Ausreise wartete: "Sie hielten Leute an und schlugen auf sie ein. Wir versteckten uns im Hotel, bis es wieder sicher war".

Gleichwohl gibt es unterschiedliche Beschreibungen der Ereignisse. Israelische Fans sollen eine palästinensische Flagge von einer Hauswand gerissen haben. Schmähgesänge habe es "auf beiden Seiten" gegeben, berichten niederländische Medien. Die politischen Konsequenzen sind in jedem Fall von einer Tragweite, die nachwirken wird.

"Absolut verwerfliche Vorfälle"

Vor den Angriffen auf israelische Fußballfans  soll die niederländische Polizei von israelischen Behörden gewarnt worden sein. Die Angreifer hätten es unter anderem auf einen bestimmten israelischen Fan abgesehen, der für den israelischen Grenzschutz arbeiten soll. Gleiches gelte für einen geplanten Angriff auf ein Hotel, in dem israelische Fußballanhänger übernachtet haben. Zumindest diese Attacke konnte - wohl aufgrund der Warnungen - ebenso verhindert werden wie das Eindringen von Gewalttätern ins Stadion.

Von "drastischen Berichten und absolut verwerflichen Vorfällen" sprach der niederländische Regierungschef Dick Schoof. Justizminister David Van Weel sagte: "Diese Leute sind durch die Stadt gefahren und haben nach Juden gesucht. Ich verstehe die israelischen Reaktionen."

Die europäische Rabbinerkonferenz erklärte, die Bilder aus Amsterdam seien "absolut beschämend" für Europa. Besonders kurz vor dem Jahrestag der NS-Novemberpogrome. Wie 1938 hätten die Sicherheitskräfte diesen Zuständen tatenlos zugesehen. Die niederländischen Behörden jedoch versichern, alles getan zu haben, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.

Auswirkungen auf niederländische Innenpolitik

Die politischen Reaktionen müssen auch vor dem Hintergrund der politischen Lage in den Niederlanden gesehen werden. Im Frühjahr hatten sich der Rechtspopulist Geert Wilders und drei weitere Parteien auf eine Koalition geeinigt, die Regierungschef an der Spitze einer parteifernen "Experten"-Regierung wurde schließlich der parteilose Dick Schoof, der vorher Generaldirektor der Geheimdienste war und als Sicherheitsexperte gilt.

Wilders' Wahlsieg wurde auch in Israel mit großem Interesse verfolgt. Wilders, ein radikaler Islamkritiker, hatte sich stets an die Seite des jüdischen Staates gestellt: "Ich werde Israel immer verteidigen."

Nun wirft Wilders den niederländischen Behörden "Versagen beim Schutz der israelischen Fans" vor, was auch als deutlicher Seitenhieb gegen den von ihm mitgetragenen Premier Schoof interpretiert werden kann. Die Ereignisse rund um das Fußballspiel stürzen damit auch die Innenpolitik in neue Turbulenzen.

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