Kamala Harris und Mike Pence
Interview

TV-Debatte Harris-Pence "Beide wären besser als Trump"

Stand: 08.10.2020 16:30 Uhr

Das Duell der Kandidaten für das Vizepräsidentenamt verlief zivilisiert. Kamala Harris und Mike Pence bemühten sich, mit Argumenten zu punkten - und nicht mit Lautstärke und Beleidigungen, meint Johannes Thimm.

tagesschau.de: Wie haben Sie die Debatte vergangene Nacht im Vergleich zur Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden erlebt?

Johannes Thimm: In der vergangenen Woche war die Debatte vor allem dadurch geprägt, dass sich Donald Trump nicht an die vereinbarten Regeln hielt. Er ließ niemanden ausreden und es kam überhaupt keine Debatte zustande. Es war ein gegenseitiges Anschreien, wobei Trump besonders negativ auffiel.

Die Debatte vergangene Nacht war konventioneller und zivilisierter. Sie war insgesamt ausgewogener. Beide Kandidaten kamen zu Wort und konnten auf Fragen antworten.

Johannes Thimm
Zur Person
Johannes Thimm ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Strenge Regeln für den Ablauf

tagesschau.de: Die Moderatorin Susan Page hat viele wichtige Themen wie Wirtschaft, Corona, nationale Sicherheit angesprochen. Wurden die Fragen auch inhaltlich beantwortet?

Thimm: Nur sehr selektiv. Susan Page hat es beiden Teilnehmern ermöglicht, die Fragen jeweils so zu beantworten, wie sie das gerne möchten. Mike Pence ist deutlich weniger auf gestellte Fragen eingegangen als Kamala Harris, aber beide haben Fragen unbeantwortet gelassen.

Insgesamt gab es kein Nachfragen, keinen Faktencheck durch die Moderatorin. Es ist also mehr ein Austausch von vorgefertigten Statements als eine Debatte. Das ist nicht ungewöhnlich, denn die Regeln für solche TV-Duelle werden im Vorfeld von Vertretern beider Seiten ausgehandelt.

TV-Debatte der US-Vizepräsidentschaftskandidaten

Harris ist 56, Pence 61. Beide könnten das Präsidentenamt von ihren deutlich älteren "running mates" übernehmen.

"Wirkung der TV-Duelle wird überschätzt"

tagesschau.de: Ist so eine Debatte überhaupt noch zeitgemäß, wenn die Teilnehmer vor allem vorgefertigte Erklärungen zum Besten geben?

Thimm: Die Bedeutung dieser Debatten wird überschätzt. Es gibt ein historisches Beispiel, das immer wieder hervorgekramt wird. 1960 trafen John F. Kennedy und Richard Nixon aufeinander. Die gängige Meinung ist, als erste im Fernsehen übertragene Debatte hat sie entscheidenden Einfluss gehabt und zum Wahlsieg Kennedys beigetragen. Ich bin mir nicht sicher, ob irgendeine nachfolgende Debatte auch wahlentscheidend war.

tagesschau.de: Sollten solche Veranstaltungen dann nicht besser unterbleiben?

Thimm: Es ist durchaus sinnvoll, dass Kandidaten öffentlich ihre Argumente und Meinungen vertreten. In der Debatte vergangene Nacht war das zum Teil auch wirklich der Fall. Bei den Themen Wirtschaft und Klimawandel wurden die Standpunkte beispielsweise sehr deutlich.

Pence wirbt für Steuersenkungen, Deregulierungen und weniger Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels. Kamala Harris sprach sich für mehr wirtschaftliche Umverteilung, mehr Klimaschutz und mehr staatliche Regulierung aus. Wenn so diskutiert wird, können sich Wählerinnen und Wähler auch eine Meinung bilden.

"Rund zehn Prozent sind noch unentschieden"

tagesschau.de: Glauben Sie, dass unentschiedene Wählerinnen und Wähler jetzt besser wissen, wen sie wählen sollten?

Thimm: Die Zahl der Wechselwähler nimmt in den USA immer mehr ab. Das hängt mit einer Zunahme der parteipolitischen Polarisierung zusammen. Die meisten Wähler fühlen sich dem einen oder anderen Lager zugehörig. In einer Umfrage aus der vergangenen Woche bezeichnen sich etwa zehn Prozent derjenigen, die wahrscheinlich wählen gehen, als "likely voters" - als unentschlossen mit Blick auf die Wahl. Wie viele davon die Debatte schauen und sich gegebenenfalls überzeugen lassen, ist nur schwer zu ermitteln.

tagesschau.de: Mike Pence und Kamala Harris sind beide deutlich jünger und gesünder als Donald Trump und Joe Biden. War deshalb die Aufmerksamkeit für diese Debatte besonders groß?

Thimm: Joe Biden wird demnächst 78. Seine Gesundheit wird von seinen Gegnern immer wieder zum Thema gemacht. Es gibt schon länger die Spekulation darüber, dass er keine zwei Amtszeiten machen wird. Obwohl in der Vergangenheit Vizepräsidentschaftskandidaten häufig nach wahltaktischen Erwägungen ausgewählt werden - welche neuen Wählergruppen kann die Kandidatin mobilisieren? - werden Vizepräsidenten auch häufig als Nachfolger in Stellung gebracht.

Mehr als sonst üblich ist Harris von Biden also auch als mögliche Nachfolgerin rekrutiert worden. Wahltaktisch hat eine Rolle gespielt, dass sie weiblich und schwarz ist, besonders vor dem Hintergrund der "Black-Lives-Matter"-Bewegung. Als mögliche Präsidentin waren ihre eher moderaten Positionen und ihre politische Erfahrung entscheidend. Donald Trump ist 74 und aktuell an Covid-19 erkrankt. Es ist also nicht auszuschließen, dass Mike Pence das Amt des Präsidenten übernehmen muss.

Die demokratische Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris (l.) und US-Vizepräsident Mike Pence debattieren.

Kamala Harris soll im linken demokratischen Spektrum punkten, Mike Pence soll religiös-konservative Stimmen einsammeln.

Blick auf die Nachfolge

tagesschau.de: Haben die beiden das Zeug zur Nummer Eins?

Thimm: Beide haben in der Debatte sehr betont, sie könnten das. Harris hat darauf hingewiesen, dass sie dem Nachrichtenausschuss des Senats angehört, wo sie sich mit Fragen nationaler Sicherheit befasst. Außerdem hat sie ihre Karriere als Staatsanwältin und Justizministerin in Kalifornien erwähnt. Sie hat damit sehr stark betont, dass sie Verantwortung übernehmen kann.

Mike Pence hat das nicht so sehr gemacht, weil es bei ihm wahrscheinlich nicht so stark in Frage gestellt wird. Wenn man Trump als Vergleich heranzieht, würde ich sagen, dass sich beide Kandidaten durch ihre Persönlichkeit und ihren Managementstil besser dazu eignen, Präsident zu sein als der gegenwärtige Amtsinhaber Trump.

Das Gespräch führte Reinhard Baumgarten, SWR

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