Trump-Unterstützer, die mit Flaggen und Kostümen in das Kapitol eingedrungen sind.
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Gespaltene USA Wie kam es zum Sturm aufs Kapitol?

Stand: 07.01.2021 16:42 Uhr

Ein rechter Mob stürmt das US-Parlament - ein Symptom der jahrelangen Aufspaltung in viele Parallelgesellschaften. Die Aufarbeitung stellt den designierten Präsidenten Biden vor ein Dilemma.

Eine Analyse von Jasper Steinlein, ARD-aktuell

Ein enthemmter Mob, bewaffnet und mit rechtsextremen Symbolen orniert, bricht ins Parlament ein, in dem gerade Abgeordnete den künftigen Präsidenten Joe Biden für sein Amt legitimieren - Szenen aus dem Kapitol in der US-Hauptstadt Washington, die zeigen, wie tief die Demokratie in Amerika in die Krise gesunken ist.

"Das Schlimmste ist, dass es Donald Trump gelungen ist, zumindest bei einer bestimmten Gruppe der Bevölkerung das Vertrauen in den demokratischen Prozess elementar zu erschüttern, geradezu zu vernichten", resümiert die Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson, Professorin für Geschichte des europäisch-transatlantischen Kulturraums an der Universität Augsburg. "Wenn man sich überlegt, dass die US-amerikanische Republik ja eigentlich die erste der Welt war, in der es seit mehr als 200 Jahren eine Tradition des friedlichen Machtwechsels gab. Und das hat er jetzt zunichte gemacht."

Trump-Anhänger im Büro von Nancy Pelosi

Trump-Anhänger stöbern im Büro von Nancy Pelosi.

Seit seiner ersten Präsidentschaftskandidatur konnte Trump eine breite Unterstützerschar hinter sich versammeln, indem er sich gezielt auch für radikale Gruppen anschlussfähig machte: Neben den Abstiegs- und Verlassensängsten konservativer Arbeiter bediente er etwa den Endzeitglauben evangelikaler Christen, den Wunsch der "white supremacists" nach einer rassistischen Gesellschaftsordnung, die Ängste Ultrakonservativer vor einem nationalen und internationalen Stärkeverlust der USA, den unerschütterlichen Glauben der sogenannten "Alt Right"-Milizen an Polizei, Militär und das Recht auf Bewaffnung.

Der "ganz harte, gewaltbereite Kern" dieser Unterstützerbasis sei es nun gewesen, der von den Demonstrationen zum Sturm auf das Kapitol ansetzte, sagt Waldschmidt-Nelson - "die Leute, auf die er ganz gezielt in den vergangenen Monaten immer wieder eingeredet hat." Trumps Aufforderung an die "Proud Boys", sich zurückzuhalten und in Habachtstellung zu bleiben ("stand back and stand by"), sei nur ein Beispiel für seine Versuche, den Wahlprozess zu entlegitimieren - "nach dem Motto: 'Wenn ich mit demokratischen Mitteln nicht an der Macht bleiben kann, dann tue ich es mit undemokratischen Mitteln.'"

Angst vor dem Verlust von Privilegien

Dass eine so große Gruppe US-Amerikaner sich zum Sturm auf ihr Parlament aufwiegeln ließ, zeige "sowohl die Anzahl als auch die Intensität in der Überzeugung" der Trump-Unterstützer, die dieser durch seine Erzählungen von einer angeblich gestohlenen Wahl mobilisiert hat, sagt Johannes Thimm, stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Amerika an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Für Julika Mücke von der Universität Münster, die über die Protestbewegung "Black Lives Matter" in den USA promoviert, ist da "fast erstaunlich, dass die Eskalation so spät kommt": "Das ist wie ein letztes Aufbäumen. Meine Einschätzung ist, dass es dabei auch um ein Verteidigen von Privilegien einer rechten Strömung geht, die sieht, dass ihre Macht schwindet und ihr Präsident bald aufgeben und einsehen muss, dass er verloren hat."

Denkwürdig erscheint allen drei Experten, dass die Sicherheitskräfte dem Mob offenkundig so wenig entgegenzusetzen hatten. "Insofern muss man sagen, dass die zuständigen Polizeibehörden versagt haben", sagt Thimm. "Es war ja keine Überraschung - sowohl die Demonstrationen am Capitol Hill als auch der Protest gegen die Zertifizierung der Wahl waren lange angekündigt. Und es war auch zu erwarten, dass es dabei nicht unbedingt friedlich bleiben würde. Man muss sich fragen, warum die Verantwortlichen das so unterschätzt haben."

Immerhin sei die US-Polizei im Allgemeinen nicht für Zaghaftigkeit bekannt, meint Thimm - und erinnert an Szenen vom Sommer 2020, als Trump eine Gruppe friedlicher "Black Lives Matter"-Demonstrierender mit Tränengas aus dem Weg räumen ließ, um sich mit einer Bibel in der Hand vor der Washingtoner St. Johns-Kirche fotografieren zu lassen.

Präzedenzfall: Erstürmung des Michigan State House

Zudem gab es 2020 in den USA bereits einen Präzedenzfall für Übergriffe auf ein Parlament: Ende April hatten sich Bewaffnete Zutritt zum Parlament des Bundesstaats Michigan verschafft, um in tumultartigen Szenen gegen den Corona-Lockdown zu opponieren. "Da hat sich das Muster solcher Erstürmungen gezeigt - und man konnte schon einmal sehen, mit welchen Leuten man es zu tun hat", sagt Thimm. Trump, ein klarer Gegner strenger Corona-Schutzauflagen, twitterte damals "Befreit Michigan" - viele lasen darin eine Ermutigung an den Mob.

Zu der stundenlangen Belagerung des Kapitols in Washington äußerte sich der amtierende US-Präsident längere Zeit gar nicht - während sein Amtsnachfolger Joe Biden ihn wiederum zu einer Fernsehansprache aufforderte, in der er die Versammelten maßregeln solle. Später äußerte Trump noch Verständnis für die bewaffneten Proteste, während weltweit bereits Empörung und Bestürzung laut wurden.

"Es ist möglich, dass das jetzt ein Weckruf war - dass Trump jetzt so diskreditiert ist, dass es seinen Einfluss in Zukunft mindert und sich seine bisherigen Unterstützer mäßigen", meint Thimm. Erst nach wochenlangem Aussitzen hatten sich während des unterbrochenen Zertifizierungsprozesses im Kongress erstmals republikanische Abgeordnete von Trump abgewandt - und seitdem weitere Parteigrößen.

"Heilungs- und Reparaturprozess" nach der Amtseinführung

Die Amtseinführung von Joe Biden am 20. Januar werden Radikale nun nicht länger verhindern können - er ist inzwischen endgültig im Amt bestätigt und kann sich im Senat auf eine demokratische Mehrheit stützen. "Das wird ihm hoffentlich die Möglichkeit geben, einen Heilungs- und Reparaturprozess einzuleiten", meint Waldschmidt-Nelson.

Der Mob vom Capitol Hill aber könnte ihm in der Anfangszeit zur Erblast werden - denn die Aufarbeitung des 6. Januar 2021 bringt ihn in ein Dilemma. "Eigentlich muss er die Strafverfolgung einsetzen, um dem Rechtsstaat Geltung zu verschaffen und das Signal zu senden: Straflosigkeit gibt es nicht - auch nicht für Trump selbst", sagt Thimm. "Andererseits entsteht dadurch natürlich bei Trumps Anhängern der Eindruck, dass politische Gegner Bidens verfolgt werden und der Rechtsstaat der USA nicht mehr neutral ist - so, wie ihn Trump selbst ja tatsächlich für seine eigenen Ziele eingesetzt hat."

Mit seiner vergleichsweise zurückhaltenden Rhetorik nach dem Sturm auf das Kapitol hat Biden dabei den Ton gesetzt: Er äußerte "Betroffenheit" über den "beispiellosen Angriff" und setzte den rohen Szenen Gefasstheit entgegen. "Was soll er auch tun?", meint die Historikerin Waldschmidt-Nelson. "Er muss langsam und vorsichtig agieren, denn ein erheblicher Teil der Bevölkerung glaubt, dass Trumps Lügen stimmen und Biden nicht rechtmäßig gewählt wurde. Diese Menschen muss er durch seine Regierungsarbeit überzeugen, ihn zu unterstützen."

Protestforscherin Mücke wiederum hofft, dass es progressiven sozialen Bewegungen gelingt, die Gesellschaft dauerhaft zu wandeln, integrativer und gleichberechtigter zu machen. Vorerst aber stehen sich in den USA weiterhin gesellschaftliche Gruppen gegenüber, die sich nicht mehr auf eine minimal gemeinsame Deutung der Ereignisse um die Wahl einigen können. Die Wunden, die Trump in die USA schlug, haben erst begonnen aufzubrechen.

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