Graffiti ziert eine Wand in der 1520 Sedgwick Avenue im New Yorker Stadtteil Bronx
reportage

50 Jahre Hip-Hop in der Bronx Wo das Herz des Rap schlägt

Stand: 11.08.2023 04:09 Uhr

In den Siebzigern wurde in der Bronx der Hip-Hop geboren. Inmitten von Ganggewalt und Drogen entfaltete sich eine weltweite Kulturbewegung. Urgesteine der Szene erzählen aus 50 Jahren Geschichte.

Er sei der Erste gewesen, sagt Coke La Rock. "Ich bin der Großvater des Rap in der Bronx", erklärt der 68-Jährige mit dem schwarz-goldenen Shirt und der Blinke-Kette um den Hals. "Das überwältigt mich jetzt hier zu stehen, wo ich als Teenager war.“ Vor dem Backstein-Wohnblock nämlich, in dem alles begann: 1520 Sedgwick Avenue - der Geburtsort des Hip-Hop war eine Blockparty.

Die Wiege des Hip-Hop

Coke war da, um ein paar Drogen zu verticken. Aber der Grandmaster erinnert sich lieber an andere Dinge: "Das war ein Gemeinschaftsereignis. Ich liebte es, mit den Ladys zu tanzen. Eine 50-Cent-Party. Jeder kannte jeden", erinnert er sich, "Es war bloß ein Partyraum mit Bad und Küche. Es gab Limo, Hotdogs und Hamburger." 

Ein Mann steht vor dem Ziegelsteinhaus der 1520 Sedgwick Avenue im New Yorker Stadtteil Bronx

Die 1520 Sedgwick Avenue umfasst mehr als 100 Wohneinheiten und gilt als Geburtsort des Hip-Hop.

Und es gibt Kool DJ Herc. Der legendäre Künstler schmeißt am 11. August 1973 die Party für seine Schwester. Der DJ kratzt und dreht Platten gegen den Strich. Zwei Teller parallel. Als er mal raus muss, übernimmt Coke. Der greift zum Mikro, redet und reimt drauf los. "Ein Freidenker" sei er immer gewesen, sagt der Mann mit der dicken schwarzen Brille und den grauen Bartstoppeln. 

"Mir kommt das so in den Sinn. Freestyle in meinem Kopf. Ich fühle, was ich tun muss", beschreibt er. "Der Vibe kommt, wenn ich unter guten Leuten bin. Dann kommen die Worte raus. Ich bin mein eigener Mann."

Hip-Hop als Soundtrack des Protests

Coke La Rock wird niemals eine Platte aufnehmen. Er wird niemals berühmt. So wie Kool DJ Herc, LL Cool J oder Grandmaster Flash. Doch in den 1970ern hat er seine "Crowd". Und er hat den Boden für den Rap bereitet. Die Partys werden größer. Sie landen auf der Straße. Boomboxen durchdröhnen das Schweigen, Breakdancer und Graffiti die Unsichtbarkeit. 

Viele kamen aus dem Vietnam-Krieg zurück. Nahmen Drogen. Heroin. Kamen aus diesen abgebrannten Häusern. Wir waren wie Rattenfänger mit dieser Musik. Hielten das Biest in ihnen in Schach.
Coke La Rock

Das Biest in den Abgehängten. Von einer New Yorker Stadtplanung, die darauf zielt, die Bronx abbrennen zu lassen, um die ganzen Afroamerikaner und Zuwanderer aus Lateinamerika dort zu vertreiben. Den Rest besorgen AIDS, Crack, Bandengewalt. Die Polizei antwortet mit Razzien und Massenverhaftungen.

Lucky Bling und Coke La Rock Sedgwick

Lucky Bling (links) und Coke La Rock spazieren durch die Sedgwick Avenue.

Coke La Rocks Generation lernt, dagegen zu protestieren. Ihre Botschaft verbreiten sie auf Musik-Kassetten, auf U-Bahn-Waggons und Wänden - so wie Cokes Freund Lucky Bling. Der Graffiti-Pionier kam mit seiner Familie aus Puerto Rico in die Bronx: "Als ich herkam, konnte ich kein Englisch. Graffiti war meine Sprache. Ich kommunizierte über meine Kunst. Und die Leute haben mich für mein Talent respektiert."

Subkultur prägt weltweit Mode und Kunst

Die Ghetto-Kultur, einst von der Polizei verjagt, ist heute "in style": Edelrapper Jay-Z, Modemacher Dapper Dan - von Gucci bis Louis Vuitton - der Hip-Hop ist längst raus aus der Schmuddelecke.

Bis in den Finanzdistrikt von Manhattan schafft er es - in einen ehemaligen Bankenpalast der "Hall des Lumières" mit einer gigantischen Multi-Media-Geburtstags-Ausstellung namens "Hip-Hop Til Infinity" übersetzt "Hip-Hop bis zur Endlosigkeit". Dabei hätten in den 70er-Jahren alle gedacht, das sei nur eine Phase, die schnell vorbeigehe, sagt der künstlerische Direktor der Show, Jon Colclough.

 

Ausstellungsraum mit Projektionen.

Die interaktive Ausstellung führt durch 50 Jahre Hip-Hop.

"Aber für die Leute, die ihn geschaffen haben, ist er ein Lifestyle, der ihnen eine Stimme gab in einer Welt, in der sie abgehängt waren. 50 Jahre später ist Hip-Hop eines der berühmtesten kulturellen Phänomene, die es gibt. Die Anti-Kultur von damals speist jetzt den Zeitgeist", so Colclough.

Das möge so sein, sagt Urgestein Coke La Rock. Doch all der Erfolg und Kommerz ändere nichts daran: "Die Seele des Hip-Hop schlägt in der Bronx". Coke verschränkt seine Arme zu einem X. Der Gruß der Bronx. "Sie beginnt mit dem B, sie endet mit dem X. Und wenn wir das machen, zeigen wir Stärke", sagt Coke.

Wenn überall in der City die großen Partys und Wettbewerbe steigen, feiert er den Geburtstag des Hip-Hop so, wie alles begann: ganz klein, in seinem Block in der Bronx. Vor dem Haus 1520 Sedgwick Avenue. Mit seiner "Crowd". Es gibt Limo, Hotdogs und Hamburger.