Ein Dissident der kolumbianischen FARC-Guerilla

Baerbock in Kolumbien "Die Leidtragenden sind die Kinder"

Stand: 08.06.2023 12:50 Uhr

Außenministerin Baerbock besucht heute Kolumbien. Offiziell ist der Krieg dort zu Ende. Doch der Friedensprozess sei nur ein kurzer Moment der Stille gewesen, sagen viele. Nun sei es schlimmer als vorher.

"Guardia", Wächtergruppe, ruft Rosa Pardo. Sie ist eine Anführerin der indigenen Selbstverteidigungsgruppe. "Als Guardia sind wir stark", antworten rund zwei Dutzend Kinder und Jugendliche, die auf einem großen überdachten Sportplatz einer Schule stehen.

Pardo und die Kinder stehen in der kleinen, indigenen Siedlung Toez im Norte del Cauca. Auch heute noch eine der konfliktreichsten Regionen Kolumbiens, mehr als sechs Jahre nach dem Abschluss des Friedensvertrages mit der FARC-Guerilla.

"Es herrscht wieder Krieg"

"Ja, es gab einen Friedensprozess", erklärt die indigene Anführerin. "Aber es war nur ein kurzer Moment der Stille", der Staat habe seine Versprechen nicht gehalten. "Nun haben sich neue Gruppen gegründet, es herrscht wieder Krieg und schlimmer als vorher." Und die größten Leidtragenden seien die Kinder.

Deswegen versucht Rosa Pardo, die Kinder der Gemeinde auf die Gefahren vorzubereiten. So stünde etwa auf dem Stundenplan: Wie schütze ich mich vor Zwangsrekrutierung? Dabei sorgt sich Pardo auch um ihren eigenen Sohn, er heißt Oscar.

Es gebe oft ältere Kinder, erklärt der 11-Jährige, die sie gar nicht kennen würden, und die versuchten, sie zu rekrutieren. "Sie geben vor, unsere Freunde zu sein, oft sind sie schon verbunden mit der Guerilla oder anderen Gruppen, sie sagen dann, wie cool es dort ist, und dass man Geld, Motorräder oder Autos bekommen wird." Die Realität sehe dann aber ganz anders aus, erklärt Oscar.

Verstoß gegen Völkerrecht

Allein in den ersten drei Monaten 2023 sollen laut offiziellen Zahlen der kolumbianischen Ombudsstelle 23 Kinder in Kolumbien von kriminellen Gruppen zwangsrekrutiert worden sein. Im Mai erst seien vier indigene Kinder im Amazonasgebiet hingerichtet worden, nachdem sie versucht hatten, aus einer Guerilla-Gruppe zu fliehen, erklärt Ombudsmann Carlos Camargo.

"Das abscheuliche Verbrechen ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht, diese Gruppen treten das Bestreben der Regierung und aller Kolumbianer nach Frieden mit Füßen", sagt Camargo.

Soziale Ungleichheit, Rassismus, unfaire Landverteilung

"Paz Total", vollkommener Frieden, heißt das Projekt des erst 2022 gewählten Präsidenten Kolumbiens. Gustavo Petro, erster Linker an der Staatsspitze und selbst ehemaliges Mitglied der Guerilla, versprach, die Ursachen der Gewalt zu bekämpfen: soziale Ungleichheit, Rassismus, unfaire Landverteilung und Umweltzerstörung.

Gleichzeitig wollte er mit allen noch verbleibenden bewaffneten Gruppen im Land verhandeln. Und das sind viele: FARC-Kämpfer, die sich abgespalten hatten, die zweitgrößte Guerilla ELN, Paramilitärs, Drogenkartelle. Doch als Reaktion auf den Mord an den Kindern hob die Regierung eine zuvor bestehende Waffenruhe in vier besonders konfliktreichen Provinzen auf. 

"Regierung kann nicht viel bieten und wenig Druck ausüben"

Elizabeth Dickinson, Analystin bei der International Crisis Group, sieht das größte Problem darin, dass "die Regierung weder Zuckerbrot noch Peitsche" habe. Das bedeute, "sie kann den Kriminellen nicht viel bieten, und auch wenig Druck ausüben".

Hinter den Gruppen steckten Akteure, die Millionengeschäfte machten, international agierten, mit illegalen Aktivitäten wie Drogenhandel oder Goldschmuggel. "Was es bräuchte, wäre mehr gerichtliche Verfolgung und eine Sicherheitsstrategie, die die Bevölkerung besser schützt."

Baerbocks Besuch als Signal

Es brauche mehr Anreize, Sicherheit und Perspektiven - für jene Kämpfer, die bereits ins zivile Leben zurückgekehrt seien. Denn auch sie stünden unter großem Druck, so Stefan Peters, Direktor des Deutsch-kolumbianischen Friedensinstitutes Capaz, genauso wie soziale Aktivisten, die sich für Frieden und Umweltschutz einsetzen.

Dass mit Außenministerin Annalena Baerbock nun erneut eine deutsche Politikerin nach Kolumbien reise, sei ein deutliches Signal und eine wichtige Unterstützung für den schwierigen Friedensprozess. "Sowohl für den Friedensprozess mit der FARC als auch für die großen Herausforderungen des 'Paz Total'", sei das eine ganz wichtige Botschaft, erklärt Peters.

Baerbock wird in Kolumbien unter anderem Cali, die Hauptstadt der Pazifikregion besuchen, die besonders stark von der Gewalt betroffen ist. Toez, das Dorf in dem Rosa Pardo gegen die Zwangsrekrutierung ihrer Schüler kämpft, liegt nur eineinhalb Autostunden entfernt.

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