EU-Bericht zu Stresstests Fast alle Atomkraftwerke haben Mängel

Stand: 01.10.2012 17:17 Uhr

Fast alle europäischen Atommeiler weisen Sicherheitsmängel auf und müssen nachgerüstet werden. Das ist das beunruhigende Ergebnis von sogenannten Stresstests in 145 Kraftwerken, das der ARD vorliegt. Schlechte Noten gibt es auch für viele deutsche Meiler. Die EU-Kommission schweigt bisher.

Von Christoph Prössl, NDR-Hörfunkstudio Brüssel

Unter die Lupe genommen haben die Prüfer die 134 Kraftwerke an 68 Standorten, die derzeit am Netz sind. Sie lasen die Prüfberichte der nationalen Aufseher, forderten Informationen an und besuchten in 23 Fällen auch die Standorte. Das Ergebnis ist ernüchternd: Es gibt kaum Kraftwerke, die keine Mängel aufweisen, für die es also keine Verbesserungsvorschläge gibt. Das geht aus dem Prüfbericht hervor, der dem ARD Hörfunk vorliegt. Schwerwiegende Mängel gibt es in gleich mehreren Kraftwerken.

In zehn Reaktoren sind keine Erdbeben-Überwachungsgeräte installiert. In vielen Kraftwerken sollten diese Geräte verbessert werden, empfehlen die Prüfer. Darunter sind auch viele deutsche Kraftwerke. In vier europäischen AKWs können die Notstromaggregate die Kühlung nur weniger als eine Stunde lang mit Strom versorgen. Und nur sieben Länder verfügen über mobile Generatoren, die im Notfall zu den Kernkraftwerken gefahren werden könnten.

Prüfer fordern 25 Milliarden Euro an Investitionen

Insgesamt haben sich an den Tests die 14 EU-Staaten beteiligt, die AKW betreiben. Dazu kamen die Schweiz und die Ukraine. Die Prüfer listen noch eine Reihe weiterer Mängel auf. Insgesamt müssten die Betreiber bis zu 25 Milliarden Euro investieren.

EU-Energiekommissar Günter Oettinger wollte zu den Details keine Stellung beziehen. Seine Sprecherin Marlene Holzner erklärte, der Bericht werde noch diskutiert. "Was ich sagen kann: Wir werden klare Empfehlungen aussprechen und dann müssen die Mitgliedsstaaten diese Empfehlungen umsetzen", erklärte sie.

Und das soll möglichst bald sein. Die Kommission kündigte an, den Staats- und Regierungschefs für ihren nächsten Gipfel am 18. und 19. Oktober die Ergebnisse Tests zur Verfügung zu stellen. Das Papier enthält auch Vorschläge, wie die Sicherheitsstandards verbessert werden sollten. Beispiel: Die Prüfer empfehlen gemeinsame Richtlinien zum Schutz vor Naturkatastrophen. Hier seien die Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten der EU sehr groß.

Umweltschutzgruppen sehen noch weitere Sicherheitsprobleme

Umweltschutzorganisationen kritisieren bereits seit Monaten, dass der Stresstest Lücken aufweist, so auch Jack Hunter von Greenpeace: "Der Test hat einige wichtige Punkte ausgelassen, zum Beispiel Evakuierungspläne: Es gibt Kraftwerke, die sind zehn Kilometer von einer Stadt entfernt, zum Beispiel von Antwerpen. Und die Prüfer haben die Verkettung von Naturkatastrophen, die ja in Fukushima das Problem war, ausgelassen." In Fukushima folgte dem schweren Erdebeben eine Flut.

Ein weiterer Punkt sind Flugzeugabstürze. Der Bericht lässt die Ergebnisse der Tests dazu außen vor und verweist auf die Einzelberichte. Gleichzeitig betonen die Autoren, dass hier Verbesserungen nötig sind. Dazu habe es ein Seminar für Spezialisten gegeben. Spannend wird nun sein, welche Konsequenzen die Staats- und Regierungschefs nach der Untersuchung ergreifen.