Sudanesische Mädchen, die vor dem Konflikt in der sudanesischen Region Darfur geflohen sind, stehen in einer Notunterkunft nahe der Grenze zwischen Sudan und Tschad.

Nach drei Monaten der Gewalt "Der Staat im Sudan existiert nicht mehr"

Stand: 15.07.2023 09:50 Uhr

Plünderungen und Vergewaltigungen, fehlende Nahrungsmittel und landesweite Kämpfe: Drei Monate nach Beginn der Gewalteskalation im Sudan ist kein Ende des Machtkampfs in Sicht. Der Staat scheint am Ende zu sein.

Die Nachrichten, die in den vergangenen Tagen und Wochen aus dem Sudan kommen, sind erschreckend: Plünderungen und Vergewaltigungen durch Milizen sowie ein Mangel an Nahrung und Medikamenten. Zuletzt wurde in der sudanesischen Region Darfur ein Massengrab mit fast 90 Leichen entdeckt

Für ein paar Tage und Wochen waren die Kämpfe im Sudan das bestimmende Thema - doch nachdem die Evakuierung ausländischer Staatsbürger abgeschlossen war, schien die Aufmerksamkeit Stück für Stück abzuebben. Die Kämpfe dagegen gehen auch drei Monate später weiter - ein Ende scheint derzeit nicht in Sicht.  

Während sich die Kämpfe vor drei Monaten noch auf die Hauptstadt Khartoum konzentrierten, hat sich die Gewalt mittlerweile auf das ganze Land ausgeweitet. Die Lage im Sudan, der mehr als fünfmal so groß ist wie Deutschland, ist nur schwer zu überblicken. Mehrere ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen scheiterten bereits.

Institutionen können Aufgaben nicht mehr erfüllen

Der sudanesische Staat als solcher scheint am Ende: "Der Staat im Sudan, so wie wir ihn von früher kennen, existiert nicht mehr. Alle Staatsinstitutionen können ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen", sagt Amani al-Tawil, Expertin am ägyptischen al-Ahram-Center für strategische Studien.

Auf der einen Seite des Machtkampfs im Sudan steht der General Abdel Fattah al-Burhan, der das Militär anführt, und auf der anderen sein ehemaliger Stellvertreter - Mohamed Hamdan Daglo, genannt "Hemeti", der die sogenannten "Rapid Support Forces" (RSF) befehligt. Die Hoffnung sterbe zuletzt, dennoch sei die Lage "wirklich sehr kompliziert", denn den Akteuren gehe es nicht darum, den Konflikt zu beenden, erklärt al-Tawil.

Militär und die Paramilitärs der RSF hatten vor etwa anderthalb Jahren zusammen im Sudan geputscht, aber versprochen, die Kontrolle an eine zivile Regierung zurückzugeben. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Übergangsregierung war die Integration der "Rapid Support Forces" in das Militär - doch das scheiterte.

Der Machtpoker zwischen den ehemals Verbündeten Generälen eskalierte im April in einem Gewaltausbruch. Mit Kampfflugzeugen, Panzern und schwerer Artillerie kämpfen die Truppen von al-Burhan und Hemeti teils in dicht besiedelten Wohngebieten gegeneinander. Auch drei Monate nach Beginn der Kämpfe gibt es niemanden, der die militärische Oberhand zu haben scheint, meinen Beobachter. 

 

Einheimische leiden unter den Gefechten

Einen klaren Verlierer gibt es aber auf jeden Fall: Millionen von Sudanesen und Sudanesinnen leiden unter den Gefechten. Laut aktuellen Berichten sind mittlerweile etwa 3000 Menschen bei den Kämpfen gestorben. Experten vermuten allerdings, dass die Zahl der Toten noch deutlich höher liegen könnte. Viele Regionen sind für Beobachter schlicht nicht zugänglich. 

Die 62-jährige Sudanesin Entsar al-Aakly ist erst vor kurzem aus der Hauptstadt Khartoum nach Ägypten geflüchtet und hier bei Verwandten untergekommen. Sie berichtet: "Die Situation ist sehr schlimm. Als ich floh, da war der Krieg im vollen Gange. Es gab viele Tote und Verletzte. Viele Häuser wurden von den Milizen besetzt und geplündert. Als wir gingen, da zerstörten sie alles in meinem Haus. Sogar den Bücherschrank - ich verstehe nicht, was ihnen die Bücher getan haben."

Wie al-Aakly seien bereits etwa drei Millionen Menschen durch die Kämpfe vertrieben worden, berichtet das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten "OCHA". Diejenigen, die es sich leisten können, versuchen, sich in den Nachbarländern in Sicherheit zu bringen - etwa 700.000 sind im Tschad, in Ägypten oder dem Süd-Sudan untergekommen.  

 

Experten befürchten Destabilisierung der Region

Die Menschen im Sudan mit Hilfe zu versorgen, gestaltet sich laut dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten immer schwieriger. Die Arbeit von Hilfskräften sei aufgrund der Kämpfe sehr gefährlich. Immer wieder würden Lagerhäuser mit Hilfsgütern geplündert und Mitarbeitende von nichtstaatlichen Organisationen kämen kaum noch an Visa, um ins Land einzureisen. 

"Der Krieg muss enden. Ich möchte die Hoffnung auf ein Ende des Kriegs nicht aufgeben. Für unser Land und die Menschen muss der Krieg so schnell es geht enden", betont al-Aakly.

Die Vereinten Nationen warnen davor, dass der Konflikt mittlerweile eine ethnische Dimension angenommen habe - etwa 200 ethnische Gruppen leben im Sudan teils unter schwierigen Bedingungen zusammen. Vor allem in der von Hunger und Dürren geplagten Region Darfur kam es schon in der Vergangenheit immer wieder zu schweren Menschenrechtsverbrechen.   

Sollte sich der Konflikt zu einem umfassenden Bürgerkrieg ausweiten, befürchtet man bei den Vereinten Nationen eine Destabilisierung der gesamten Region mit unabsehbaren Folgen.

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