Trümmer und Schutt liegen auf einer Straße im libyschen Derna.

Flutkatastrophe in Libyen Der Kampf um die Deutungshoheit

Stand: 15.09.2023 05:48 Uhr

Nach den schweren Überschwemmungen ist die Lage in Libyen katastrophal. Doch Politiker und Militärs sind vor allem damit beschäftigt, sich selbst in Szene zu setzen - und Kritik zu unterbinden.

Von Moritz Behrendt, ARD-Studio Kairo

Auf arabischen Nachrichtensendern laufen die Bilder von den Rettungsarbeiten im libyschen Darna in Dauerschleife: Zu sehen sind vor allem Soldaten aus der Truppe von Khalifa Haftar, wie sie mit Einwohnern der Stadt Trümmer bergen. Haftar ist der starke Mann im Osten Libyens. Er hat die Kontrolle, das will er auch zeigen. 

Tausende Menschen sind gestorben durch die Überschwemmungen - große Teile der 100.000-Einwohner-Stadt Darna wurden vom herabstürzenden Wasser ins Meer gerissen. Die Hoffnungen, jetzt noch Überlebende zu finden, sind minimal, auch wenn die internationalen Hilfsmaßnahmen angelaufen sind. 

Angeblich 300 Menschen gerettet

Und dennoch schreibt der Ministerpräsident der international anerkannten Regierung, Abdul Hamid Mohammed Dbaibah, gestern Nachmittag auf der Plattform X, dass mehr als 300 Menschen gerettet werden konnten, nachdem die Handynetze wiederhergestellt worden waren. Unter den Geretteten seien mehr als 13 Kinder.  

Allerdings sitzt Dbaibah in Tripolis, also mehr als 1.300 Kilometer entfernt vom Katastrophengebiet. Von dort senden die Einwohner und lokalen Helfer weiterhin eher verzweifelte Nachrichten - wie dieser Mann über Facebook: "Wir brauchen Geräte und Unterstützung. Wir sind in einer Krisensituation, daher brauchen wir eine Koordination der Hilfe und kein Chaos. Denn sonst droht uns eine Umweltkatastrophe."

Leichen werden an der Küste angeschwemmt

Was der Mann befürchtet, ist die Ausbreitung von Seuchen. Noch immer werden in Darna und auch in weiter östlichen gelegenen Orten an der Küste Leichen aus dem Meer angeschwemmt. Die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" hat angekündigt, dem libyschen Roten Halbmond in Darna 400 Leichensäcke für die Verstorbenen zu übergeben sowie 200 medizinische Kits für die Behandlung der Verwundeten.

Am Abend trafen auch die Hilfsgüter des Technischen Hilfswerk im ostlibyschen Bengasi ein. In zwei Bundeswehrflugzeugen wurden unter anderem Zelte, Feldbetten, Wasserfilter und Stromgeneratoren ins Katastrophengebiet transportiert.

Salbungsvolle Worte aus der Politik

Während viele Einwohner Darnas kein Dach mehr über dem Kopf haben und nicht wissen, ob ihre Familienmitglieder noch leben, hat bei den konkurrierenden Regierungen im Land der Kampf um die Deutungshoheit und die internationale Wahrnehmung begonnen. 

Dabei scheuen Politiker wie Parlamentspräsident Aguilah Saleh unbequeme Wahrheiten. Der 79-Jährige Saleh ist ein Vertrauter von General Haftar, schon zu Muammar al-Gaddafis Zeiten gehörte er zu den Strippenziehern in Libyen. In seiner Rede vor dem Parlament geht er nicht auf Kritik ein - etwa, dass die Dämme oberhalb der Stadt Darna marode waren und seit Jahrzehnten nicht gewartet wurden. Stattdessen versucht er es mit salbungsvollen Worten, spricht von Vorbestimmung und Schicksalssache und dem Gebet zu Gott, die Traurigkeit aus den Herzen der Libyer zu entfernen. 

"Es gab Versäumnisse und Vernachlässigung"

Für den Parlamentarier Ali al-Takabali sind die Worte Salehs Ausflüchte: "Das Problem ist, dass er nicht gesagt hat, ob das Parlament die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen wird. Es gab Versäumnisse und Vernachlässigung. Das sagen auch viele internationale Medien."

Was die internationalen Medien direkt aus Darna berichten - das will Khalifa Haftar aber offenbar genau kontrollieren. Die Bilder der arabischen Satellitensender gefallen ihm, westlichen Journalisten macht er den Zugang ins Krisengebiet dagegen schwer. 

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