Gasförderanlage in Algerien (Archivbild)

Habeck in Algerien Land der großen Potenziale

Stand: 07.02.2024 06:44 Uhr

Heute reist Wirtschaftsminister Habeck nach Algerien, aus dem ein Viertel des Erdgases in Europa stammt. Auch für erneuerbare Energien gibt es Potenzial. Doch die Menschenrechtslage bleibt ein Problem.

Von Jean-Marie Magro, ARD Rabat

Es ist ein interessanter Versprecher: "Algerien verbirgt großes Potenzial", sagte der Politikwissenschaftler Rachid Ouaissa kürzlich der ARD. Eigentlich wollte Ouaissa, der an der Universität Marburg lehrt, sagen, dass das flächenmäßig größte Land Afrikas viele ungenutzte Möglichkeiten birgt.

Aber es herrscht immer wieder der Eindruck, als wolle das Regime in Algier, ein undurchsichtiges Gebilde aus Politik, Geschäftsleuten und vor allem Militärs, der Außenwelt auch etwas verheimlichen.

Afrikas größter Gasexporteur

Ouaissa beschäftigt sich seit Jahren mit den Maghrebstaaten. Wenn er von Potenzialen spricht, dann meint er die großen Energiereserven des Landes. Egal ob fossil oder erneuerbar: "Das Land kann sehr wichtig sein für die Energiewende in Deutschland und Europa", sagt Ouaissa.

Algerien ist Afrikas größter Gasexporteur. Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bot Algier mehr Gaslieferungen an, was in Europa dankend angenommen wurde. Vor allem südeuropäische Länder wie Portugal, Spanien und Italien profitierten davon. Allerdings ist die Gasinfrastruktur veraltet.

Es bleiben also die für das Land schier unbegrenzt scheinenden Möglichkeiten für Erneuerbare Energien. Das Bundeswirtschaftsministerium schätzt das Potenzial der Solarenergie in Algerien als eines der höchsten weltweit ein. Und auch grüner Wasserstoff ist ein Thema. Im Oktober formulierten algerische Vertreter das Ziel, dass man in Zukunft zehn Prozent des europäischen Bedarfs liefern möchte.

"Annäherung jetzt möglich"

Beobachter wie Rachid Ouaissa hoffen, dass die Umwandlung von der fossilen zu einer grünen Wirtschaft das Land nach vorne bringen wird. Das sei gerade jetzt möglich, weil der 2019 gewählte Präsident Abdelmadjid Tebboune einen außenpolitischen Misserfolg nach dem anderen verbucht habe.

Streitigkeiten mit Frankreich und Spanien gibt es schon länger, aber vor allem Algeriens geopolitischer Einfluss ist geringer als der Anspruch, den sich Algier gibt. In der Arabischen Liga spielt man keine besondere Rolle, und man wurde im Gegensatz etwa zu Saudi-Arabien und dem Iran auch nicht in die Staatenvereinigung BRICS aufgenommen.

Eine Annäherung sei also jetzt möglich - und dadurch auch Veränderungen innerhalb Algeriens, meint Ouaissa. Robert Habeck dürfe und solle auch heikle Themen wie die Menschenrechtslage bei seinem Besuch ansprechen, wenn er gleichzeitig auf Augenhöhe über Themen wie Exporterleichterungen für algerische Industrieprodukte diskutieren kann. Es klingt ganz nach der alten deutschen Formel "Wandel durch Handel". Nur stieß diese bekanntlich in Russland und China an Grenzen.

Verschlechterte Menschenrechtslage

Die Menschenrechtslage habe sich nach den landesweiten Hirak-Protesten, die im Jahr 2019 eine erneute Kandidatur des langjährigen Machthabers Abd Al-Aziz Bouteflika verhindert hatten, nicht verbessert, sagt der ins belgische Exil geflohene Menschenrechtsaktivist Said Salhi der ARD. Der erhoffte Wandel habe nicht stattgefunden. Stattdessen habe man einen "wirklich beunruhigenden" Rückschritt im Hinblick auf Rechte und Freiheiten erlebt.

Laut Amnesty International sitzen derzeit etwa 200 Menschen aus politischen Gründen in Algerien im Gefängnis. Der Staat ist unnachgiebig. Neben Menschenrechtsaktivisten finden sich besonders kritische Journalisten im Visier, sagt Christopher Resch von Reporter ohne Grenzen: "Journalistinnen und Journalisten haben es in Algerien mit einer politischen Klasse zu tun, die sich aktiv in ihre Arbeit einmischt." 

Chancen für neue deutsche Außenpolitik

Regierungskritische Journalisten wurden mehrmals unter teils abstrusen Vorwänden festgenommen, wie die Nichtregierungsorganisation kritisiert. So etwa Ihsane El Kadi, der seit Ende vergangenen Jahres in Haft sitzt. Die Begründung: Er habe Organisationen unterstützt, die den Staat und die Sicherheit Algeriens bedrohen. In Wirklichkeit, sagt Resch von Reporter ohne Grenzen, gehe es darum, eine der letzten kritischen Stimmen mundtot zu machen.

Doch gerade hier sieht der Politikwissenschaftler Claus Leggewie die Chance, eine neue deutsche Außenpolitik auszubuchstabieren. Im "Tagesspiegel" schrieb Leggewie, Habeck müsse klarmachen, dass deutsche Wirtschaftsdelegationen dann kämen, wenn Ihsane El Kadi und weitere politische Gefangene freigelassen würden.