Ein brennendes Auto nach Kämpfen in Tripolis.

Kämpfe in Libyen Drohgebärden oder Entscheidungsschlacht?

Stand: 28.08.2022 11:37 Uhr

Verfeindete Milizen und zwei Politiker, die um die Macht ringen: In Tripolis haben Kämpfe zahlreiche Tote gefordert. Die Gefechte klingen ab, doch die Sorgen vor einer Rückkehr des Bürgerkrieges in Libyen bleiben.

Verkohlte Autowracks qualmen noch in den Straßen, in den verrußten Außenwänden von Wohnhäusern klaffen große Einschusslöcher - Bilder in den sozialen Netzwerken zeugen von der Heftigkeit, mit der die Gewalt in Libyen erneut eskaliert ist. Mitten in Wohnvierteln der libyschen Hauptstadt Tripolis kam es zu heftigen Gefechten zwischen rivalisierenden Milizen.

Seit mehreren Stunden sind die Kämpfe abgeebbt, möglicherwiese aufgrund der Vermittlungsversuche, die die Vereinten Nationen und Ägypten sofort gestartet haben. Die traurige Bilanz bislang: zahlreiche Tote und viele teilweise schwer Verletzte - die meisten davon Zivilisten, die zwischen die Fronten geraten waren. Einige waren noch bis in die Nacht hinein eingeschlossen - in ihren Häusern, umzingelt von Milizen, die sich wilde Schusswechsel leisteten.

Einige der Zusammenstöße führten dazu, dass Zivilisten in ihren Häusern festsaßen, berichtet Malek Marssit, ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. "Zivilisten wurden verletzt und starben, weil die Krankenwagen sie aufgrund der heftigen Gefechte nicht erreichen konnten", sagt er. "In diesen Gebieten herrscht Angst und Schrecken."

Berichte: Krankenhäuser beschossen

Mehr als 60 Familien seien mittlerweile evakuiert worden, teilt das Gesundheitsministerium mit. Berichten zufolge wurden auch sechs Krankenhäuser beschossen, Krankenwagen konnten nicht zu den Verletzten vordringen, Menschen verbluteten. Das Gesundheitsministerium rief zu Blutspenden auf. Fast hilflos wirkend wandten sich Vertreter des Stadtrats von Tripolis an die Kämpfer und Regierungen. "Die zivilgesellschaftlichen Einrichtungen in Tripolis rufen zur Ruhe auf und erinnern alle Kämpfer an das Verbot des Blutvergießens und des Einschüchterns von Zivilisten. Gott schütze Libyen," sagte Stadtratsvertreter Omar Weheba.

Das Problem: Es gibt zahlreiche rivalisierende Milizen im Land, die alle massiv bewaffnet sind. Wie es jetzt weitergeht, ist völlig unklar. Alles hängt davon ab, ob die entscheidenden Akteure zurück an den Verhandlungstisch kehren.

Brutaler Machtkampf

In Libyen herrscht ein brutaler Machtkampf zwischen zwei führenden Politikern des Landes, die jeweils eine Regierung gebildet haben: Abdul Hamid Dbeibah leitet als Ministerpräsident die Geschäfte von Tripolis aus und weigert sich, sein Amt abzugeben. Ex-Innenminister Fathi Baschagha wurde im lange abgespaltenen Osten des Landes vom Parlament zum Regierungschef gewählt und beansprucht die Macht über ganz Libyen für sich. Beide Seiten haben Milizen hinter sich.

"Baschagha steht unter Druck", so Senussi Sikri, Direktor des libyschen Zentrums für Forschung und Entwicklung in Istanbul, im Sender Al Jazeera. "Seine Verbündeten haben ihre militärischen Kräfte zusammengezogen. Baschagha musste sich bewegen, um neue Tatsachen zu schaffen. Da er auf dem Verhandlungsweg keinen Erfolg hatte, sah er nur die militärische Lösung."

Verschobene Wahlen

Handelt es sich um Drohgebärden oder um eine Entscheidungsschlacht? Ursprünglich sollten in Libyen im Dezember vergangenen Jahres Wahlen stattfinden. Diese wurden jedoch verschoben. Das Parlament in Tobruk im Osten des Landes hatte darauf Baschagha an die Spitze einer Übergangsregierung berufen, um den amtierenden Ministerpräsidenten abzulösen. Dbeibah will die Macht jedoch nur an eine vom Volk gewählte Regierung abtreten. Im Mai kam es bei einem gescheiterten Putschversuch erstmals zu schweren Kämpfen - damals hatte Baschagha erstmals militärisch versucht, die alte Regierung aus Tripolis zu vertreiben. Ähnliches könnte auch der Grund der jüngsten Kämpfe gewesen sein.

Sollten die Vermittlungsversuche von Ägypten und den Vereinten Nationen nicht erfolgreich sein, besteht die große Gefahr, dass der langjährige Bürgerkrieg in Libyen wieder aufflammen könnte

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