Die Angeklagte Beate Zschäpe und ihr Anwalt Mathias Grasel im Gericht am Tag der Urteilsverkündung.

Prozessende Was aus dem NSU-Urteil folgt

Stand: 11.07.2018 18:48 Uhr

Auch nach fünf Jahren Prozess ist die Causa NSU juristisch nicht abgeschlossen: Was "lebenslange" Haft für Zschäpe bedeutet und was in der Revision heikel werden könnte.

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Es ist kurz vor zehn Uhr im prall gefüllten Münchener Gerichtssaal. Ohne erkennbare Regung nach außen nimmt Beate Zschäpe das Ergebnis dieses Mammutprozesses auf. Lebenslange Haft plus "besondere Schwere der Schuld". Anders als bei großen Prozessen häufig üblich, beginnt der Vorsitzende Richter nicht mit einer Art Vorspann zu den großen Linien des Urteils. Nach dem reinen Ergebnis folgt gleich die ausführliche Begründung.

Beate Zschäpe als Mittäterin

Schnell schlägt der Vorsitzende Richter die ersten inhaltlichen Pflöcke zur Begründung ein. Alle drei, also Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Zschäpe, hätten 1998 einen gemeinsamen Tatplan für ideologisch begründete, rechtsextremistische Anschläge gefasst und damals die terroristische Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" gegründet. Das Gericht sieht Zschäpe als gleichberechtigte Mittäterin der Mordserie. Wenn ein Beteiligter dabei im Hintergrund agiert und nicht an den Tatorten selbst geschossen hat, muss man das rechtlich besonders genau begründen.

Richter Götzl zitiert die Kriterien des Bundesgerichtshofs und argumentiert: Ohne Zschäpes Rolle als Hüterin des Zufluchtsortes, der gemeinsamen Wohnung, hätte es die Taten nicht geben können. Vor allem habe zum Gesamtkonzept gehört: Zunächst sollte die Mordserie geheim bleiben. Wenn aber einmal etwas schief gehe und man auffliege, solle die Wohnung samt allen Beweismitteln angezündet und das zutiefst rassistische Bekennervideo verschickt werden, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Dieser zentrale Baustein im Gesamtkonzept sei die planmäßige Aufgabe von Zschäpe gewesen, so das Gericht.

Das Gericht glaubt Zschäpe nicht

Im Laufe der Begründung wird immer klarer: Das Gericht glaubt den Aussagen von Beate Zschäpe so gut wie nicht. Sie hatte ausgesagt, stets erst im Nachhinein von den Taten der beiden Uwes erfahren und diese missbilligt zu haben. Nicht glaubhaft findet das Gericht auch Zschäpes Angaben zur Brandstiftung der Zwickauer Wohnung am 4. November 2011.

In der angrenzenden Wohnung befand sich nämlich eine fast 90-Jährige Frau. Zschäpe hatte argumentiert, sie habe dort noch geklingelt und gerade nicht in Kauf genommen, dass der Frau etwas passieren könnte. Das Gericht sieht das anders und wertet die Tat als "versuchten Mord".

Was bedeutet die Strafe "lebenslang"?

Auf Mord steht laut Gesetz lebenslange Haft. "Das heißt doch ohnehin nur 15 Jahre", hört man immer wieder. Doch das stimmt so nicht.

Nach 15 Jahren wird eigentlich geprüft, ob man eine lebenslange Strafe zu Bewährung aussetzen kann. An dieser Stelle kommt dann die "besondere Schwere der Schuld" ins Spiel, die das Gericht wegen der Vielzahl der Taten festgestellt hat. Das sorgt dafür, dass sich die Prüfung nach 15 Jahren um mehrere Jahre nach hinten schiebt. Dann ist das entscheidende Kriterium: Ist Zschäpe irgendwann nicht mehr gefährlich und kann daher auf Bewährung frei kommen? Solange das nicht der Fall ist, bleibt sie in Haft. Daher sei auch die von der Bundesanwaltschaft beantragte Sicherungsverwahrung nicht nötig, so das Gericht.

Trio contra Netzwerk vor Ort

Viele Angehörige der Opfer und ihre Anwälte vermuten, dass Böhnhardt und Mundlos bei ihren Taten vor Ort Helfer gehabt haben müssen. Davon war in der mündlichen Urteilsbegründung heute nicht die Rede. Richter Götzl betonte dagegen mehrfach seine Ergebnisse der Beweisaufnahme im Gerichtssaal, dass Böhnhardt und Mundlos sich mit Stadtplänen, Adresslisten und persönlichen Notizen akribisch auf die Taten vorbereitet hätten.

In diesem Punkt bleiben sicher offene Fragen, vor allem die drängende nach dem Warum. Allein, weil sie ausländischer Herkunft waren, war die Antwort der Anklagevertreter. Hier werden die Nebenkläger weiter bohren.

Mehr Details im schriftlichen Urteil

Zur Einordnung und zum heutigen Ablauf sei gesagt: Die mündliche Urteilsbegründung ist noch nicht das schriftliche Urteil. Das wird erst in einigen Monaten vorliegen. Es wird zwar keine anderen Inhalte haben, aber sicher viel ausführlicher sein als die knappe Zusammenfassung heute.

Sicher hätte sich zum Beispiel Familie Yozgat schon heute einige Worte zu jenem Verfassungsschützer gewünscht, der im Kasseler Internetcafe anwesend war, als der Sohn der Familie erschossen wurde - von Böhnhardt und Mundlos, wie das Gericht erklärte.

Revision in Karlsruhe

Ein Schlussstrich ist das Urteil auch nach fünfjährigem Prozess gleich in mehrfacher Hinsicht nicht. Es wird sicher eine Revision zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe geben, der die umstrittenen Rechtsfragen überprüfen wird.

Gerade die Frage der Mittäterschaft einer Person im Hintergrund reizt im Fall von Zschäpe die rechtlichen Möglichkeiten aus und ist zumindest kein Selbstläufer. Außerdem hat die Bundesanwaltschaft angekündigt, weiter im NSU-Komplex zu ermitteln. Untersuchungsausschüsse versuchen weiterhin, das Versagen staatlicher Behörden aufzuarbeiten.

Diskussion über André E.

Für Turbulenzen im Gerichtssaal sorgt am Ende noch das Urteil gegen André E. Zwölf Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord hatte die Bundesanwaltschaft gefordert. Zwei Jahre und sechs Monate bekam er heute, weil man ihm laut Gericht nicht mehr als die Unterstützung der terroristischen Vereinigung nachweisen könne.

Als Richter Götzl die Aufhebung des Haftbefehls gegen E. verkündete, jubelten Vertreter der rechtsextremen Szene auf der Besuchertribüne laut. Götzl wies sie heftig zurecht. Der Fall André E. wird weiter für Diskussionen sorgen, vielleicht auch in der Revision. Am Ende dankte Richter Götzl, der über fünf Jahre lang den Gerichtssaal im Griff hatte, allen Beteiligten. Mit heiserer Stimme endete er: "Die Hauptverhandlung ist geschlossen."

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