Biometrisches Gesichtserkennungs-Scanning

"Digital Afterlife" Das Geschäft mit dem virtuellen Weiterleben

Stand: 09.05.2023 12:58 Uhr

Dank moderner Technik können Menschen virtuell nach ihrem Tod weiterleben, beispielsweise als Avatar. Doch hilft das dem Umgang mit Trauer? Was ist mit ethischen Fragen - und wie sicher sind die Daten?

Von Anja Braun, SWR

Im Netz finden sich mittlerweile einige Anbieter, die den Menschen versprechen, von ihnen ein digitales Abbild zu formen, das sie selbst überlebt und später ihren Hinterbliebenen als Vermächtnis dauerhaft bleibt. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erstellen diese Firmen aus dem Datenmaterial eines Verstorbenen zum Beispiel Chatbots, die dann wie dieser schreiben oder sogar sprechen können. Andere Firmen erzeugen virtuelle Avatare, also 3D-Darstellungen, mit denen Hinterbliebene dann auch im virtuellen Raum interagieren können.

Avatare als Gesprächspartner

You, Only Virtual (YOV) ist ein solches US-amerikanisches Start-up. Sein Gründer Justin Harrison wirbt in einem Youtube-Video: "Jeder sollte sich einen Moment nehmen und darüber nachdenken, wie es wäre, wenn man einen Menschen, den man liebt und der einem wichtig ist, zu verlieren." YOV sei eine Kommunikationsplattform, die KI nutze, um Avatare von geliebten Personen zu erstellen. Mit ihnen könne man kommunizieren, nachdem die geliebte Person gestorben sei.

Je mehr Datenmaterial vorhanden ist, desto realistischer kann die Künstliche Intelligenz den Verstorbenen nachahmen. Das führt zu besonderen Situationen: In Südkorea hat sich eine Mutter einen Avatar ihrer verstorbenen siebenjährigen Tochter erstellen lassen, um sie noch einmal zu treffen und sich dann von ihr zu verabschieden. Das Mädchen ist dann symbolisch nochmal gestorben bei der virtuellen Begegnung. Die Mutter erklärt, das habe ihr im Trauerprozess geholfen.

Fällt Abschied so schwerer?

Skeptiker warnen jedoch, Hinterbliebene könnten in einer Art Schleife hängenbleiben und immer wieder mit den Avataren der Verstorbenen Kontakt aufnehmen. Auf diese Weise würden sie sich nicht bewusst machen, dass die Person nicht mehr zurückkommt.

Jessica Heesen forscht an der Universität Tübingen zum Thema Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens und versichert: "Das sagen diejenigen, die wir jetzt schon befragt haben, auch in unserem Forschungsprojekt." Es sei aber auch möglich, dass sich die Kultur diesbezüglich ändert. "So wie wir auch ans Grab gehen und mit den Verstorbenen sprechen, mit dem Grabstein sprechen, sprechen wir vielleicht in Zukunft mit einem Avatar, der dann sogar noch antwortet mit der eigenen Stimme der verstorbenen Person. Das muss jeder und jede für sich entscheiden." 

Virtuelles Weiterleben vor dem Tod planen

Mittlerweile gibt es vor allem in den USA, in Asien und in Großbritannien eine zunehmende Zahl von Menschen, die ihr virtuelles Weiterleben bereits vor ihrem Ableben planen. Sie lassen sich dafür filmen und beantworten Fragen zu ihrem Leben. Später kann die KI ihren Avatar dann damit ausstatten. Eine gern beworbene Anwendung ist zum Beispiel, dass die Stimme des verstorbenen Großvaters später den Enkeln Gute-Nacht-Geschichten vorlesen kann.

Doch mit Hilfe von KI wird bereits versucht, auch neue Antworten zu produzieren: Also neue Aussagen zu erstellen, die nicht in den Originalaufnahmen enthalten sind.

Avatare können manipuliert werden

Dabei wird die Möglichkeit des Missbrauchs der Daten und Avatare selten bedacht. Ein Problem sieht die KI-Ethikerin Heesen zum Beispiel darin, dass bisher nicht geregelt ist, wer Avatare von Verstorbenen erstellen darf. 

So könnten auch Avatare erzeugt werden, nachdem ein Mensch verstorben sei - ohne Zustimmung. "Die können dann vielleicht ein ganz anderes Bild wiedergeben, ein verfälschendes Bild. Oder Avatare können gekapert werden durch Menschen, die manipulative Wünsche haben - und dann sagt vielleicht der verstorbene Großvater plötzlich, dass er auf Seiten der Nationalsozialisten gestanden hätte. Oder er tut Dinge, die wir gar nicht wollen, oder verbreitet Unwahrheiten über Verwandte - das ist alles möglich."

Das kann zu sehr unangenehmen Situationen für die Hinterbliebenen führen. Etwa wenn Avatare der Verstorbenen in Pornos genutzt werden. Ethikerin Heesen fordert, es sollte rechtlich klar geregelt werden, wer befugt ist, über Avatare von Verstorbenen zu entscheiden und wann ein Avatar abgestellt werden darf. Und möglicherweise müssen wir in Zukunft in unseren Testamenten festhalten, dass von uns kein Avatar erstellt werden darf.

Kennzeichnungspflicht als Regulation

Das Problem mit den Chatbots oder Avataren von Verstorbenen ist vergleichbar mit dem, das wir bereits bei Deepfakes haben. Also mit den täuschend echt wirkenden manipulierten Bild- oder Videoaufzeichnungen, die von einer KI erstellt werden. Es gebe große Probleme, generative Künstliche Intelligenz oder Deepfakes zu regulieren, sagt Heesen.

Zunächst böten sich Kennzeichnungspflichten an: "So, dass wir genau wissen, welche Bilder künstlich erzeugt sind und welche eben nicht. Aber das machen natürlich nur Menschen, die gutwillig sind. Die werden solche Bilder kennzeichnen. Diejenigen, die mit schlechtem Willen vorangehen, werden das nicht tun." Deshalb sollte auch das postmortale Persönlichkeitsrecht an diese spezifischen Problemfälle angepasst werden, findet Heesen.

Daten von Verstorbenen werden kommerzialisiert

Auf EU-Ebene gibt es bereits Regulierungsvorschläge für den Einsatz von KI, aber die setzen sich nicht explizit mit dem digitalen Weiterleben Verstorbener auseinander. Trotzdem könnte eine Regulierung auch bei diesen Anwendungen weiterhelfen, denn klar ist: Von den "Digital-Afterlife"-Anwendungen profitieren in erster Linie die großen Datenkonzerne: "Das ist ein Mittel, die Daten von Verstorbenen letztendlich auch zu kommerzialisieren", sagt Heesen.

Und in Zukunft werden noch mehr Daten von Verstorbenen vorliegen. "Wir alle leben ja zum großen Teil im Internet, und unsere Daten sind auch dann noch da, wenn wir verstorben sind. Und wenn man die optimal nutzen will, dann macht man das eben so, dass man eine Wiederbelebung dieser Daten vornimmt. Und in diesen Interaktions-Beziehungen werden dann ja auch die Daten der Lebenden gesammelt."