Der ALICE-Detektor (A Large Ion Collider Experiment), der um den Large Hadron Collider (LHC) bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) gebaut wurde.

70 Jahre CERN World Wide Web, Krebstherapie und Elementarteilchen

Stand: 29.09.2024 13:39 Uhr

Das europäische Kernforschungszentrum CERN feiert sein 70-jähriges Bestehen. Hier wurde unter anderem das World Wide Web erfunden und das berühmte Higgs-Teilchen nachgewiesen. Und es gibt schon ein neues Großprojekt.

Das Mekka für Elementarteilchenphysiker liegt im Nordwesten von Genf. Auf dem rund 600 Hektar großen Gelände an der Grenze zwischen der Schweiz und Frankreich führt CERN-Physiker Sascha Schmeling in eine riesige Halle. 15 Meter lange Röhren lagern dort auf hellblauen Podesten. Die Röhren sind Magnete und hier, in der "Large Magnet Facility" des Kernforschungszentrums, so erklärt Schmeling, werden sie repariert für den "Large Hadron Collider" LHC, den leistungsfähigsten Teilchenbeschleuniger der Welt. "Urknallmaschine" wird er auch genannt. Es geht darum zu verstehen, wie das Universum kurz nach dem Urknall ausgesehen hat.

Entdeckung des Higgs-Teilchens

Mehr als 1.000 Magnete sind am CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) in einem ringförmigen, rund 27 Kilometer langen unterirdischen Tunnel aneinandergereiht. "Sie beschleunigen Protonen auf das 7.000-fache ihrer Ruheenergie", sagt Schmeling. Mit dieser gewaltigen Energie stoßen die Teilchen dann zusammen, und es entstehen neue.

So entdeckten die CERN-Physiker 2012 das Higgs-Teilchen, das jahrzehntelang nur in der Theorie existierte. Der Nachweis des Higgs-Teilchens war der spektakulärste Erfolg in der 70-jährigen Geschichte des CERN. Das letzte fehlende Puzzleteil im sogenannten Standardmodell der Teilchenphysik war damit gefunden.

Wartungsarbeiten am großen Teilchenbeschleuniger LHC am CERN in Genf

Wartungsarbeiten am großen Teilchenbeschleuniger LHC am CERN in Genf.

Medizin profitiert von CERN-Forschung

Von der bahnbrechenden Forschung am CERN profitieren aber auch wir alle - etwa beim Arztbesuch. Wenn zum Beispiel ein sogenannter PET-Scan gemacht wird. PET bedeutet "Positronen-Emissions-Tomographie". Dabei werden wie in CERN-Detektoren Photonen gemessen. So können Stoffwechselprozesse im Gewebe sichtbar gemacht werden.

Auch in der Krebstherapie habe es dank der CERN-Forschung Fortschritte gegeben, sagt Schmeling: "Zum Beispiel die Bestrahlung von Tumoren mit Protonen oder mit schwereren Ionen. Damit können Sie Tumore deutlich besser behandeln als mit Röntgenstrahlen." Man könne so zum Beispiel einen Tumor hinterm Auge bestrahlen, ohne das Auge dabei zu beschädigen.

Geburtsort des World Wide Web

Das CERN ähnelt einer kleinen Stadt. "Rund 15.000 Menschen arbeiten hier jeden Tag", erzählt Schmeling. Auf dem Gelände gibt es neben zahlreichen Hallen und Bürogebäuden mehrere Restaurants, eine internationalen Feuerwehr und eine Ambulanz-Zweigstelle des Genfer Universitätskrankenhauses.

Schmeling führt zum CERN Data Centre, dem Geburtsort des World Wide Web. "In diesen Büros wurden alle fundamentalen Technologien des World Wide Web entwickelt", steht auf einer matt glänzenden Tafel an der Wand eines langen Korridors. Hier also hatte der britische Physiker und Informatiker Tim Berners-Lee Ende der 1980er-Jahre die entscheidende Idee für die Kommunikation im Internet. Hier entwickelte er unter anderem das sogenannte Hypertext Transfer Protocol (http), das Links und damit das Surfen im Netz erst möglich machte. 1993 stellte das CERN den www-Programmcode der Welt lizenzfrei zur Verfügung.

Tim Berners-Lee (Archivbild 1994)

Tim Berners-Lee (Archivbild 1994) entwickelte am CERN die Grundlagen des modernen Internets.

"Musterbeispiel für internationale Zusammenarbeit"

"Wenn diese Technologie lizenziert worden wäre, wäre sie nicht so frei gewesen und man hätte nicht so viel damit entwickeln können", sagt Schmeling. Das CERN habe damit auch seinen "Spirit der internationalen Zusammenarbeit" an wirklich alle weitergegeben.

Auch Joachim Mnich, Direktor für Forschung und Computing am CERN sieht in dem Genfer Forschungszentrum ein "Musterbeispiel für internationale Zusammenarbeit". Die 1954 gegründete Einrichtung sei ein europäisches Flaggschiffprojekt "nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch darüber hinaus, als Zeichen für friedvolle Kollaboration".

Die Zahl der Mitgliedsländer ist seither von ursprünglich zwölf auf 24 gewachsen, hinzu kamen außerdem "assoziierte Mitgliedsstaaten", darunter Indien, Brasilien und Pakistan. Mit Russland dagegen war die Zusammenarbeit nach dem Großangriff auf die Ukraine vorbei. Als Friedensprojekt versteht sich das CERN weiterhin.

Zukunftsprojekt FCC

Den 70. Geburtstag der europäischen Forschungsorganisation zu feiern sei für ihn eine große Freude, sagt CERN-Direktor Joachim Mnich: "Wenn man zurückschaut auf die 70 Jahre des CERN, haben wir sehr, sehr große Fortschritte gemacht. Im Verständnis: Was sind eigentlich die fundamentalen Bausteine, aus denen wir bestehen? Was sind die Kräfte, die diese Bausteine zusammenhalten?"

Für die Zukunft plant das CERN nun einen noch leistungsstärkeren Teilchenbeschleuniger als den LHC - den rund 91 Kilometer langen "Future Circular Collider" - kurz FCC. Eine Machbarkeitsstudie soll 2025 präsentiert werden. Die Kosten für das neue Megaprojekt werden schon jetzt auf 16 Milliarden Euro geschätzt. Es sei eine Investition für den Rest dieses Jahrhunderts, sagt Mnich.

"Wir haben noch so viele Fragen an das Higgs und an die fundamentalen Teilchen, aus denen wir bestehen", erklärt er. "Wo ist die Anti-Materie im Universum geblieben? Was ist eigentlich die dunkle Materie?" Von ihr wisse man, dass sie existiert, habe aber noch keine Idee, was es eigentlich ist.

Der Wissenschaftler beschreibt den Auftrag des CERN mit einem Goethe-Zitat. "Wir erforschen, was die Welt im Innersten zusammenhält."