Luftaufnahme eines Baches neben einem Feld

Grenzwerte häufig überschritten Pestizide in Bächen gefährden Artenvielfalt

Stand: 29.08.2023 05:13 Uhr

In 80 Prozent der Bäche in Deutschland ist der Grenzwert für Pestizide überschritten, so eine Studie des Umweltbundesamts. Das ist schlecht für Libellenlarven oder Eintagsfliegen. Helfen breitere Gewässerrandstreifen? 

Von Rebekka Markthaler, BR

Sebastian Hanfland ist leidenschaftlicher Fischer. Doch der Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes Bayern macht sich Sorgen. Denn die Artenvielfalt an vielen Bächen leidet. An einem kleinen Bach nördlich von München steigt er mit Kescher und Dosenlupe ins Wasser. Er hofft, viele unterschiedliche Insektenlarven zu finden: "Am besten wäre es, wenn ich eine Steinfliege finden würde. Die zeigt eine sehr gute Wasserqualität an, aber auch Eintagsfliegen oder gewisse Köcherfliegenlarven wären gut." Die sind wichtige Nahrung für Fische.

Doch Hanfland wird enttäuscht: Er findet nur eine einzige Eintagsfliegenlarve. Und auch der Mangel an Wasserpflanzen macht ihm Sorge.

Studie mit erschreckenden Ergebnissen

Links und rechts des Baches sind Maisfelder. Zum Schutz vor tierischen Schädlingen, Pilzen oder Unkraut spritzen konventionelle Landwirte auf ihren Flächen Pestizide. Pflanzenschutzmittel, die die Nutzpflanzen schützen, aber schädliche "Zielorganismen" abtöten. Gelangen diese Pestizide ins Wasser, leidet die Artenvielfalt. Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes kommt zu dem Ergebnis, dass in vielen kleinen Gewässern zu hohe Rückstände von Pflanzenschutzmitteln zu finden sind. Laut neuen Ergebnissen dieser Studie geht die Belastung vor allem von der Landwirtschaft aus.

Die Studie zeigt: Je mehr Pflanzenschutzmittel auf umliegenden Äckern verwendet wurden, desto stärker waren die Gewässer belastet. Die Wissenschaftler unter der Leitung des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung haben dafür deutschlandweit 124 Gewässerabschnitte untersucht. In mehr als 80 Prozent der Gewässerabschnitte wurden die gesetzlichen Grenzwerte für Pflanzenschutzmittel überschritten.

Gefahr: Abschwemmung bei Starkregen

Laut Studienergebnissen gelangt ein Großteil der Pflanzenschutzmittel durch Abschwemmung bei Regen von den Feldern in die Gewässer. Zwar achten Landwirte darauf, nicht zu spritzen, wenn Regen angesagt ist. Der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Günther Felßner, betont außerdem: Die Landwirte seien unglaublich achtsam, wenn sie Pflanzenschutzmittel einsetzen.

Dennoch konnten die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums gerade im Frühjahr und Sommer, wenn viele Kulturen gespritzt werden, eine erhöhte Konzentration von Pestiziden in Gewässern nachweisen.

Bäche ohne Artenvielfalt

Matthias Liess, Gewässerökologe am Helmholtz-Zentrum in Leipzig und Leiter der Studie, erklärt, dass die Pestizide einige Tage in einer relativ hohen Konzentration auf den Pflanzen bleiben, bevor sie vollständig abgebaut sind. Kommt es in dieser Zeit zu unvorhersehbarem Starkregen, können die Pestizide in umliegende Gewässer gespült werden: "Wenn wir starke Niederschläge haben, so dass das Wasser nicht versickern kann, fließt es oberflächlich ab, also über die Felder in die Gewässer rein."  

Bäche und Entwässerungsgräben sind wichtige Lebensräume für Insekten wie Libellen oder Eintagsfliegen, deren Larven wiederum Fischen wertvolle Nahrung liefern. In ihrer Studie stellten die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums einen dramatischen Einbruch dieser Biodiversität an den Stellen fest, an denen die Grenzwerte für Insektenschutzmittel überschritten wurden. Dabei wurden neben Pestiziden auch andere Faktoren wie die Struktur der Gewässer, die Temperatur und der Sauerstoffgehalt untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass es sehr deutliche Effekte der Pestizide auf die Tierwelt gibt.

Bayern: Schlusslicht bei Gewässerschutz

In Bayern müssen erst seit August 2019 an naturnahen und natürlichen Bereichen fließender oder stehender Gewässer Randstreifen eingehalten werden. Bayern ist damit das letzte Bundesland, das diese Schutzmaßnahme durchgesetzt hat. Auslöser war das Volksbegehren "Rettet die Bienen". Seitdem dürfen die Randstreifen nicht acker- oder gartenbaulich genutzt werden und dienen als Puffer, der im Fall von Starkregen Düngemittel und auch Pflanzenschutzmittel zurückhalten soll. Die Breite dieser Gewässerrandstreifen hängt davon ab, um welches Gewässer es sich handelt und wer der Eigentümer der Flächen ist.

Bei Bächen und Weihern, in der Fachsprache Gewässer dritter Ordnung, ist aktuell eine Breite von fünf Metern Pflicht. Das ist aber laut Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums nicht genug. Nach Ergebnissen ihrer Studie müssten Gewässerrandstreifen eine Breite von mindestens 18 Metern haben, um Bäche und Weiher effektiv vor Pflanzenschutzmitteln zu schützen.

Landwirte: Keine breiteren Streifen

Diese Forderung stößt bei Landwirten auf Kritik. Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, befürchtet einen Flächenverlust: "Ich glaube, das ist der falsche Weg." In Bayern gibt es mehr als 90.000 Kilometer Gewässer dritter Ordnung. Bei breiteren Gewässerrandstreifen würden Landwirte viel Fläche verlieren.

Landwirt Hermann Greif betreibt in Oberfranken biologischen und konventionellen Ackerbau - rund 8.000 Quadratmeter nehmen dabei Gewässerrandstreifen ein. Er will keine breiteren Schutzstreifen: "Wir haben in Franken Flächen, die oft nicht breiter als 20 oder 30 Meter sind. Das würde also bedeuten, man würde ganze Flächen an einem Bach verlieren." Statt neuer Vorschriften setzt er auf einen kooperativen Natur- und Wasserschutz, der auf die individuellen Gegebenheiten eingeht.

Warum kein Gewässerschutz für Gräben?

Aber nicht alle Gewässer werden durch Randstreifen geschützt. Sebastian Hanfland, Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes Bayern, kritisiert, dass die Wasserwirtschaftsämter damit hinterherhinken, alle Bäche zu katalogisieren, bei denen Gewässerrandstreifen nötig wären.

Außerdem sind Entwässerungsgräben ausgenommen: Gräben, die überschüssiges Wasser abtransportieren und sich oft wie ein Netz durch Ackerflächen oder Wiesen ziehen. Auch über diese Gräben landen Pflanzenschutzmittel in größeren Gewässern. Außerdem bieten auch Gräben Lebensraum für Insekten und Amphibien.

Hier bräuchte es dringend Nachbesserungen, fordert Richard Mergner, Vorsitzender des Bund Naturschutz Bayern: "Klar ist es eine Einschränkung für die konventionellen Landwirte, die entsprechende Spritzmittel anwenden. Das muss dann finanziell ausgeglichen werden. Aber wir können es nicht zulassen, dass Kleinlebewesen in den Zuläufen zu unseren Bächen und Flüssen belastet werden."

Probleme bei der Zulassung von Pestiziden

Gewässerökologe Liess vom Helmholtz-Zentrum kritisiert, dass Pflanzenschutzmittel bei der Zulassung unter unrealistischen Bedingungen geprüft werden. Das Problem sei, dass Pflanzenschutzmittel unter Laborbedingungen getestet werden. Im Freiland oder in Gewässern in freier Natur hätten die Tiere allerdings durch weniger Nahrung, Sauerstoffarmut und Konkurrenz mehr Stress.

Diese Faktoren seien nicht ausreichend in den Testsystemen bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln berücksichtigt. "Arten werden viel empfindlicher gegenüber Schadstoffen, wenn sie zusätzlichen Stress haben", so Liess.

Verschärfungen aktuell nicht in Sicht

Bislang wird die Diskussion über Pflanzenschutzmittel in Kleingewässern hauptsächlich unter Experten geführt. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich zu den neuen Ergebnissen der Studie noch nicht öffentlich geäußert. Pläne zur Anpassung der aktuellen Regelungen gibt es in Deutschland nicht. Allerdings plant die EU derzeit eine Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Das Ziel: Den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Doch eine Abstimmung im Agrarausschuss des EU-Parlaments wurde weiter nach hinten geschoben.