Wellen brechen auf offenem Wasser der Nordsee.
interview

Schutz der Weltmeere "Umsetzung ist entscheidend"

Stand: 28.02.2023 12:46 Uhr

Bei der UN-Konferenz zum Schutz der Hochsee gibt es noch einige Streitpunkte. Dennoch zeigt sich Umweltministerin Lemke im Interview optimistisch, eine Einigung zu erreichen. Entscheidend sei jedoch die Umsetzung hinterher.

tagesschau.de: Frau Lemke, wenn wir über die Hochsee reden, worüber sprechen wir dann?

Steffi Lemke: Wir reden über einen Bereich, für den es bisher kaum Faktoren für den Schutz der Meeresumwelt gibt. Das heißt die Hohe See, wo wir gegenwärtig nur für die Schifffahrt zum Beispiel das UN-Seerechtsübereinkommen haben.

Und jetzt verhandelt die internationale Staatengemeinschaft darüber, das erste Mal für den Bereich der Hohen See Schutzziele verbindlich festzulegen und Schutzregelungen verbindlich im Rahmen der Vereinten Nationen zu treffen. Das wäre ein historischer Durchbruch, wenn das gelingen würde.

Bislang wenige Regeln

tagesschau.de: Warum gibt es bisher noch keine Regelungen für diesen Bereich?

Lemke: Es ist ein riesengroßes Gebiet. Wenn wir uns anschauen, wie weit die Erde von den Weltmeeren bedeckt ist, dann ist das ein fast nicht vorstellbar großes Gebiet. Dort Schutzregelungen festzulegen, ist faktisch relativ schwierig. Und man hatte sich auf Ebene der Vereinten Nationen in den letzten Jahrzehnten eben auf Regelungen für die Schifffahrt verständigt. Wir diskutieren auch über die Frage, ob Tiefseebergbau erlaubt werden sollte. Hier vertritt die Bundesregierung die Auffassung: Solange wir noch überhaupt keine Erkenntnisse über potenzielle Schädigungen haben, sollte man das nicht tun.

Und jetzt geht es das erste Mal darum, auch Schutzgebiete dort festlegen zu können, die bisher nur in den Küstenmeeren möglich sind oder in der ausschließlichen Wirtschaftszone der jeweiligen Länder. Und jetzt auf der hohen See ermöglicht uns Satellitentechnik das erste Mal, solche verbindlichen Regelungen auch überwachen zu können.

"Weltmeere überlebenswichtig für uns"

tagesschau.de: Was weiß man über die Hochsee und auch die Tiefsee? Warum ist der Schutz da so wichtig?

Lemke: Weil die Weltmeere generell für uns von essenzieller Bedeutung sind. Sie sind überlebenswichtig für uns, für die Sauerstoffproduktion, vor allem aber auch für die Klimaregulation. Und sie sind natürlich ein sehr großer Hort von biologischer Vielfalt, die wir in der Tiefsee noch gar nicht kennen und noch gar nicht erforscht haben.

Und die Frage, ob wir das Montreal-Abkommen erreichen - im letzten Dezember wurde im Weltnaturschutzabkommen vereinbart, 30 Prozent der Weltmeere unter Schutz zu stellen -, hängt auch davon ab, ob dieses Hochseeschutzabkommen geschlossen werden kann, auf das sich dann verbindlich die internationale Staatengemeinschaft festlegen müsste.

Wichtige Detailfragen

tagesschau.de: Im Moment sieht es ja so aus, dass die Verhandlungen ein bisschen ins Stocken geraten sind. Es geht dabei etwa darum, wann wer überprüfen wird, ob bestimmte Dinge der Tief- und der Hochsee schaden. Wie weit sind diese Verhandlungen an diesen Punkten?

Lemke: Die Verhandlungen sind seit mehreren Jahren im Gange und durch Corona - wie viele andere internationale Abkommen - sehr stark verzögert worden. Deshalb bin ich froh, dass diese Verhandlungsrunde jetzt auf jeden Fall stattfindet in New York und hoffentlich einen Durchbruch erreicht oder zumindest viele Schritte nach vorne gehen wird.

Die geopolitische Situation ist für solche Abkommen nicht leichter geworden. Aber wenn ich schaue, dass in Montreal das Weltnaturschutzabkommen getroffen werden konnte, dann hoffe ich auch, dass wir hier bei den Detailfragen - wie die Schutzmechanismen stattfinden, wie Kontrolle stattfindet, welche Institution die Kontrolle dann tatsächlich übernimmt und wie die Finanzierung stattfindet - große Schritte nach vorne gehen, die am Ende des Tages auch zum Durchbruch reichen werden.

"Neustart für den Schutz der hohen See"

tagesschau.de: Wie ist denn die deutsche Position? Wer soll wann die Tiefsee und die Hochsee schützen?

Lemke: Das Wichtigste ist für mich, dass wir ein verbindliches Übereinkommen hinbekommen, dem dann möglichst viele Staaten auch beitreten. Im Moment bin ich, was die Anzahl der Staaten anbetrifft, sehr zuversichtlich. Und wir müssten dann einen Schutzmechanismus aufsetzen, der ähnlich wie für das Klimaschutzabkommen oder das Weltnaturschutzabkommen auch die Regeln und die Einhaltung überwacht und sie überhaupt erst einmal implementiert.

Wir sind ja hier noch viel weiter am Anfang, als wir das bei den Klimaschutzabkommen und beim Weltnaturschutzabkommen sind. Das heißt, es würde ein Neustart dann für den Schutz der hohen See nach sich ziehen, wenn wir das Abkommen hinbekommen. Und die Institution müsste dann im Rahmen der Vereinten Nationen aufgebaut werden. Aber dafür gibt es viele Erfahrungsprozesse. Das Entscheidende ist, den politischen Durchbruch hinzubekommen. Die technischen Regelungen sind dann kein Hexenwerk.

Knackpunkt Finanzen

tagesschau.de: Ein weiterer Streitpunkt scheint der Umgang mit genetischen Meeresressourcen zu sein. Das heißt: Wenn aus Meeresorganismen zum Beispiel Medikamente gewonnen werden, fordern ärmere Länder einen finanziellen Ausgleich, wenn Industrienationen daraus Profite machen. Was ist die deutsche Position dabei?

Lemke: Das ist generell bei der Frage von Naturnutzung in internationalen Abkommen ein immer schwieriger Diskussionspunkt, auch bei den Schutzgebieten an Land. Bei dem Montrealer Abkommen war auch das einer der wichtigsten Diskussionspunkte. Die Anliegen der Länder mit besonders hoher biologischer Vielfalt sind natürlich völlig berechtigt, und wir haben in Montreal dazu eine zusätzliche Finanzierungszusage verhandelt.

Und auch hier würden die Länder, die am meisten von solchen Entwicklungen profitieren, dann über einen Fonds - dafür gibt es bereits vorhandene Finanzierungsinstrumente - Ausgleichszahlungen dafür leisten. Die Frage ist, ob der politische Wille vorhanden ist, dafür eine ausreichend hohe Summe zur Verfügung zu stellen. Aber wenn wir wollen, dass Natur geschützt und weniger verschmutzt wird als bisher, dann brauchen wir dafür auch globalen Ausgleich.

"Stimmt mich erst mal zuversichtlich"

tagesschau.de: Wie groß ist denn der politische Wille aus Ihrer Sicht?

Lemke: Ich glaube, dass er in den letzten Jahren deutlich größer geworden ist, weil wir inzwischen immer mehr Erkenntnisse darüber haben, dass der Ozean für die Klimaregulation so unglaublich wichtig ist und dass er deshalb Schutz braucht. Andererseits sind die Nutzungsansprüche größer geworden, dehnen sich stärker über die nationalen Grenzen der jeweiligen Staaten und ihrer Küstengewässer und ausschließlichen Wirtschaftszone auf die hohe See aus. Dort wird versucht, immer weitere Nutzungen aufzubauen. Tiefseebergbau ist einer der Bereiche.

Deshalb ist klar geworden, dass wir Regeln brauchen, und dass es nicht ausreicht, die Schifffahrt zu regeln, sondern dass wir auch darüber hinausgehende Nutzungen regeln müssen. Und die Tatsache, dass Montreal trotz der schwierigen geopolitischen Situation geklappt hat, die Staaten gesagt haben: 'Wir wollen weltweit die Natur besser schützen', stimmt mich erst mal zuversichtlich, dass wir hier zumindest große Schritte vorangehen können, weil die Menschheit begreift, dass wir zumindest regelbasiert die Natur nutzen, weil es ansonsten auf das Recht des Stärkeren hinauslaufen würde.

Umsetzung ist wichtig

tagesschau.de: In Montreal hat es sehr zähe Verhandlungen gegeben. Sind so Riesenkonferenzen überhaupt noch zielführend?

Lemke: Wenn ich Montreal als Beispiel nehme, definitiv ja. Es ist dort ein großer Durchbruch erreicht worden. Es wurde festgelegt, dass der Pestizideinsatz weltweit reduziert werden muss und dass umweltschädliche Subventionen abgebaut werden müssen.

Und es waren ja auch Industriestaaten, es waren China, das die Verhandlungsführerschaft hatte, und Indien beteiligt, also auch Schwellenländer, die gerade eine sehr starke Entwicklung durchlaufen. Und dennoch wurden diese starken Schutzziele festgelegt. Das war ein historischer Durchbruch, vergleichbar mit dem Pariser Abkommen für den Klimaschutz.

Die entscheidende Frage ist, ob die Länder es jetzt auch in ihrer nationalen Verantwortung tatsächlich umsetzen. Das heißt gar nicht so sehr das internationale Bekenntnis zum Schutz, sondern die nationale Umsetzung dann in der Realität. Und da hat es in der Vergangenheit sowohl beim Klimaschutz, als auch beim Schutz der Natur gehapert.

Das liegt aber eben auch in unserer Verantwortung. Darum ringen wir ja auch in der Bundesregierung, wie wir Naturschutz und Klimaschutz voranbringen. Und deshalb ist aus meiner Sicht die internationale Verhandlungsebene Rückenwind für das, was wir als Regierungen in den jeweiligen Ländern dann tatsächlich umsetzen müssen.

Schwierige Umsetzung

tagesschau.de: Aber wäre es nicht sinnvoller, wenn Industriestaaten oder reiche Länder wie Deutschland noch deutlicher vorangehen würden?

Lemke: Ja, da gebe ich Ihnen recht. Wir sind das beim Naturschutz und auch beim Klimaschutz in vielen Bereichen gegangen. Wir ziehen damit auch andere Länder mit uns. Wir sind aber jetzt sowohl beim Klimaschutz wie auch beim Naturschutz in der Verantwortung, hier unsere eigenen Ziele in Deutschland umzusetzen, die Klimaschutzziele und die Biodiversitätsziele einzuhalten.

Und wir stoßen dann wie fast immer bei solchen Dingen an die Grenzen dessen, was politisch auch in einer Regierungskoalition geht, in der wir sind in einem föderalen Staat. Die Kommunen müssen mitziehen, die Gemeinden, die Bürgerinnen und Bürger müssen mitgenommen werden. All das jetzt in die Realität umzusetzen, das macht dann die Schwierigkeit nach dem internationalen Beschluss aus.

Mehr Tempo nötig

tagesschau.de: Nun sagen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass das Zeitfenster für genau diese Arbeit nicht mehr sehr lange offensteht. Was sagen Sie da? Wie viel Tempo müssten Sie dann machen, damit das geschafft wird?

Lemke: Wir haben ja Tempo in diese Ebene hineingebracht, sowohl mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, mit dem wir in Deutschland jetzt das erste Mal wirklich große finanzielle Summen für den Naturschutz und die Renaturierung zur Verfügung stellen. Wir wollen vier Milliarden in den nächsten vier Jahren einsetzen, das ist ein Paradigmenwechsel für den Naturschutz in Deutschland.

Und wir haben auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien inzwischen Bremsklötze weggehauen und sind dabei, sowohl bei der Windkraft als auch bei der Photovoltaik sehr starke Schritte nach vorne zu gehen.

Man merkt, dass hier andere politische Entscheidungen als von den Vorgängerregierungen jetzt vorangetrieben werden. Aber wir sind jetzt ein gutes Jahr im Amt und haben natürlich noch nicht alles, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten versäumt wurde, bewältigen können. Deshalb ist es wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger mitgehen können, dass wir gemeinsam solche Transformationsprozesse für mehr Natur- und Klimaschutz hinbekommen. Und wir müssen natürlich das aufrecht erhalten, was einen Industriestandort wie Deutschland ausmacht. Und das ist mit Wasserstofftechnologie, den erneuerbaren Energien für den Klimaschutz und Renaturierung für den Naturschutz jetzt auf den Weg gebracht.

Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert.