Zerstörung nach Hurrikan "Ian" in Fort Myers Beach, Florida, am 29. September 2022.

Bericht des Weltklimarats "Die Klima-Zeitbombe tickt"

Stand: 20.03.2023 16:59 Uhr

Deutlich wie nie zuvor hat der Weltklimarat vor dem Klimawandel gewarnt und drastische Maßnahmen gefordert, um den CO2-Ausstoß zu verringern. Denn die 1,5-Grad-Grenze werde schon im nächsten Jahrzehnt überschritten.

Der Klimawandel schreitet schneller voran und seine Folgen sind verheerender als zunächst gedacht. Zu dieser Einschätzung kommt der Weltklimarat (IPCC) in seinem im schweizerischen Interlaken vorgestellten Abschlussbericht.

Fast alle Szenarien für den kurzfristigen Treibhausgasausstoß der Menschheit sagten eine Erderwärmung um 1,5 Grad im Zeitraum 2030 bis 2035 voraus, heißt es im sogenannten Synthesebericht. "Das Tempo und der Umfang der bisherigen Maßnahmen sowie die derzeitigen Pläne sind unzureichend, um den Klimawandel zu bekämpfen", so die Wissenschaftler. Durch eine "tiefgreifende, schnelle und anhaltende Verringerung der Emissionen" könne die internationale Gemeinschaft aber "eine sichtbare Verlangsamung der Erderwärmung" erreichen.

Drastische Maßnahmen notwendig

Um die Zunahme der Temperatur auf 1,5 oder maximal zwei Grad Celsius zu beschränken, müssten noch in diesem Jahrzehnt die Treibhausgasemissionen in allen Sektoren drastisch reduziert werden, andernfalls werde die Marke überschritten. Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen hätten Auswirkungen auf die nächsten Jahrtausende, heißt es in dem Report weiter.

Der Weltklimarat geht aber selbst in den beiden optimistischsten Szenarien mit sehr deutlicher Emissionsminderung davon aus, dass die Erwärmung 1,5 Grad vorübergehend überschreiten dürfte - und dies für mehrere Jahrzehnte. Warum, sei klar: "Öffentliche und private Finanzströme für fossile Brennstoffe sind immer noch größer als die für Klimaanpassung und Klimaschutz", schreiben die Wissenschaftler.

Dabei hätte auch ein solches nur temporäres Überschreiten unumkehrbare Folgen, etwa das Schmelzen von Gletschern oder der Anstieg des Meeresspiegels. Der Vorsitzende des Rates, Hoesung Lee, betonte zugleich: "Wenn wir jetzt handeln, können wir noch eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle sichern."

65 Prozent weniger Emissionen bis 2035

Die Erwärmung liegt bereits bei rund 1,1 Grad. Nach Angaben der UN steuert die Welt selbst mit den bisher gemachten Zusagen zur Einsparung von Treibhausgasen auf einen Temperaturanstieg von bis zu 2,6 Grad zu.

Die Staatengemeinschaft hatte sich 2015 im Pariser Klimaabkommen darauf geeinigt, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Allerdings steigen die Emissionen derzeit statt zu sinken - nach einem kleinen Rückgang wegen der Corona-Pandemie geht es wieder steil nach oben.

Doch die weltweiten CO2-Emissionen müssten bis 2030 um 48 Prozent gegenüber 2019 sinken, um die Erderwärmung bei 1,5 Grad zu begrenzen. Bis 2035 müssten die Emissionen sogar um 65 Prozent gegenüber 2019 sinken, so der Weltklimarat.

"Bedrohung für das menschliche Wohlbefinden"

"Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das menschliche Wohlbefinden und die Gesundheit des Planeten", heißt es in dem Bericht. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung, bis zu 3,6 Milliarden Menschen, leben demnach in Regionen, die besonders starke Folgen des Klimawandels erleben dürften.

Schon jetzt sind Folgen wie häufigere und stärkere Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürren sichtbar, etwa die Hitze und Überschwemmungen in Indien und Pakistan im Jahr 2022 und die anhaltende Dürre südlich der Sahara. In Somalia könnte es laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) wegen der Dürre im vergangenen Jahr bis zu 43.000 zusätzliche Todesfälle gegeben haben.

Guterres: "Überlebensleitfaden für die Menschheit"

UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor den verheerenden Folgen des Klimawandels. "Die Klima-Zeitbombe tickt. Aber der heutige IPCC-Bericht ist ein Leitfaden zur Entschärfung der Klima-Zeitbombe. Er ist ein Überlebensleitfaden für die Menschheit", sagte er in einer Video-Schalte bei der Vorstellung des Berichts.

Er forderte einen Quantensprung bei den Klimaschutzmaßnahmen wie dem Ausbau grüner Energie. Die Klimabemühungen müssten in jedem Land und in jedem Sektor massiv beschleunigt werden. Die Welt brauche Klimamaßnahmen an allen Fronten. Er forderte die reichen Staaten auf, Klimaneutralität möglichst schon bis 2040 zu erreichen. Deutschland strebt das bislang bis 2045 an und gehört damit zu den ehrgeizigsten Ländern der Welt.

Baerbock: Sägen an unserem Ast

Außenministerin Annalena Baerbock zufolge macht der Bericht "mit brutaler Klarheit deutlich, dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir als Weltgemeinschaft sitzen. 1,5 Grad sind die Schmerzgrenze des Planeten", erklärte die Grünen-Politikerin. Der Bericht gebe aber auch Hoffnung, ergänzte die Ministerin: "Es ist weiterhin möglich, die 1,5 Grad in Reichweite zu halten, wenn wir in den nächsten sieben Jahren die globalen Emissionen halbieren."

Die Menschheit habe das nötige Wissen, die passenden Technologien und auch die finanziellen Mittel, erklärte Baerbock. Deshalb setze sie sich mit der Bundesregierung für eine ambitionierte globale Klimapolitik ein. "Denn unsere Entscheidungen von heute werden die Welt für Jahrtausende prägen."

Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) forderte ebenfalls größere Anstrengungen zur Bewältigung der Klimakrise. "Jedes zusätzliche Zehntelgrad macht es uns schwerer, die Klima-Auswirkungen in einem Ausmaß zu halten, mit dem wir als Gesellschaft und Volkswirtschaft noch umgehen können", sagte Lemke. Die Anpassung an die Klimakrise habe Grenzen. Deshalb sei es nötig, den Ausstoß von Treibhausgasen weltweit drastisch zu begrenzen.

NGOs nehmen Bundesregierung in die Pflicht

Die Umweltorganisation Germanwatch forderte angesichts des Berichts die Bundesregierung auf, "keine weitere Zeit" zu verlieren. Die Ampel-Koalition müsse "jetzt die notwendigen Beschlüsse für den Umbau des Verkehrs- und Gebäudesystems, für die Beschleunigung des Ausbaus Erneuerbarer und der Energieeffizienz fassen", erklärte der politische Geschäftsführer der Organisation, Christoph Bals. Außerdem müssten Investitionen in fossile Energieträger wie Erdöl und Erdgas eingestellt werden.

Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid mahnte, die Ampel-Koalition müsse ihr "lähmendes Hickhack um E-Fuels, Tempolimit und LNG-Überkapazitäten endlich beenden". "Wer sich jetzt noch einer kompletten Umstellung auf erneuerbare Energien und einem Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas entgegenstellt, ignoriert die eindringlichen Warnungen der Klimawissenschaft", hob er hervor. Angesichts der sich beschleunigenden Klimakrise zähle "jeder Tag".

Es komme jetzt darauf an, "politisch Verantwortung für künftige Generationen zu übernehmen", sagte Viviane Raddatz vom WWF. Schließlich verdeutliche der Bericht "unmissverständlich die bereits verheerenden Auswirkungen der Klimakrise auf die Menschheit und Ökosysteme weltweit". Andererseits zeige er "sehr klar, dass wir dieser kolossalen Herausforderung gewachsen sind, wenn wir jetzt entschieden handeln."

UN-Gremium zur Erderwärmung

Der Weltklimarat mit Sitz in Genf ist das führende internationale Gremium zu wissenschaftlichen Fragen und Antworten rund um die Erderwärmung. Das neue Dokument beruht auf sechs Berichten, die Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit gut acht Jahren erarbeitet haben.

Es fasst ihre Erkenntnisse zusammen und soll als Handlungsgrundlage für die Politik dienen. Das Dokument gilt als wichtige diplomatische Grundlage für kommende Klimaverhandlungen. Dem Weltklimarat gehören 195 Staaten an.

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