Erdkugel aus dem All gesehen

Studie von Schweizer Forschern "Die globale Erwärmung ist beispiellos"

Stand: 24.07.2019 19:51 Uhr

Klimaschwankungen gab es auch schon früher? Stimmt - aber Schweizer Forscher belegen nun einen entscheidenden Unterschied: Noch nie gab es einen Temperaturanstieg auf der ganzen Welt gleichzeitig.

Von Günter Marks, ARD-aktuell

Das gängige Argument gegen den menschengemachten Klimawandel ist simpel: Klimaschwankungen habe es auch schon immer gegeben. Insofern sei die derzeitige Klimaerwärmung eine natürliche Erscheinung. Es gebe also keinen Grund zur Panik, lautet es. Diese Argumentation ist vor allem deshalb so einfach, weil sie auch ohne wissenschaftliche Grundlage funktioniert. Denn es ist eine Binse, dass sich das Klima immer ändert. Dem widerspricht auch kein Forscher. Dennoch haben Wissenschaftler der Universität Bern das Argument nun weitgehend entkräftet.

In der Fachzeitschrift "Nature" schreiben Raphael Neukom und sein Team des Geografischen Instituts der Universität Bern nun, dass es einen erheblichen Unterschied zwischen den früheren Kalt- und Warmzeiten sowie der derzeitigen Klimaerwärmung gibt. In früheren Zeiten traten die Klimaschwankungen vor allem regional und zu unterschiedlichen Zeiten auf. Zurzeit würden die Temperaturen überall auf der Welt und gleichzeitig steigen.

Die wärmste Periode der vergangenen zwei Jahrtausende habe im 20. Jahrhundert auf 98 Prozent der Erde stattgefunden, schreiben die Berner Wissenschaftler. "Das ist ein starker Hinweis, dass die von Menschen verursachte globale Erwärmung beispiellos ist."

Erkenntnisse nicht grundlegend neu

Die Erkenntnisse der Berner Wissenschaftler sind nicht grundlegend neu. "Es gab beispielsweise bereits kontinentale Rekonstruktionen, die ebenfalls zeigten, dass die Phasen nicht gleichzeitig waren", teilte Institutsmitarbeiter Stefan Brönnimann tagsschau.de schriftlich mit. Diese Modelle hätten aber nur die Landoberflächen betroffen. In der neuen Studie seien verschiedene Rekonstruktionen erstellt worden, die jeweils die ganze Erde - also Land und Meer - abdecken. "Außerdem wurde systematisch nach den einzelnen Perioden gesucht", so Brönnimann.

Ähnliche Rechnungen vor zehn Jahren

"Es stehen mittlerweile mehr und bessere Daten als früher zur Verfügung, die besagen, was durchaus schon vermutet wurde", sagte Martin Claußen vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg im Gespräch mit tagesschau.de. "Wir haben schon vor zehn Jahren Rechnungen durchgeführt, die auf ähnliche Erkenntnisse hindeuteten."

Auch dem Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel sind die Erkenntnisse nicht ganz neu. Aber die Studie zeige in großer Deutlichkeit den wesentlichen Punkt, so Latif gegenüber tagesschau.de. "Wir haben jetzt eine Entwicklung, die tatsächlich global abläuft, während die anderen in den früheren Epochen eher einen regionalen Charakter hatten."

Klimadaten der vergangen 2000 Jahre

Die Berner Wissenschaftler nutzten für ihre Studie eine Datenbank des internationalen Forschungskonsortiums PAGES (Past Global Changes). Sie umfasst einen Überblick von Klimadaten der vergangen 2000 Jahre. Neben Jahresringen von Bäumen untersuchten die Forscher auch Eisbohrkerne und See-Sedimente. Darüber hinaus lasen sie zum Beispiel an Korallen die Veränderungen der Wassertemperatur ab.

Nach eigenen Angaben werteten die Wissenschaftler diese Datensätze mit sechs unterschiedlichen statistischen Methoden aus - "so vielen wie noch nie", schreiben sie in einer Mitteilung. Es seien "nicht nur absolute Temperaturwerte, sondern auch die Wahrscheinlichkeit von extrem warmen oder kalten Jahrzehnten und Jahrhunderten" gemessen worden.

"Die Minimal- und Maximaltemperaturen waren räumlich sehr unterschiedlich verteilt", so Studienleiter Neukom in der Mitteilung. Aus regionalen Temperaturphänomenen wie zum Beispiel der "Mittelalterlichen Warmzeit" in Europa und Nordamerika zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert sowie der "Kleinen Eiszeit" vom 15. bis 19. Jahrhundert im europäisch-atlantischen Raum könne nicht auf globale Wärmeextreme geschlossen werden.

Der überflutete Bagmati-Fluss in Kathmandu, Nepal.

Der überflutete Bagmati-Fluss in Kathmandu, Nepal. Experten sehen den Klimawandel als Ursache für Überschwemmungen und Erdrutsche.

Intensive Abfolge von Vulkanausbrüchen

Entscheidend für die Erderwärmung ist das Treibhausgas CO2. Claußen sagt, dass CO2 normalerweise aus der Atmosphäre von der Vegetation aufgenommen und über die Bakterien im Boden wieder in die Luft zurückgeführt werde. Oder es gelange mit der Plattentektonik in den oberen Erdmantel und über den Vulkanismus wieder in die Atmosphäre. Das sei ein natürlicher Kreislauf.

"Die Erwärmung der letzten Dekaden kann man aber nur damit erklären, dass wir zurzeit diesen Kohlenstoffkreislauf kurzschließen, sagt Claußen. "Dass plötzlich CO2 zusätzlich in den Kreislauf hineinkommt und eine messbare globale Erwärmung erzeugt, hatten wir in den vergangenen Tausend Jahren nicht." Seit Beginn der industriellen Revolution haben wir eine fast durchgehende, kräftige Erwärmung."

Latif: "Eine völlig neue Qualität"

Latif sagte, dass es auch immer auch Phasen gegeben habe, die noch viel wärmer gewesen seien als heute. Ein Beispiel sei die Zeit vor 50 Millionen Jahren. Zu der Zeit hätten die Temperaturen um einige Grad höher gelegen.

"Das sind Epochen, die sich über viele, viele Jahrtausende, zum Teil über Jahrhunderttausende oder Jahrmillionen entwickeln", sagte Latif. "Aber was wir zurzeit erleben, ist so extrem schnell, dass man das einfach nicht mehr mit natürlichen Faktoren erklären kann." Der Anstieg der Temperaturen seit einigen Jahrzehnten habe "wirklich eine völlig neue Qualität", so Latif.