Männer blicken auf die Rauchwolken eines Waldbrands auf La Palma.

Klimakrise Warum die Appelle nicht ankommen

Stand: 29.11.2023 15:20 Uhr

Es passiert zu wenig für den Klimaschutz - darin sind sich viele Wissenschaftler und Aktivisten einig. Doch woran liegt das - und wird sich daran jemals etwas ändern?

Von Henrike Kolletzki, HR

Seit mehr als 40 Jahren widmet er sich dem Klimawandel. Doch so etwas hat selbst der Meteorologe Mojib Latif noch nicht gesehen: ein Wald in Mecklenburg-Vorpommern, niedergebrannt bis auf den letzten Ast. "Unglaublich, was so ein Feuer anrichten kann", sagt er fassungslos. "Es ist alles tot, alles zerstört."

Es ist ein Bild, das sich einreiht in zahlreiche andere Horrorszenarien, die längst Realität geworden sind. Verheerende Waldbrände in Kanada. Extreme Regenfälle in Griechenland. Heftige Stürme in Libyen. Trotzdem bleibt der Klimawandel für viele Menschen ein Phänomen, das schwer greifbar ist. Bis es die eigene Existenz unmittelbar bedroht.

Dabei wird es immer wahrscheinlicher, dass auch in Europa in absehbarer Zeit ganze Inseln und Ortschaften aufgegeben und evakuiert werden müssen, weil sie sich vor Wetterkatastrophen nicht mehr schützen können. Doch solange diese Szenarien noch in der Zukunft schweben, fällt es uns leicht, die Gefahr herunterzuspielen.

Unser zukünftiges Ich ist uns fremd

Schuld daran sei unser Gehirn, sagt der Neurowissenschaftler Henning Beck. "Das Gehirn kann zwar eine Vorstellung von der Zukunft aufbauen. Aber wir sind in dieser Zukunft eine fremde Person."

Unser zukünftiges Ich ist also jemand Fremdes. Und die Interessen dieser fremden Person sind weit weniger relevant als unsere spontanen Bedürfnisse. Und diesen spontanen Bedürfnissen widerspricht in der Regel das, was der Zukunft zugute käme: Verzicht.

"Das liegt daran, dass das Gehirn nicht auf Verzicht eingestellt ist, sondern auf Gewinn und Maximierung", erklärt Beck. Was passiert, wenn wir mehr bekommen, als wir erwartet hatten? "Dann wird Dopamin ausgeschüttet. Das erleben wir als Kick, als Rausch, als positives Gefühl." Das zu maximieren, was da ist - dieser Wunsch ist fest in unserem Gehirn verankert.

Fake News als Lobbyarbeit

Diese Lust am Maximieren ist das individuelle Pendant zu einer Industrie, die ebenfalls wenig Interesse an Selbstbeschränkung zeigt. Ganze Lobbygruppen hätten es sich zum Ziel gesetzt, den Fortschritt beim Klimaschutz zu verhindern, sagt Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institute for Climate Impact Research. Konzerne wie Mercedes-Benz oder Exxon förderten bereits in den 1980er-Jahren mit Millionensummen die Verbreitung von Falschinformationen, um Lobbyismus gegen Klimaschutzmaßnahmen zu betreiben. "Und das offensichtlich sehr erfolgreich", sagt Rahmstorf. Dabei war Exxon schon damals auf dem Stand der akademischen Wissenschaft und wusste bestens über den Klimawandel Bescheid.

Auch in diesem Punkt spielen sich Individuum und Industrie anscheinend in die Karten. Denn ein Großteil der Deutschen ist zwar von der Schuld des Menschen am Klimawandel überzeugt - das zeigen aktuelle Untersuchungen wie die TÜV-Nachhaltigkeitsstudie oder der YouGov-Report 2023. Diese Überzeugung spiegelt sich allerdings nicht im persönlichen Konsum- und Lebensstil.

Hier helfen Lobbyisten, das Gewissen zu bereinigen. "Viele Menschen haben den Wunsch, dass nichts dran ist an dem Klimawandel", meint Rahmstorf. "Deshalb gibt es einen Markt für Ausreden, beim Klimawandel nichts zu tun." Und diesen Markt bedienen Lobbyisten demnach mit Argumenten, die allzu dankbar aufgegriffen werden.

Rettet Eigennutz die Welt?

Damit befreien sie Menschen von der unangenehmen Aufgabe, von liebgewonnenen Gewohnheiten Abschied zu nehmen. Denn: "Gewohnheiten lassen sich nicht leicht verändern", erklärt Beck. "Das funktioniert nur, wenn wir eine alte Gewohnheit mit einer neuen Gewohnheit überschreiben." Dafür müssen wir uns fragen: Was sind Handlungen, die tatsächlich zu einer neuen Gewohnheit werden können? Was ist eine bessere Alternative?

Damit diese Alternative eine Chance hat, muss sie uns einen Mehrwert bieten, den wir direkt spüren. Das gilt auch für Maßnahmen zum Klimaschutz. "Niemand rettet die Welt, weil es eine tolle moralische Entscheidung ist", sagt Beck. "Man rettet die Welt, wenn man einen Nutzen im Hier und Jetzt sieht. Wenn wir zum Beispiel ein nachhaltiges Bioprodukt kaufen, dann muss das jetzt cool sein und nicht irgendwann in 20 oder 30 Jahren die Welt verbessert haben." Klimaschutz muss den Menschen in der Gegenwart also einen konkreten Vorteil anbieten. Nur dann ändern sie ihr Verhalten.

Oder, um es in den Worten von Mojib Latif zu sagen: "Klimaschutz muss Spaß bringen." Denn Fakten allein, das hat der Klimaforscher erkannt, führen zwar zu Wissen - aber noch lange nicht zum Handeln.

Mehr zu dem Thema sehen Sie in der Wissen-Dokumentation "Drama Klimaschutz", abzurufen in der ARD-Mediathek.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung war ein Zitat nicht korrekt zugeordnet. Wir haben das entsprechend geändert.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen

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