Eis vor Horseshoe Island

Meeresströmungen Steht der Golfstrom vor dem Kollaps?

Stand: 13.08.2023 20:16 Uhr

Seit Langem wird in der Wissenschaft die Frage diskutiert, ob der Golfstrom irgendwann mal zusammenbrechen könnte. Forschende sind skeptisch - Entwarnung gibt es aber trotzdem keine.

Von Yasmin Appelhans, NDR

Um es vorwegzunehmen: Der Golfstrom selbst droht gar nicht zusammenzubrechen. Denn er wird größtenteils von Winden angetrieben. "Solange die Erde sich dreht, wird es auch den Golfstrom geben", sagt dazu Niklas Boers. Er ist Physiker und forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Technischen Universität München zu Ozeanströmungen.

Der Golfstrom ist allerdings Teil einer größeren Strömung, der Atlantischen Umwälzzirkulation. Die kurz AMOC (Atlantic Meridional Overturning Circulation) genannte Strömung transportiert Wassermassen durch den Atlantik. Ein anderer Teil davon, nämlich der Nordatlantikstrom, funktioniert als die Warmwasserheizung Europas, als die der Golfstrom fälschlicherweise immer gilt. Würde dieser Strom versiegen, könnten sich Temperaturen, nicht nur in Europa, stark ändern. Und es könnte auch mehr Extremwetterereignisse geben.

Grafische Darstellung der thermohaline Zirkulation

Grafische Darstellung des weltweiten Strömungssystems: Es verbindet vier Ozeane miteinander und vereint sie zu einem großen Kreislauf.

Klima würde sich teils stark ändern

Die, auch von Hollywood bemühten, Bilder des ewigen Winters in Europa wären allerdings wohl nicht ganz zutreffend. Würde die Atlantische Umwälzströmung zusammenbrechen, wären die Konsequenzen für uns in Mitteleuropa wahrscheinlich gar nicht besonders groß. Die Temperaturen würden sich wohl nur um wenige Grad ändern. In Nordeuropa könnte es aber schon bedeutend kälter werden.

Zusätzlich würde sich auch in anderen Bereichen der Welt das Klima stark ändern. Zum Beispiel würde sich die tropische Regenzone nach Süden verschieben. Die Sahel-Zone würde so noch trockener werden. Weiter südlich würde es viel mehr regnen.

AMOC als wichtiger Motor

Zusätzlich ist die AMOC Teil eines noch größeren Strömungssystems. Das sogenannte globale Förderband transportiert Nährstoffe aus den Tiefen des Ozeans an die Oberfläche und Sauerstoff in die Tiefsee. Es ist die einzige Möglichkeit für Tiere in der Tiefe, mit Sauerstoff versorgt zu werden. Denn tief unten im Meer ist nicht genug Licht für Pflanzen, um dort Photosynthese zu betreiben.

Die Atlantische Umwälzzirkulation ist der größte Motor dieses Förderbandes. Würde die Strömung hier zusammenbrechen, hätte das große Folgen für Tiere in allen Teilen der Ozeane.

Studie ruft deutliche Kritik hervor

Ob und wann die Atlantische Umwälzzirkulation wirklich zusammenbrechen wird, ist noch nicht klar. Eine kürzlich in der Zeitschrift "Nature Communications" erschienene Studie hatte einen baldigen Zusammenbruch prognostiziert. Schon im Jahr 2025 könnte es so weit sein, so die Autorinnen und Autoren.

An der Studie gab es aber deutliche Kritik. "Im Detail ist die statistische Analyse selbst korrekt, allerdings werden sehr stark vereinfachende Annahmen bezüglich der mechanistischen Beschreibung der meridionalen Umwälzzirkulation im Atlantik selbst getroffen", sagt zum Beispiel Niklas Boers gegenüber dem Science Media Center.

Auch die Ozeanographin Johanna Baehr von der Universität Hamburg ist kritisch: "Mich persönlich überrascht, welche weitreichenden Folgerungen aus der rein mathematischen Analyse für realistisch zu erwartende Entwicklungen der Nordatlantik-Zirkulation abgeleitet werden." Diese Folgerungen könnten so nicht getroffen werden.

Es droht ein Teufelskreis

Dennoch gibt es keine Entwarnung. Der Weltklimarat hat in seinem jüngsten Bericht zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit vorausgesagt, dass die Strömung im Atlantik nicht vor Ende des Jahrhunderts komplett kollabieren wird. Gleichzeitig gibt es Anzeichen, dass sie sich derzeit abschwächt. Und auch ein Zusammenbruch erst zum Ende des Jahrhunderts hätte ernste Konsequenzen.

Dass es überhaupt so weit kommen könnte, liegt an dem schmelzenden Meereis. Denn schmilzt Eis, ist das Wasser vor Grönland beispielsweise nicht mehr dicht genug, um dann abgekühlt in die Tiefe zu sinken und dadurch Sauerstoff und auch CO2 mit nach unten zu nehmen. Das wiederum würde zu einem Teufelskreis führen. Denn bisher wird ein beträchtlicher Teil des von uns produzierten CO2 so in die Tiefe transportiert. Fällt dieser Mechanismus aus oder wird in seiner Funktion reduziert, wird weniger CO2 eingelagert und der Klimawandel beschleunigt.

Auch andere Ozeanzirkulation in Gefahr

Gleichzeitig gibt ein anderes Phänomen Forschenden Rätsel auf. Denn im antarktischen Winter ist die Eisausdehnung gerade so gering wie nie zuvor in dieser Jahreszeit. Die Gründe sind noch unklar.

Auch im Sommer schmilzt das Eis der Antarktis schneller als zuvor. Eine im Mai in der Fachzeitschrift "Nature" erschienene Studie hat berechnet, dass dadurch die Ozeanströmung um die Antarktis bis zum Jahr 2050 um 40 Prozent abnehmen wird.

Auch diese Ozeanströmung ist Teil des globalen Förderbandes. Stephen Rintoul von der australischen Behörde für wissenschaftliche und industrielle Forschung CSIRO ist einer der Autoren der Studie. Er sagt dazu: "Sowohl die Antarktis als auch Grönland haben Eis verloren. In beiden Eisschilden schmilzt das Eis. Meistens denken wir daran, dass dies zum Anstieg des Meeresspiegels beiträgt. Was diese Studie jedoch zeigt, ist, dass es noch einen weiteren Effekt hat, nämlich die Verlangsamung dieser Ozeanströmungen."

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