Das Kohlekraftwerk Niederdorfelden in Hessen

Emissionshandel Was CO2-Zertifikate dem Klima bringen

Stand: 01.04.2024 09:22 Uhr

2050 will die EU treibhausgasneutral sein. Dafür wird der CO2-Ausstoß drastisch reduziert. Wer zu viel ausstößt, muss dafür Zertifikate kaufen. Für die Regulierung fordern Experten nun eine "Kohlenstoff-Zentralbank"

Von Jeanne Turczynski, BR

Kohlendioxid ist schädlich fürs Klima. Deshalb soll dieser Ausstoß in der EU in den kommenden Jahrzehnten gestoppt werden. Vor drei Jahren beschloss die EU, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken und bis 2050 treibhausgasneutral zu werden.

Um das zu beschleunigen, wird die zulässige Ausstoßmenge von CO2 nach und nach reduziert. Unternehmen, die mehr Kohlendioxid in die Luft pusten, müssen dafür zahlen. Sie müssen Berechtigungen kaufen - und zwar in Form von CO2-Zertifikaten. "Die Zertifikate sollen es für Unternehmen attraktiver machen, klimafreundliche Technologien einzusetzen", erklärt Michael Pahle, Wirtschaftswissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

"Wenn nämlich zum Beispiel ein Zertifikat etwa 100 Euro pro Tonne kostet, aber ich Emissionen für einen Preis von 80 Euro pro Tonne reduzieren kann, dann reduziere ich lieber die Emission, weil mich das billiger kommt, als ein Zertifikat zu kaufen. Das ist der ökonomische Mechanismus."

"Keiner weiß, wie es funktioniert"

Soweit funktioniert die Theorie, denn in der Praxis sind die Zertifikate aktuell mangels Nachfrage so billig wie nie. Sie kosten nur gut 50 Euro. Es lohnt sich aktuell also nicht besonders für die Industrie, CO2 zu sparen. Experten wie Pahle und der Direktor des PIK, Ottmar Edenhofer, fordern deshalb, den Preis der Zertifikate zu regulieren, etwa über eine europäische Behörde, eine Art "Kohlenstoff-Zentralbank". Die könnte dafür sorgen, dass der Preis der Zertifikate nicht unter ein bestimmtes Niveau sinkt.

Michael Pahle leitet beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die Abteilung "Klima- und Energiepolitik". Der Emissionshandel ist sein Leib- und Magenthema. Seit Jahren erklärt er, was es mit dem Instrument Emissionshandel und mit CO2-Zertifikaten auf sich hat und welche Auswirkungen all das auf den Klimawandel hat. Trotzdem stellt er fest: "Jeder hat es schon mal gehört. Keiner weiß, wie es funktioniert, und keiner weiß, was es bedeutet."

Wer mehr verschmutzt, muss mehr zahlen

Hinter den CO2-Zertifikaten stecke ein klares Fairnessprinzip, erklärt Pahle. "Derjenige, der verschmutzt, muss für die sozialen, gesellschaftlichen Schäden die Kosten tragen." Konkret betrifft das auf europäischer Ebene die Kraftwerksindustrie, etwa Kohle. Aber auch andere energieintensive Industriebereiche, wie die Stahl- oder Chemieindustrie, Raffinerien oder Aluminiumwerke. Ein Zertifikat erlaubt den Ausstoß von einer Tonne CO2. Bis zum Jahr 2039 sollen diese Zertifikate aufgebraucht sein und 2050 dann soll, so die Idee, Europa klimaneutral sein.

Der nationale Emissionshandel

Die zweite Ebene des Emissionshandels spielt in Deutschland, also auf nationaler Ebene. Seit 2021 müssen etwa Gas-, Kohle- oder Mineralöl-Lieferanten zahlen - und zwar für CO2-Emissionen, die durch die spätere Verbrennung entstehen. Dieses System wird zwar auch Emissionshandel genannt, aber "es funktioniert praktisch wie eine Steuer, denn man kann Zertifikate zum festen Preis kaufen und Unternehmen können bis ins nächste Jahr nachkaufen“, erklärt PIK-Wissenschaftler Pahle. Zuständig dafür ist die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt), angesiedelt beim Umweltbundesamt (UBA). Die Preise dieser Zertifikate werden politisch festgelegt.

Das System der CO2-Kompensation

Beide Systeme sind aber nicht zu verwechseln mit der CO2-Kompensation. Das kennt manch einer sicher vom Fliegen. Wer das umweltschädliche Reisen ausgleichen will, der kann klimafördernde Projekte unterstützen. Ähnlich machen das auch viele kommunale Versorgungsunternehmen - etwa die Stadtwerke Augsburg.

"Wir wandeln auf diese Weise unseren eingekauften grauen Strom in grünen Strom, also Ökostrom, um", erklärt Ulrich Längle. Er leitet bei den Augsburger Stadtwerken den Vertrieb und ist für den Energieeinkauf zuständig. Dort erwirbt er Zertifikate zur Förderung klimafreundlicher Projekte: "Wir versuchen tatsächlich, regional zu bleiben, weil wir nichts davon halten, Zertifikate in irgendwelchen Drittländern zu finanzieren. Die Zertifikate sollten aus erneuerbaren Energien stammen und es sollte eine Regionalität vorhanden sein."

Hier allerdings ist die Qualität der Kompensation schwieriger nachzuweisen, sagt Michael Pahle vom PIK: "Es gibt eine ganze Reihe von Zertifikat-Märkten." Unklar sei allerdings, "ob das auch wirklich richtig gemessen wird und ob das zusätzlich ist." Man habe in der Vergangenheit schon viele Fälle gehabt, wo Zertifikate für solche Projekte ausgestellt wurden, die aber ohnehin gebaut worden wären.

Das sei genau das Problem, so Pahle. Der Unterschied sei, dass diese Zertifikate in der Regel von privaten Agenturen und Dienstleistern zertifiziert würden. Deshalb haben sich die Stadtwerke Augsburg dazu entschieden, nur Zertifikate zu erwerben, die vom TÜV geprüft wurden.

Emissionshandel: Wirksames Instrument für das Klima

Insgesamt ist Michael Pahle ein Fan des Emissionshandels: "Ich bin absolut davon überzeugt, das ist ein gutes Instrument; und das im gesamten Werkzeugkasten der Klimapolitik, das mit Abstand wichtigste ist." Deshalb wird er das Prinzip auch immer wieder erklären - wenn nötig mit Engelsgeduld.

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