Waldrappe

Verhaltensbiologie Begleitetes Fliegen - Der Waldrapp

Stand: 23.01.2024 14:30 Uhr

Er sieht merkwürdig aus und war in Europa seit Jahrhunderten quasi ausgestorben: Der Waldrapp. Jetzt ist der Vogel wieder da - doch dass er ein Zugvogel ist, mussten ihm Forschende erst beibringen.

Von Bernd Großheim, tagesschau.de

Hätte es den kanadischen Kinofilm "Fly Away Home" (Amy und die Wildgänse) nicht gegeben, wäre das Forschungsteam um den österreichischen Biologen Johannes Fritz vielleicht noch immer auf der Suche nach einer Möglichkeit, wie man den Waldrappen den Vogelzug beibringen könnte. In dem 1995 gedrehten Film dient ein Ultraleichtflugzeug dazu, einer Gruppe Wildgänse zu zeigen, wohin sie im Winter fliegen müssen um zu überleben.

Der Waldrapp war seit dem 17. Jahrhundert in Mitteleuropa praktisch ausgestorben. Der etwa gänsegroße Ibisvogel war rund ums Mittelmeer verbreitet, bis nördlich der Alpen. Doch er wurde gejagt und gegessen, bis die Bestände zusammenbrachen. Die einzigen Vögel, die es gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts noch gab, lebten zumeist in Zoos. Die einzige ursprünglich wild lebende Kolonie mit bis zu 700 Vögeln gibt es in Marokko.

Ein Schwarm Vögel fliegt vor einem Bergpanorama.

Wie Vogelzug funktioniert, müssen Waldrappe von Menschen lernen.

Ein sehr sozialer Vogel

Der Biologe Fritz lernte den Waldrapp Ende der 90er Jahre kennen. "Ich war in einer Forschungsstelle in Oberösterreich. Der Plan war, dass man dort eine frei fliegende Kolonie zur Grundlagenforschung gründet." Den Forschenden sei klar geworden, dass der Vogel auch nach Generationen in Gehegehaltung noch Zugverhalten zeige. Denn der Waldrapp ist ursprünglich ein Zugvogel, der im Winter nach Südeuropa zieht.

Anfang der 2000er Jahre entstand um Johannes Fritz das Projekt "Waldrappteam". Das Team beschäftigte sich fortan intensiv mit dem Vogel, den manche wegen seines etwas skurrilen Aussehens als "Punkvogel" bezeichnen. "Der Waldrapp ist ein sehr sozialer Vogel", sagt der Biologe. Er lebe in Kolonien, die tausende Tiere umfassen könnten. Sein Sozialverhalten sei komplex, Brutpaare seien teilweise jahrelang zusammen.

Johannes Fritz

Der österreichische Biologe Johannes Fritz beschäftigt sich seit den 90er Jahren mit Waldrappen.

Kein großer Sänger

"Das Stimmrepertoire ist eher bescheiden, er krächzt und rülpst," sagt Fritz. Vom Erscheinungsbild her sei der Waldrapp zugegebenermaßen auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig. "Doch es lohnt sich, ein zweites oder drittes Mal hinzuschauen. Und dann erschließt sich die Anmut und Schönheit." Der Waldrapp ist kein Vogel, der in den Ökosystemen, in denen er vorkommt, eine wesentliche oder gestaltende Funktion hat. Insofern sei er keine essenzielle Art für das Funktionieren der Ökosysteme, so Biologe Fritz. Aber: "Ökosysteme sind umso stabiler, je diverser und artenreicher sie sind."

Waldrappe müssen Vogelzug erst lernen

Das Waldrappteam hat inzwischen Standorte in Burghausen (Bayern), Kuchl (Land Salzburg) und Überlingen am Bodensee (Baden-Württemberg). Ihnen war klar, dass man es mit einem Vogel zu tun hat, bei dem nicht genetisch festgelegt ist, wohin der Vogelzug im Herbst führt. "Der Jungvogel muss einmal einem zugerfahrenen Artgenossen vom Brutgebiet ins Wintergebiet gefolgt sein," sagt der Teamleiter. Erst dann kenne er die Zugstrecke. Doch das ist bei in Gefangenschaft geschlüpften Tieren schwierig.

Drei Küken

Waldrappküken werden in dem Projekt zunächst auf Menschen geprägt.

Prägung auf menschliche Betreuungspersonen

Der Auftakt für die eigentliche Wiederansiedlung der Waldrappe war 2014. Bis dahin waren sehr viele Barrieren zu überwinden und Erfahrungen zu machen. "Großteils haben wir durch Irrtümer und Fehler gelernt", sagt Johannes Fritz. Die zündende Idee kam tatsächlich durch den Spielfilm "Fly Away Home". Man müsste die Waldrappe auf menschliche Betreuungspersonen prägen. Diese Prägung muss im Kükenalter erfolgen. Später trainieren die Menschen mit den Vögeln den Flug neben einem Fluggerät, das einem Ultraleichtflugzeug ähnelt. Dabei sehen die Vögel die menschlichen Begleitpersonen als Eltern- oder Leitvögel an. Die von Hand aufgezogenen Waldrappe können ihre Betreuungspersonen sogar von anderen Menschen unterscheiden und auch später noch wiedererkennen.

Vögel am Boden laufen um eine sitzende Frau herum.

In den Flugpausen gehen die Waldrappe auf Nahrungssuche.

Ist das Training erfolgreich, geht es ins Winterquartier. Dieser Flug geht über Tagesetappen von jeweils ungefähr 100 Kilometern und dauert mehrere Wochen. Das Ziel: Andalusien. In den ersten Jahren sei der Zug in die Toskana gegangen, so Johannes Fritz. Doch in den vergangenen Jahren gab es das Problem, dass es die Vögel kaum mehr über die Alpen schaffen. Der Grund: Durch den Klimawandel habe sich der Beginn der Herbstmigration immer weiter in den Herbst verschoben. Dann aber fehle den Vögeln die Thermik über den Alpen, und ein Flug sei nicht mehr machbar. Deswegen gehe es nun nach Spanien.

Auf eigene Faust - nach Norden

Was passiert, wenn junge Waldrappe auf eigene Faust losfliegen, musste das Forschungsteam in diesem Herbst erleben. Ein Gruppe von 32 Tieren, die zuvor nicht in menschlicher Betreuung gewesen war, machte sich eigenständig auf den Weg - allerdings nach Norden, einige von ihnen landeten gar in Schweden. Das Waldrappteam konnte ihren Zug nachvollziehen, weil alle Vögel besendert waren.

Elf Vögel traten bald selbstständig die Rückreise in ihr Brutgebiet an, einige bezahlten ihr Abenteuer mit dem Leben, andere wurden von Tierschützern aufgegriffen und in Auffangstationen aufgepäppelt. Sie werden am 23. Januar nach Andalusien transportiert und sollen sich einer dort lebenden Waldrappkolonie anschließen.

Immer mehr Tierarten brauchen Unterstützung vom Menschen

In den beiden Waldrappprojekten in Spanien und Österreich/Deutschland leben inzwischen zusammen etwa 500 Vögel. Wann Waldrappe keine menschliche Hilfe mehr benötigen, um die Art von selbst erhalten zu können, beantwortet Biologe Johannes Fritz mit einer Gegenfrage. "Welche Art überlebt heutzutage noch ohne menschliche Unterstützung?" Es sei leider zunehmend Realität, dass Populationen durch Umweltveränderungen und menschliche Einflüsse immer mehr von Monitoring und Management abhängig seien. Letztendlich werde der Waldrapp dabei keine Ausnahme sein.