Ein Mantelpavian (Papio hamadryas)

Evolution Wie der frühe Mensch seinen Affenschwanz verlor

Stand: 14.03.2024 11:37 Uhr

Menschen und Menschenaffen haben keinen Affenschwanz wie andere Primaten. Das liegt an einem kleinen DNA-Stückchen. Unklar ist, warum sich die Schwanzlosigkeit durchsetzte.

Von Katharina Beyer und Martina Janning, SWR

Menschen und Menschenaffen haben trotz gleicher Vorfahren keinen Affenschwanz. Die mögliche Ursache für den Verlust des Affenschwanzes hat ein Team von der NYU Langone Health in New York gefunden und jetzt im Fachmagazin Nature veröffentlicht.

Ein kleines DNA-Stück, das sogenannte AluY-Element, stört das Ablesen eines Genes, das für die Schwanzentwicklung nötig ist. Warum sich das Merkmal der Schwanzlosigkeit aber beim Menschen und den Menschenaffen durchsetzte und welche Vorteile es brachte, ist noch unklar.

Genmutationen sind nicht die Ursache

Der Schwanz diente einst als Balancier- und Kletterhilfe, heute deutet nur noch die Form der Knochen unseres Steißbeines und einiger Muskeln im Beckenbereich darauf hin, dass die Vorfahren des Menschen einen Schwanz hatten.

Die Hintergründe der "Schwanzlosigkeit" des Menschen und der Menschenaffen erforschte Bo Xia von der NYU Langone Health mit seinem Team. Dazu untersuchten sie zuerst den codierenden Bereich unserer DNA. Dort sind die genetischen Informationen für lebenswichtige Proteine abgelegt. Sollten dort Mutationen auftreten, beeinflussen sie die Herstellung der Proteine und damit auch unseren Körper.

Die Forschenden schauten sich dabei die 31 Gene in unserem Erbgut genauer an, die bei anderen Primaten mit der Schwanzbildung verknüpft sind. Dort konnten sie jedoch keine Mutationen feststellen, die für den Verlust des Affenschwanzes verantwortlich sein könnte. Auch eine erweiterte Suche in anderen Genbereichen blieb erfolglos. Fazit: Eine Genmutation ist also nicht die Ursache.

AluY-Element verhindert die Bildung eines Schwanzes

Die Forscher suchten weiter - auch im nicht codierenden Bereich unseres Erbguts. Anders als die codierenden Bereiche unserer DNA, bilden diese keine Proteine. Deshalb wurde die dortige DNA lange als funktionslose "Junk-DNA", also "Müll-DNA", betrachtet. Doch heute wissen wir: Das stimmt so nicht. Die DNA-Teile haben wichtige Steuerfunktionen für das Ablesen der Gene.

Außerdem gibt es Unterschiede zwischen diesen DNA-Teilen beim Menschen und beim Affen. Und dort wurden die Forschenden fündig. In diesem nicht codierenden DNA-Teil entdeckte das Forschungsteam einen kleinen DNA-Einschub, der bei anderen Primaten mit einem Schwanz nicht vorhanden war, das AluY-Element. Dieses Element soll vor rund 25 Millionen Jahren in das Erbgut unserer Vorfahren gelangt sein. Es liegt in einem nicht codierenden Abschnitt einer DNA innerhalb eines Gens, in diesem Fall des TBXT-Gens.

Schwanzlose Menschen

Das TBXT-Gen ist für seine Rolle bei der Schwanzbildung bekannt. Das AluY-Element bildet mit einem zweiten DNA-Abschnitt eine funktionelle Klammer. Dadurch kann die Zelle nur noch unvollständige Abschriften eines Gens anfertigen. Die Proteinfabrik der Zelle kann diesen Code nicht mehr richtig ablesen und damit das benötigte Protein für die Schwanzbildung nicht herstellen. Die Folge: Wir Menschen bleiben schwanzlos.

Ein Versuch mit Mäusen bestätigte die Theorie. Die Forschenden der NYU Health in New York führten den Mäusen das AluY-Element in das Erbgut ein. Daraufhin bildeten die Mäuse nur noch einen verkürzten oder sogar gar keinen Schwanz mehr aus.

Vorteile der Schwanzlosigkeit sind unklar

Warum sich die Schwanzlosigkeit bei Menschen und Menschenaffen durchsetzte, ist noch offen. Der Verlust des Affenschwanzes könnte mit der veränderten Lebensweise unserer Vorfahren zusammenhängen, vermuten die Forscher und Forscherinnen. Der Mensch begann aufrecht zu gehen und kletterte seltener in Bäumen. Der Schwanz, der als Kletter- und Balancierhilfe diente, könnte dadurch überflüssig geworden sein. Bewiesen ist das jedoch nicht.

Hinzu kommt, dass die Wissenschaftler bei dem Mäuse-Experiment weitere negative Folgen entdeckten. Die Mäuse-Embryos hatten eine höhere Gefahr für eine Fehlbildung des Neuralrohrs, welches die Grundlage für die Entwicklung des zentralen Nervensystems bei Embryonen bildet.

Auch beim Menschen kommen solche Fehlbildungen vor, wie beispielsweise die Spina bifida. Bei dieser Krankheit kommt es zu einer Spaltung der Wirbelsäule. Als Folge sind die Betroffenen teils stark körperlich beeinträchtigt. In Mitteleuropa ist eines von 1.000 Kindern betroffen. Warum ausgerechnet Menschen und Menschenaffen trotz der negativen Folgen keinen Affenschwanz mehr haben, bleibt weiterhin ein Rätsel. Klar ist jetzt aber, welche biologischen Prozesse dafür verantwortlich sind.

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