Eine Frau hält ein Smartphone in der Hand.

Psychotherapie KI statt Couch?

Stand: 25.09.2023 04:43 Uhr

Die Zahl psychischer Erkrankungen in Deutschland steigt - die Wartelisten für Therapieplätze sind lang. Können KI-Chatbots, die Betroffene beraten, hier helfen? Und was sind die Risiken?

Von Von Lara Kubotsch, SWR

Von Depressionen über Angststörungen hin zu Suchterkrankungen: In Deutschland sind circa 20 Millionen Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen. Während diese Zahl steigt, müssen Betroffene häufig sehr lange auf einen Therapieplatz warten oder viel Geld dafür bezahlen - wenn sie überhaupt einen bekommen.

Um gegen den Mangel an Therapieplätzen vorzugehen, finden sich mittlerweile viele Angebote im Internet -darunter auch Chatbots, die bei psychischen Problemen helfen und die mentale Gesundheit fördern sollen.

Zahlreiche Chatbots sollen mentale Gesundheit steigern

Solche Chatbots, die Betroffene bei den unterschiedlichsten Aspekten mentaler Gesundheit unterstützen wollen, schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Sie versprechen beispielsweise Hilfe bei Depressionen oder bei der Bewältigung von Ängsten und negativen Gedanken.

Teilt man beispielsweise dem Chatbot "thoughtcoach" eine schlechte, traurige Situation mit zugehörigen Gedanken mit, werden diese positiv umformuliert. Geheilt werden können psychische Erkrankungen damit nicht. Nachgewiesen ist aber, dass die Art und Weise, wie wir über uns selbst denken, durchaus einen Einfluss auf unsere mentale Gesundheit hat - vor allem in Bezug auf Depressionen.

Nach Herstellerangaben ist der Chatbot Mina der erste Therapie-Chatbot, der mithilfe von ChatGPT entwickelt wurde. Momentan befindet er sich noch in der Testphase und dient vor allem der Minderung von Prüfungsängsten bei Studierenden. Die Möglichkeit einer Behandlung von weiteren psychischen Beschwerden wie leichten Depressionen soll allerdings folgen.

Studie zeigt gutes Abschneiden von Online-Therapie

Digitale Therapieangebote können zahlreiche Chancen bieten, wie auch Tobias Renner, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Tübingen, betont. In Großbritannien hat sich darüber eine Art digitaler Chat als Therapiemethode etabliert - anstatt zur Gesprächstherapie zu gehen, kann man hier Nachrichten mit seinem Therapeuten austauschen.

Das hat einige Vorteile, wie eine Studie kürzlich zeigen konnte. Denn die Online-Verhaltenstherapie ist nicht nur ähnlich wirksam wie eine Standardtherapie in Präsenz, sondern auch deutlich günstiger. Durch einen geringeren Aufwand und mehr Flexibilität können Therapeuten entlastet und Patienten früher behandelt werden, wodurch insgesamt der Behandlungszeitraum verkürzt wird.

Könnte mit Chatbots ein ähnlicher Erfolg erzielt werden?

Andreas Meyer-Lindenberg ist Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim und sagt, dass es einige Aspekte der Psychotherapie gebe, die man mit Chatbots wahrscheinlich sogar besser machen könne. Möglicherweise könnten dadurch zum Beispiel die oft sehr langen Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz sinnvoll überbrückt werden.

In einem Interview mit dem SWR erläutert Professor Renner außerdem, dass die digitale Form von Psychotherapie dazu führt, dass die Angebote tatsächlich auch genutzt werden - Jugendliche versäumen weniger Stunden, wodurch die Therapie effektiver wird.

Chatbots können Therapien sinnvoll ergänzen

Künstliche Intelligenz kann die therapeutische Arbeit dabei sinnvoll unterstützen, beispielsweise bei der Emotionserkennung. Die gesendeten Textnachrichten können systematisch nach Hinweisen abgesucht werden - möglicherweise sogar präziser als von Menschen. Deuten die Nachrichten darauf hin, dass die Person eine Essstörung hat? Oder könnte sie suizidgefährdet sein?

Eigentlich können Maschinen nicht empathisch sein. Doch Chatbots könnten bei sensiblen Formulierungen die therapeutische Arbeit unterstützen, wie Professor Meyer-Lindenberg betont. Werden KI-Systeme in Online-Selbsthilfegruppen eingesetzt, können sie geschriebene Antworten so überarbeiten, dass diese wohlwollender und sympathischer klingen - wodurch sich Betroffene besser verstanden und beraten fühlen.

Künstliche Intelligenz birgt auch Risiken

Trotz ihres Potentials gehen mit einem Einsatz von Chatbots in der Therapie psychischer Störungen auch große Risiken einher. Ein auf Angsterkrankungen spezialisierter Chatbot warb bei jeder möglichen Gelegenheit mit einem pflanzlichen Präparat gegen Ängste - bei näherem Hinschauen stellte sich heraus: Er wurde von der Herstellerfirma entwickelt. Doch Chatbots können nicht nur mehr oder weniger harmlose Kaufentscheidungen beeinflussen. Erst kürzlich hat ein Programm einen suizidalen Patienten dabei unterstützen wollen, Selbstmord zu begehen.

Außerdem haben Chatbots noch einen weiteren, großen Nachteil: Sie sind nicht in der Lage, Inhalte wirklich zu verstehen. Mit ChatGPT kann zwar beispielsweise ein Gespräch stattfinden, das im ersten Moment menschenähnlich wirkt. Doch auch dieser Bot ist nicht fähig, individuell auf die Gesprächspartner einzugehen, da er ihn oder sie nicht "versteht", sondern Daten analysiert. ChatGPT basiert auf einer Sprach-KI, die darauf trainiert wurde, sprachliche Muster zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Eine unüberlegte oder fachlich falsche Antwort kann gerade im Kontext psychischer Gesundheit fatale Folgen haben.

KI als Unterstützung statt Ersatz

Eine klassische Psychotherapie ist mit den momentanen Anwendungen deshalb ausgeschlossen und auch in der näheren Zukunft nur schwer vorstellbar.

Vor allem wird momentan noch mehr Forschung benötigt. Für Wissenschaftler Meyer-Lindenberg ist "eine Zukunft, in der der Mensch ganz draußen ist aus der Psychotherapie" nur schwer vorstellbar. KI-basierte Anwendungen können eine Behandlung ergänzen, aber nicht ersetzen. Helfen können diese momentan vor allem bei der Überbrückung von Wartezeiten und bestenfalls bei weniger schweren Krankheitsverläufen.

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