Eine weiße Labormaus sitzt auf einer Hand.

Erste funktionelle Hirnchimären Forscher züchten Mäuse mit Gehirnen aus Rattenzellen

Stand: 29.04.2024 17:59 Uhr

Zwei Forschungsteams haben erstmals das Gehirn einer Maus mit Nervenzellen einer Ratte kombiniert. Die Grundlagenforschung soll dazu beitragen, Erkrankungen des Nervensystems wie Parkinson behandeln zu können.

Von Nina Kunze, SWR

Der Kopf eines Löwen, der Körper einer Ziege, die Schwanzspitze einer Schlange - so sieht das Chimären-Mischwesen in der griechischen Mythologie aus. In der Forschung spricht man von einer Chimäre, wenn ein Lebewesen aus Zellen von mehr als einem Individuum besteht.

Zwei Forschungsteams ist es nun erstmals gelungen, das Gehirn von Mäuse-Embryos mit Nervenzellen einer Ratte zu kombinieren. Bislang war dies nur innerhalb derselben Tierart gelungen, beispielsweise bei Affen.

Fehlender Teil des Gehirns wird ersetzt

Für ihre Studie verwendeten die in den USA und China tätigen Forschungsteams Mäuse-Embryos, deren Erbgut so verändert ist, dass sich ein Teil des Gehirns im Mutterleib nicht mitentwickelt. In einem frühen Entwicklungsstadium setzten sie den Mäuse-Embryos die Stammzellen einer Ratte ein. Diese Embryos entwickelten den fehlenden Teil des Gehirns dann trotzdem - aus den Zellen der Ratte.

Das Besondere daran: Die Nervenzellen beider Tiere verschalteten sich zu einem funktionierenden System. Mäuse ohne funktionierenden Geruchssinn erlangten so beispielsweise die Fähigkeit zu riechen zurück. In einer weiteren Studie ersetzten die Zellen der Ratte das fehlende Vorderhirn der Mäuse.

Krankheiten besser behandeln

Es klingt, als ob Menschen Gott spielen. Das eigentliche Ziel ist jedoch, eines Tages Krankheiten besser behandeln zu können. Die Mischhirne helfen, Vorgänge bei der Entwicklung von Gehirn- und Nervenzellen besser zu verstehen. Mit diesem Wissen könnten neue Ansätze entstehen, um Schädigungen des Nervensystems zu behandeln - beispielsweise bei Parkinson oder nach einem Schlaganfall.

Forschung noch in den Kinderschuhen

Von diesem Ziel ist die Forschung jedoch noch weit entfernt. Fachleute wie Rüdiger Behr vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen sehen die Ergebnisse dennoch als wichtigen Schritt in der Grundlagenforschung: "Aus praktisch jeder Chimärenstudie können derzeit wichtige grundlegende Erkenntnisse gewonnen werden", erläutert der Entwicklungsbiologe dem Science Media Center Germany.

Technologie wirft ethische Fragen auf

Methoden wie diese gelten auch als Wegbereiter, um menschliche Organe in Tieren zu züchten und so den Mangel an Spenderorganen zu beheben. Doch hier zeigen sich auch die ethischen Bedenken hinter Experimenten wie diesem: Die Grenzen zwischen Tierarten verschwimmen zunehmend. Das Gehirn zweier Arten zu verbinden - wie bei Mäusen und Ratten - könnte deren Wahrnehmung verändern.

Vor allem bei Versuchen mit Primaten oder gar menschlichen Zellen stellt sich deshalb die Frage, ob die entstandenen Mischwesen einen anderen moralischen Status bekommen müssten. So gibt die in den USA tätige Bioethikerin Karola Kreitmair zu bedenken, dass laut gängiger ethischer Theorien die geistigen Fähigkeiten des Menschen zu seiner höheren moralischen Stellung beitragen. Ein Mischwesen aus Affe und Mensch könnte beispielsweise andere Rechte haben als ein Affe selbst: "Solche Fragen müssen geklärt werden, bevor es zur Entstehung solcher Wesen kommt."

Versuche mit menschlichen Stammzellen müssten von einem ethischen Diskurs begleitet werden, findet auch Rüdiger Behr. Als ethisch vertretbar gelten solche Versuche nur, wenn sie einen großen Nutzen versprechen, der durch keine alternative Methode erreicht werden kann.