Eine Frau im Labor des Nationalen Centrums für Tumorerkennnung in Heidelberg

CAR-T-Zelltherapie "Eine neue Epoche in der Onkologie"

Stand: 04.02.2024 15:16 Uhr

Jedes Jahr erkranken fast 500.000 Menschen in Deutschland an Krebs. Doch viele Krebsarten kann man mittlerweile behandeln, etwa mit der neuartigen CAR-T-Zelltherapie. Onkologen sprechen von einer Revolution.

Von Veronika Simon, SWR

Emily Whitehead war fünf Jahre alt, als bei ihr eine Leukämie festgestellt wurde. Das war im Jahr 2010. Diese Krebsart kann bei Kindern meist gut behandelt werden - doch Emily hatte mehrere Rückfälle.

Die letzte Hoffnung für die Familie: eine damals experimentelle Therapie mit sogenannten CAR-T-Zellen. Emily war das erste Kind, das jemals eine solche Therapie erhielt. Das Risiko war groß, doch es zahlte sich aus: Der Krebs verschwand. Heute ist Emily Whitehead eine junge Erwachsene und auch CAR-T-Zelltherapie ist dem experimentellen Stadium entwachsen.

CAR-T-Zellen: Revolution in der Krebsbehandlung?

In der EU wurden seit 2018 mehrere CAR-T-Zelltherapien zugelassen. Sie werden gegen bestimmte Krebsarten eingesetzt: einige Blutkrebsarten, Tumore der Lymphdrüsen und des Knochenmarks. Für Dirk Jäger, Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen in Heidelberg, ist klar: Aktuell kann man mit CAR-T-Zellen nur einen kleinen Teil der onkologischen Fälle behandeln. Bei diesen sei diese neue Behandlungsmöglichkeiten jedoch eine Revolution.

"Ich glaube, die CAR-T-Zellen haben in der Onkologie eine neue Epoche angestoßen", so Jäger. Denn diese Zelltherapien mit genetisch manipulierten Zellen hätten gezeigt, dass sie sehr effektiv und extrem spezifisch sein könnten. "’Genetisch manipuliert' - das klingt ja immer so ein bisschen negativ, in diesem Fall ist das jedoch eine extrem positive Sache!"

CAR-T-Zellen können Tumorzellen effektiv zerstören

Bei der CAR-T-Zelltherapie werden Zellen des Immunsystems, sogenannte T-Zellen, genetisch verändert. In einem gesunden Immunsystem haben T-Zellen die Funktion, Schädlinge zu erkennen. Das geschieht über eine Oberflächenstruktur. Vereinfacht kann man sich das wie einen Greifer vorstellen, der auf ein ganz bestimmtes Ziel spezialisiert ist, es erkennt und festhält. So können T-Zellen Krankheitserreger stoppen, bevor sie Schaden anrichten können, aber auch Tumorzellen erkennen, bevor sie sich zu sehr vermehren.

Wenn das nicht funktioniert hat und ein Tumor entstanden ist, können die T-Zellen der Patientinnen und Patienten durch eine aufwändige Gentherapie Nachhilfe erhalten. Dafür werden die Immunzellen aus dem Blut der Betroffenen entnommen und im Labor genetisch verändert. Sie bilden daraufhin eine neue Struktur auf der Oberfläche - einen neuen Greifer, der bestimmte Krebszellen erkennen kann.

Vorteil: Therapie aus lebenden Zellen

Diesen Greifer nennt man Antigenrezeptor. Da dieser bei CAR-T-Zellen aus mehreren Strukturen zusammengesetzt ist, die man natürlicherweise nicht gemeinsam auf einer Zelloberfläche finden würde, wird er als "Chimäre" bezeichnet. Der "Chimäre Antigenrezeptor" - kurz CAR.

Nach der Bearbeitung im Labor werden die CAR-T-Zellen vermehrt und dem Patienten mit nur einer Injektion gespritzt. Im besten Falle ist der oder die Erkrankte jetzt mit neuen T-Immunzellen ausgestattet, die zielgenau die Krebszellen finden und unschädlich machen können.

Das Besondere: Die Therapie besteht aus lebenden Zellen, die sich vermehren und bewegen können. Bei einigen Patienten bleiben sie im Blut und können dauerhaft wirken.

Höchste Heilungsrate bei kindlicher Leukämie

Die Erfolgsraten beim Einsatz von CAR-T-Zellen unterscheiden sich jedoch je nach Erkrankung. "Die eindrucksvollsten Daten gibt es bei ausbehandelten kindlichen Leukämien", sagt Mediziner Jäger. "Dort kann man mit CAR-T-Zellansätzen 80 Prozent der Kinder, die sonst überhaupt keine andere Therapieoptionen mehr hätten, tatsächlich heilen."

Bei Erwachsenen sind die Erfolgsraten etwas geringer. Doch auch hier zeigt die Therapie bei bestimmten Tumorarten bei etwa der Hälfte langanhaltende Effekte. „Das sind Patienten, die sonst gestorben wären. Das ist schon ein großer Fortschritt", so Jäger.

Starke Nebenwirkungen sind nicht selten

Doch diese Behandlung ist keine Kleinigkeit. Das Immunsystem kann nach der Infusion mit den veränderten Zellen heftig reagieren. Menschen, die eine CAR-T-Zelltherapie erhalten haben, verbringen häufig mehrere Wochen im Krankenhaus. Deshalb werden solche Behandlungen aktuell ausschließlich an großen Zentren durchgeführt.

In den USA gibt es außerdem Beobachtungen, dass einzelne Patienten nach einer solchen Zelltherapie Blutkrebs entwickelt haben. Ob die CAR-T-Zellen der Auslöser für diese Erkrankungen sind, ist aber noch unklar. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA beobachtet diese Fälle. Insgesamt überwöge aber der Gesamtnutzen der Behandlung über den potenziellen Risiken, so die Behörde.

CAR-T-Zelltherapie: Sehr teuer - aber auch sehr effektiv

Dass CAR-T-Zellen nicht leichtfertig verabreicht werden, hat aber auch noch einen weitere Grund: Für die Herstellung können nur die eigenen Zellen der Betroffenen genutzt werden, sie müssen individuell genetisch modifiziert werden. Dieser Aufwand ist teuer: 200.000 bis 380.000 Euro kostet aktuell eine Infusion.

"Das klingt natürlich nach viel Geld - ist es ja auch", sagt Mediziner Jäger. Aber: "Wenn eine Therapie in der Lage ist, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nach einmaliger Gabe zu einer dauerhaften Krankheitskontrolle zu führen, dann können auch solche Summen vertretbar sein." Möglicherweise seien sie sogar günstiger als medikamentöse Therapien wie zum Beispiel eine Chemotherapie, die sehr langfristig angelegt sind.

Klar ist: Aktuell können CAR-T-Zellen nur in einem kleinen Bereich der Krebsmedizin angewendet werden. "Für das Gros der Krebserkrankungen ist die Frage nach der Zukunft der CAR-T-Zelltherapien noch recht offen", so Jäger. Daran werde aktuell intensiv geforscht.

Auch andere Methoden, die T-Zellen der Patientinnen und Patienten genetisch zu verändern, um sie gegen den Krebs im Körper zu richten, würden zurzeit weltweit untersucht. "Die Möglichkeiten, Immunantworten zu designen, sind vielfältig", sagt Jäger. "Da wird es viele Entwicklungen geben in Zukunft!"

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