Menschen und ein Hund an einer Ausgrabungsstelle auf dem Gelände einer ottonischen Burg bei Nebra.

Archäologie und Kriminalfälle Hunde als Knochenjäger

Stand: 26.09.2023 06:00 Uhr

Hunde sind Schnüffel-Meister. In Bayern trainiert ein Verein sie auf den Geruch menschlicher Knochen. So unterstützen sie Archäologen bei Grabungen - und die Polizei bei der Aufklärung von Mordfällen.

Von Stephanie Prochnow, SR

Der verschüttete Raum, den Archäologen unter dem Keller eines mittelalterlichen Hauses im Landkreis Erding in Bayern gefunden haben, ist eng und niedrig. Dietmar-H. Kroepel muss zeitweise kriechen. Er ist mit seinem Hund Flintstone und anderen Mitgliedern des Vereins "Archaeo-Dogs" im Sommer 2022 angereist, weil die Archäologen im gestampften Lehm Verfärbungen erkannt haben. Und tatsächlich, die Hunde zeigen an: Hier liegen menschliche Knochen.

Bei der folgenden Grabung werden zwei Skelette gefunden. Für Kroepel, selber studierter Archäologe, ein besonders spannender Einsatz, weil die Fundlage ungewöhnlich ist. Warum zwei Menschen wohl im 16. Jahrhundert unter einem Wohnhaus beigesetzt wurden, lässt sich nur vermuten: Eine Notbestattung aus Kostengründen? Oder ein Kriminalfall?

Hunde riechen die Ausscheidung der Bakterien

Den Verein "Archaeo-Dogs" gibt es seit 2014. Archäologe Kroepel hat ihn gegründet, nachdem er seinem altdeutschen Hütehund Flintstone beigebracht hatte, menschliche Knochen zu erschnüffeln. "Die Hunde riechen die Ausscheidung der Bakterien an den Knochen", erklärt Kroepel. Und das offenbar sehr erfolgreich.

Seit 2016 werden sie auch von der Kriminalpolizei regelmäßig angefragt, um bei der Lösung von "Cold Cases", lange zurückliegenden Kriminalfällen, zu helfen. In 39 Fällen seien sie im ganzen Bundesgebiet, Österreich, Polen und Italien fündig geworden, erzählt Kroepel.

Besonders in Erinnerung geblieben sei ihm ein Fall im Ruhrgebiet. Dort fand Flintstone Knochenbündel eines Mannes, die in Plastikfolie eingewickelt waren. Ein Mordfall wohl aus den 1960er Jahren - doch wer das Opfer ist, bleibt unklar.

Bei anderen Fällen in diesem Jahr seien auch Angehörige bei der Suche dabei gewesen. Sie könnten so endlich mit der Trauerarbeit beginnen, sagt Kroepel: "Das ist meine Hauptmotivation." Denn die "Archaeo-Dogs" sind ehrenamtlich unterwegs.

Zwei Frauen und ein Hund an einer Ausgrabungsstelle auf dem Gelände einer ottonischen Burg bei Nebra.

"Archaeo-Dogs" hat mittlerweile bundesweit 18 Mitglieder in verschiedenen Ausbildungsstadien.

Zweijährige intensive Ausbildung

Flintstone ist vor einigen Monaten gestorben. Damit das Wissen nicht verloren geht, schult Kroepel an seinem Wohnort bei München andere Hundehalter. Sein Ziel: pro Bundesland zwei Leute ausbilden, die Einsätze übernehmen können. Dafür gibt er ihnen Kurse in Archäologie, Geologie, Verwesungskunde und Kriminalistik. Die Theorie erfolgt vor allem in der Winterpause, wenn wegen des Bodenfrostes kein Einsatz möglich ist.

Der Verein hat bundesweit 18 Mitglieder in verschiedenen Ausbildungsstadien. Sie trainieren alleine oder in kleinen Gruppen, schicken Kroepel Videos vom Training und treffen sich alle drei Monate. Dass nicht mehr Leute mitmachen, hat seinen Grund: Die Ausbildung ist sehr zeitintensiv und dauert circa zwei Jahre.

Vom Leckerli zum menschlichen Knochen

Im praktischen Training wird den Hunde zuerst beigebracht, Leckerlis in Dosen zu finden. Dann werden den Dosen Teebeutel beigelegt - und schließlich wird nur noch nach Teebeuteln gesucht. "Es ist eigentlich egal mit welchem Geruchsträger man anfängt", sagt Willi Bötticher, der im Saarland eine Gruppe leitet. "Teebeutel sind billig und der Hund ist sehr schnell umgestellt auf einen anderen Geruchsstoff. Das geht innerhalb von wenigen Wochen."

Mit menschlichen Knochen, die von Archäologen zur Verfügung gestellt werden, trainieren erst fast fertig ausgebildete Hunde. Vorher kann es passieren, dass sie die Lust an einem bestimmten Geruchsstoff verlieren. Denn die Suche ist für Hunde sehr anstrengend. Zehn Minuten intensives Schnüffeln sei vergleichbar mit einem Zehn-Kilometer-Lauf für einen Menschen, erklärt Kroepel. Die Hunderasse spielt dabei keine bedeutende Rolle. Allerdings haben langnasige Hunde mehr Riechschleimhäute und damit einen besseren Geruchssinn.

Willi Bötticher mit seinem Hund in Liebenau auf einem ehemaligen NS-Lagergelände.

Willi Bötticher und Bonya bei einem Einsatz in der Nähe von Graz: Auf dem Gelände eines ehemaligen Lagers für Zwangsarbeiter suchen sie nach Opfern des Nationalsozialismus.

Reaktionen richtig einschätzen

Aber nicht nur die Hunde müssen trainiert werden, sondern auch die Hundeführer. Die müssen lernen, den Hund zu lesen, um seine Reaktionen richtig einzuschätzen. Jeder Hund hat seine Art, einen Fund anzuzeigen. Manche bellen, andere legen sich hin oder bleiben stehen und schauen ihr Herrchen oder Frauchen erwartungsvoll an. Hat ein Hund eine Stelle angezeigt, wird die immer von einem zweiten Hund verifiziert, denn eine Grabung ist teuer.

In diesem Jahr sind noch fünf Einsätze geplant: zwei Cold Case-Fälle sowie die Suche nach Gräbern am Domhof von Freising und auf einer Burg im Allgäu.

Vermutlich ein Massengrab

Außerdem ein Projekt, dass die "Archaeo-Dogs" schon mehrere Jahre begleitet: die Suche nach Opfern des Nationalsozialismus im ehemaligen Lager für Zwangsarbeiter in Liebenau bei Graz. "Erschütternd war für mich eine Anzeige, wo Bonya wie ein Verrückter auf dem Gelände hin und herrannte", erzählt Herrchen Bötticher über den Einsatz im vergangenen Jahr. Vermutlich sei dort ein Massengrab.

In diesem Herbst wollen sie versuchen, das restliche Gelände abzusuchen, um einen Abschlussbericht zu verfassen. Dann könne die "Gedenkinitiative Graz-Liebenau" eine Grabungsgenehmigung beantragen, um Licht in dieses dunkle Kapitel der Geschichte zu bringen.

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