Chimäre aus zwei Affen

Stammzellforschung Erstmals chimäres Affenbaby geboren

Stand: 10.11.2023 15:01 Uhr

Forschende aus China haben erstmals einen chimären Affen erzeugt. Ein Großteil seiner Körperzellen stammt nicht von dem ursprünglichen Embryo ab, sondern von implantierten Stammzellen.

Von David Beck und Lena Schmidt, SWR

Vorne Löwe, in der Mitte Ziege und hinten ein Drache - die Chimära ist ein Mischwesen aus der griechischen Mythologie. Doch chimäre Lebewesen gibt es auch in der Realität. In der Biologie beschreibt der Begriff "Chimäre" ein Individuum, das aus genetisch unterschiedlichen Zellen besteht.

Forschenden aus China ist es nun erstmals gelungen, einen chimären Affen zu erzeugen. Ihre Forschungsergebnisse sind im Fachmagazin “Cell” erschienen und könnten dabei helfen, sogenannte pluripotente Stammzellen bei Primaten und Menschen besser zu verstehen. So könnte man grundlegende Entwicklungsprozesse in Embryonen weiter erforschen. Außerdem könnten in Zukunft in chimären Tieren neue Therapieansätze entwickelt oder sogar Spenderorgane gezüchtet werden.

Stammzellen in Embryo implantiert

Ein Beispiel für pluripotente Stammzellen sind embryonale Stammzellen. Aus ihnen kann sich jedes Gewebe im Körper bilden. Diese Art von Zellen aus einem Javaneraffen haben die chinesischen Forschenden in den Embryo eines anderen Javaneraffen implantiert. Der Embryo war zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr weit entwickelt und bestand nur aus höchstens 32 Zellen.

In die implantierten Zellen wurde ein Gen eingebaut, dass das grün fluoreszierende Protein GFP herstellt. GFP leuchtet grün, wenn es mit UV-Licht bestrahlt wird. So konnten später diejenigen Zellen, die von den implantierten Zellen abstammen, besser erkannt werden.

Affenbaby leuchtet unter UV-Licht grün

Manche Organe und Gewebe des Affenbabys haben sich mehr aus den eigenen Zellen entwickelt und andere eher aus den implantierten Zellen. Auf Fotos des Äffchens leuchten zum Beispiel die Fingerspitzen und Augen leicht grün - das zeigt, dass dort viele Zellen sitzen, die von den implantierten abstammen.

Insgesamt bestand ungefähr ein Drittel des chimären Affen aus diesen Zellen. Bei den sogenannten Motoneuronen, also den Nervenzellen, die die Muskeln steuern, waren es sogar rund 90 Prozent.

Erster chimärer Primat

Das Affenbaby ist nicht das erste chimäre Tier, das erfolgreich im Labor erschaffen wurde. Chimäre Mäuse werden bereits länger zu Forschungszwecken eingesetzt. Das Besondere an dem Erfolg aus China: Affen zählen, wie auch Menschen, zu der Gruppe der Primaten.

Affen sind dem Menschen im Vergleich zu Nagern aufgrund der längeren Lebensdauer und der Physiologie deutlich ähnlicher, erläutert Richard Schäfer, Facharzt für Innere Medizin und Transfusionsmedizin im Gespräch mit dem SWR. Er leitet das Stammzelllabor für induzierte pluripotente Stammzellen am Universitätsklinikum in Freiburg.

Ziel ist Erforschung neuartiger Therapieansätze

Die Erschaffung von Mischwesen wie Wolpertingern oder Zentauren ist weniger das Ziel dieser Forschung, so der Stammzellforscher: "Es geht um Erkrankungen, die auf schädlichen Veränderungen bestimmter Gene beruhen. Die könnten in solchen Tiermodellen untersucht werden. Da geht es zum Beispiel um die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Entwicklung der Gendefekt am schwerwiegendsten ist." So könnten dann womöglich therapeutische Maßnahmen entwickelt werden, um diese Effekte zu mindern oder vielleicht sogar ganz zu verhindern.

Der Vorteil einer Chimäre: Die hinzugefügten Zellen können relativ stark gentechnisch verändert werden. In Embryonen würde das nicht funktioniert, ohne diese zu zerstören. So können aufwändige genetische Modifikationen in die Chimären eingeschleust werden, die dann Symptome bestimmter Krankheiten zeigen. So könnten neue Therapieansätze erforscht werden.

Experten erhoffen sich in Zukunft auch, dass in chimären Tieren Spenderorgane gezüchtet werden können. Die Idee ist, ein Schwein zu erzeugen, dem ein bestimmtes Organ fehlen würde. Durch das Einbringen von menschlichen Stammzellen würde dann im Körper des Schweines das menschliche Pendant zu dem fehlenden Organ heranwachsen, das dann transplantiert werden könnte. Der Stammzellforscher Richard Schäfer aus Freiburg nennt das aber noch eine "gewagte Zukunftsvision".

Für Primatenforschung gelten besondere Regeln

Doch die Forschung dazu steht noch relativ am Anfang. Die Forschenden aus China brauchten mehr als 200 Versuche, um ein chimäres Affenbaby zu erzeugen. Nur zweimal wurde aus dem Embryo ein chimärer Fötus, nur einer wurde lebend geboren.

Auch deshalb gibt es bei solchen Versuchen ethische Bedenken. Aufgrund der Ähnlichkeit zwischen Menschen und nichtmenschlichen Primaten gelten bei dieser Art der Forschung besondere Regeln. So werden sie zum Beispiel nur genehmigt, wenn es keinen anderen Weg gibt, das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Versuche mit Menschenaffen, also Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans, sind bis auf wenige Ausnahmen komplett verboten.

Bei allen Tierversuchen muss aber der Tierschutz eingehalten werden, betont der Stammzellforscher Schäfer: "Das muss natürlich so gut ausgearbeitet sein, dass das Tierwohl nach besten Möglichkeiten berücksichtigt werden kann." So auch bei dem chimären Javaneraffenbaby: Es hatte von Geburt an Atemprobleme und unterkühlte schnell. Deswegen schläferten es die Forschenden nach zehn Tagen ein, um unnötiges Leid zu verhindern.

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