Eine Frau schläft nachts zu Hause im Bett mit Schlafmaske.
interview

Schlafforschung "Innere Uhr liebt Regelmäßgkeit"

Stand: 15.03.2024 16:29 Uhr

Man sollte nicht jede einzelne Nacht auf die Goldwaage legen und sich dadurch stressen, rät Schlafforscher Benedict im Gespräch mit der tagesschau. Für einen gesunden Schlaf hat er vier grundsätzliche Tipps.

tagesschau.de: Herr Benedict. Haben Sie gut geschlafen heute Nacht?

Christian Benedict: Ja, das war okay, aber könnte besser sein.

tagesschau.de: Woran kann man festmachen, ob man gut geschlafen hat oder nicht?

Benedict: Na so Pi mal Daumen kann man sagen: Wenn man den Tag gut bewerkstelligt und sich nicht müde fühlt und nicht das Gefühl hat, dass man eigentlich die ganze Zeit ein kleines Mittagsschläfchen halten sollte, dann scheint es doch so zu sein, dass der Nachtschlaf ausreichend war.

Aber es ist auch so, dass zum Beispiel eine nicht unerhebliche Anzahl von Menschen, die von Durchschlafproblemen oder Einschlafproblemen berichten, tatsächlich - wenn man sie ins Schlaflabor holt - gar nicht so viel schlechter schlafen als der durchschnittliche Bürger. Aber es ist einfach die Wahrnehmung, die dort ein wenig trügt.

Christian Benedict
Zur Person
Christian Benedict ist ein deutscher Humanbiologe, Neurowissenschaftler, Ökotrophologe und Buchautor. Er arbeitet am Institut für Neurowissenschaften an der Universität Uppsala in Schweden.

Deutliche Geschlechterunterschiede

tagesschau.de: Das heißt, wenn ich morgens aufstehe und mich ein bisschen müde oder gerädert fühle, muss der Schlaf gar nicht schlecht gewesen sein?

Benedict: Es muss nicht so gewesen sein. Es trifft natürlich in vielen Fällen zu. Aber es gibt tatsächlich auch diese Beispiele, dass Leute an einer sogenannten falschen Schlafwahrnehmung leiden und auch immer wieder denken, dass der Schlaf nicht die Qualität hat, die sie sich erhoffen.

Wenn man dann diese Untersuchung durchführt, dann sieht man, dass es gar nicht so schlimm um den eigenen Schlaf steht. Aber das heißt natürlich nicht, dass man diese Schlafprobleme, die die Leute ja erleben, bagatellisieren sollte.

tagesschau.de: Sind es eher Männer oder Frauen, die schlecht schlafen?

Benedict: Also wir als Gesellschaft schlafen natürlich schlecht, aber dennoch muss man anerkennen, dass es schon deutliche Geschlechterunterschiede gibt. Leider betrifft es mehr die Frauen als die Männer. Da kann man sich natürlich fragen warum. Und ich denke, einer der Gründe ist, dass Frauen im Gegensatz zu Männern häufig auf vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Sie sollen ihre eigene Karriere vorantreiben, beruflich ähnlich erfolgreich sein wie die Männer, emanzipiert.

Aber trotzdem bleibt ja immer noch die Familie da, um die man sich kümmern muss. Die Jugendlichen, die Hilfe brauchen und Anleitungen fürs Leben. Und da sind die Rollenverteilungen dann doch immer so, dass es eher die Frau ist, die all diese Dinge auffangen und bewerkstelligen muss.

Und wenn viele Dinge gleichzeitig auf einen wirken und der Stress irgendwann auch mal einen Schwellenwert überschreitet, dann äußert sich das normalerweise auch in einem schlechteren Schlaf.

Was für einen guten Schlaf wichtig ist

tagesschau.de: Was ist wichtiger, die Qualität des Schlafes oder die Länge? Kann man so was sagen?

Benedict: Das ist super, dass Sie das erwähnen, weil Schlaf natürlich multidimensional ist. Dazu gehört nicht nur die Länge, sondern natürlich auch die von Ihnen erwähnte Qualität. Dazu gehört natürlich auch die Regelmäßigkeit - also dass ich mich immer zur gleichen Zeiten hinlege und natürlich auch das Timing. Das wissen wir von vielen Leuten, die Schichtarbeiter sind und vor allem am Tag schlafen müssen oder entgegen der eigenen inneren Uhr. Die haben da große Probleme, auch ihren Schlaf zu bekommen.

Also vier Sachen: Man muss das regelmäßig machen, man muss es möglichst immer in der Nacht machen. Man sollte natürlich auf die Qualität achten und zu guter Letzt auch auf die Dauer.

tagesschau.de: Was kann mir denn dabei helfen, diese vier Sachen wirklich einzuhalten?

Benedict: Ich würde sagen, dass man seinen Tag weitgehend so durchplant, dass man am Tag viel erlebt. Und der Abend ist dazu da, schrittweise runterzufahren. Und man sollte sich auch immer, wie bereits erwähnt, zu den gleichen Zeiten hinlegen und auch aufstehen. Diese Regelmäßigkeit, die Vorhersehbarkeit, die liebt unsere innere Uhr, die auch eine ganz große Rolle für das Timing unseres Schlafes spielt.

Aber heutzutage ist es eben so, dass viele Leute diese Regelmäßigkeit leider ein wenig vernachlässigen. Und das führt dazu, dass die innere Uhr schon ein wenig auf Kriegsfuß steht und Probleme hat, den Schlaf so zu treiben, wie wir uns das erhoffen. Und das führt auch zu vielen Schlafproblemen.

"Sei dein eigener Schlafforscher"

tagesschau.de: Es gibt ja oft das Wort oder die Idee von einer sogenannten Schlafhygiene. Abends vielleicht noch einen kleinen Tee trinken, kein Fernsehen mehr, nicht mehr aufs Handy schauen. Hilft mir so etwas?

Benedict: Auf jeden Fall. Ich ermuntere jeden, der mich diesbezüglich anspricht. Sei dein eigener Schlafforscher und teste aus, was für dich am besten passen könnte. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, die man für sich austesten kann.

Aber bei einigen Menschen ist es eben so, dass die Schlafprobleme chronisch sind und trotz aller Hilfestellungen einfach nicht aufhören. Und da braucht man dann auch professionelle Hilfe.

tagesschau.de: Wie kann ich feststellen, ob ich tatsächlich Schlafprobleme habe und wirklich einen Arzt brauche oder ob ich vielleicht einfach zwei, drei Tage ein bisschen zu viel im Kopf hatte?

Benedict: Man sollte nicht jede einzelne Nacht auf die Goldwaage legen und sich unglaublich stressen, wenn man vielleicht nicht so geschlafen hat, wie man es sich erhofft hatte.

Man sollte ein bisschen rauszoomen und sich eher längere Zeitverläufe angucken. Eine Daumenregel, die in diesem Zusammenhang häufig erwähnt wird: Wenn du mindestens dreimal pro Woche Probleme mit dem Ein- und dem Durchschlafen hast, wenn du morgens aufwachst und nicht mehr wieder einschlafen kannst und du auch am Tag einfach müde und nicht leistungsfähig bist - und das über ein bis drei Monate: Dann sollte man tatsächlich den Arzt aufsuchen, um Ursachenforschung zu betreiben.

Auf lange Sicht ist Ursachenforschung nötig

tagesschau.de: Was halten Sie von Hilfsmitteln? Es gibt Schlaftabletten, es gibt Melatonin, Sprays etc. Kann mir das für einen gewissen Zeitraum helfen?

Benedict: Man könnte ein bisschen böse sagen: Die meisten der noch frei verfügbaren, nicht rezeptpflichtigen Schlafmittel beruhen wahrscheinlich weitgehend auf dem sogenannten Placeboeffekt. Dass ich einfach die Erwartung habe: Das hilft mir. Und alleine diese Erwartungshaltung führt häufig dazu, dass man besser schläft. Aber nichtsdestotrotz darf man natürlich nicht unerwähnt lassen, dass da durchaus auch gewisse Effekte hervorgerufen werden können bei den nicht rezeptpflichtigen Mitteln.

Sie haben das Melatonin erwähnt. Das Melatonin ist kein richtiges Schlafhormon, aber es hilft, den Schlaf zu timen - und bei bestimmten Leuten kann Melatonin da auch wirklich von Nutzen sein.

Wenn man in die rezeptpflichtigen Arzneimittel reingeht, die man für den Schlaf verschreibt: Da gibt es auch eine Vielzahl von Arzneimitteln, und da möchte ich wirklich noch mal daran erinnern, dass man das nicht alles in eine Schublade schmeißt und vermengt und sagt, das ist gefährlich, alles überhaupt nicht empfehlenswert.

Das passiert ja immer in Absprache mit einem Arzt, und der wägt immer ab, was die Vor- und Nachteile sind. Und so ein Arzneimittel kann natürlich kurzfristig helfen, aus so einer Teufelsspirale herauszukommen. Aber auf lange Sicht muss man schon eine Ursachenforschung betreiben, um herauszufinden, warum man so schlecht schläft. Also Schlafmittel sind in der Regel eine Symptombehandlung, keine Ursachenbehandlung.

tagesschau.de: Wenn ich nun schlecht schlafe, was passiert da und das wirklich über einen längeren Zeitraum? Was passiert dann gesundheitlich in meinem Körper?

Benedict: Selbst kurzfristig passieren schon eine Menge Sachen, das können wohl alle irgendwie nachempfinden. Wenn wir nicht genug geschlafen haben, sind wir nicht so leistungsfähig, dann sind wir eher gereizter. Wir können nicht so gut mit Lärm, mit Stress umgehen. Und es gibt sogar Studien aus Schweden, die gezeigt haben, dass man nach einer Nacht des Schlafentzuges von anderen, die gar nicht wissen, dass man nicht geschlafen hat, als weniger attraktiv empfunden wird.

Auf lange Sicht führen chronische Schlafstörungen zu einer Vielzahl von gesundheitlichen Problemen. Studien haben beispielsweise gezeigt, dass es zu einer schnelleren Hirnalterung kommt. Das Hirn wird schon ordentlich belastet, es braucht seinen Schlaf. Jetzt kürzlich haben wir in einer Studie gezeigt, dass man auch ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes hat. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind auch häufig in dem Zusammenhang zu erwähnen.

Aber was ich hier auch erwähnen muss: Man kann nicht einfach schlechten Schlaf mit schlechtem Schlaf vermengen. Das ist so ein Sammelbegriff, eine Sammelkategorie, schlechter Schlaf. Aber der kann natürlich in vielen Formen zum Ausdruck kommen: Man kann mehr obstruktive Schlafapnoe haben, wo man diese Atemaussetzer hat. Oder man kann unter der Insomnie leiden, der Schlaflosigkeit, man kann rastlose Beine haben. Es gibt so viele unterschiedliche Möglichkeiten, Schlafprobleme zu entwickeln, und da braucht man dann einen guten Arzt, der die richtige Diagnose festlegt, damit man die entsprechenden therapeutischen Maßnahmen einleiten kann.

"Frage der guten Balance"

tagesschau.de: Kann ich Schlaf, den ich verpasst habe, eigentlich nachholen?

Benedict: Also prinzipiell ist das Gehirn schon fähig, wenn man ein paar Mal zu wenig schläft, in den darauffolgenden Nächten tieferen Tiefschlaf zu erlangen. Und Schlaf so ein bisschen nachzuholen. Über längere Sicht hat man auch in Studien zeigen können, dass die, die am Wochenende ausschlafen, weil sie unter der Woche zu wenig schlafen, dadurch tatsächlich ihre Sterblichkeit reduzieren. Das heißt, da hat man einen weiteren Grund, warum es vielleicht auch Sinn macht, am Wochenende mal ein bisschen auszuschlafen.

In dem Zusammenhang erwähne ich gerne: Ausnahmen bestätigen die Regel. Natürlich können wir unser Leben nicht so gestalten, dass wir in jeglicher Hinsicht alles so machen, wie es im Buche steht. Dass ich immer mich bewege, dass ich immer sehr gesund esse, dass ich immer jede Nacht perfekt schlafe. Das führt ja auch dazu, dass Leute ein so stressiges Gesundheitsbewusstsein entwickeln, dass sie sich aufgrund dessen auf einmal gar nicht wohlfühlen oder vielleicht auch aufgrund dessen nicht mehr gut schlafen.

Also es ist immer eine Frage der guten Balance, der goldenen Mitte. Und die Ausnahme darf eben durchaus auch da sein, weil sie ja die Regel bestätigt. Und wenn man hier und da mal schlecht schläft, geht ihr Leben trotzdem weiter.

Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redigiert.