Philipp Wild und sein Team

Post-Covid-Studie in Mainz Dem Virus auf der Spur

Stand: 24.11.2023 08:52 Uhr

Die Pandemie ist vorbei, aber viele Fragen rund um Corona sind weiter unbeantwortet. In Mainz forschen Mediziner zu Post Covid, also zu den Langzeitbeschwerden.

In der Abteilung "Präventive Medizin" der Universitätsmedizin Mainz wird die Tür zum Büro von Philipp Wild geöffnet. Ein älterer Herr kommt heraus, der Professor verabschiedet ihn. Der Patient ist einer der Teilnehmer der laufenden "Gutenberg Post-COVID Studie", an der viele Fachbereiche mitarbeiten. Der Epidemiologe und Internist Wild koordiniert und leitet die Untersuchungsreihe.

"Dieser Patient kommt gerade von unserer Basisuntersuchung. Dort wurde er von der Haar- bis zur Zehenspitze zunächst umfassend untersucht", erklärt Wild. "Das gesamte Spektrum des Gesundheitszustandes muss vorliegen, um den Verlauf von Corona beim jeweiligen Patienten zu verstehen." Bei auffälligen Befunden geht es für den Betroffenen weiter in die zuständigen Fachabteilungen. 

Symptome können auch andere Gründe haben

Die entscheidende Anfangsfrage für das Forscherteam lautet stets: Handelt es sich bei den Beschwerden wirklich um eine direkte Folge einer Corona-Infektion? Oder ist es eine andere Erkrankung, die gar nicht mit der vorherigen Covid-Erkrankung im Zusammenhang steht?

"Ich gebe ein Beispiel: Müdigkeit und Konzentrationsschwächen nach Corona können auch ganz andere Ursachen haben", so Wild. "Das müssen wir zunächst herausfinden. Aus dieser Antwort resultieren dann unterschiedliche Therapien, die entscheidend für die Gesundung sind." Hierzu werden im Verlauf der Studie auch Datenbanken angelegt, um möglichst viele Informationen zu sammeln und so Post-Covid-Behandlungen langfristig zu verbessern - eine echte Sisyphos-Arbeit für die Forschergruppe.

Erste Zwischenergebnisse

Die "Gutenberg Post-COVID-Studie" läuft seit knapp zwei Jahren. Bislang nehmen knapp 700 Menschen daran teil, die nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind. Alle Teilnehmer haben eine Corona-Infektion hinter sich.

Das Spektrum der Teilnehmer ist breit gefächert: Knapp 30 Prozent klagen über anhaltende Beschwerden nach Corona. Etwa 100 Teilnehmer waren auf der Intensivstation oder mussten künstlich beatmet werden. Weitere 80 sind nach der Infektion sogar berufsunfähig. Andere Teilnehmer dagegen registrieren bei sich gar keine Folgeerscheinungen. Die Studie läuft zwar noch, aber es gibt bereits erste Trends. 

Frauen häufiger von Post Covid betroffen

"Bei Menschen mit Folgebeschwerden registrieren wir insgesamt sehr heterogene Krankheitsbilder", erklärt Wild. "Viele Beschwerden zeigen sich im Bereich der Lunge. Auch Herz- und Kreislauferkrankungen sind signifikant. Es gibt auch kognitive Einschränkungen wie schlechtere Merkfähigkeit und psychische Probleme bis hin zur Depression oder Angstzuständen. Zudem haben wir bislang festgestellt, dass das chronische Fatigue-Syndrom eher bei jüngeren Menschen auftritt." Fatigue ist ein dauerhafter Erschöpfungszustand, der sich über Monate und sogar Jahre hinziehen kann. 

Insgesamt trete Post Covid häufiger bei Frauen auf, so Wild. Je mehr Vorerkrankungen ein Patient vor Corona hatte, desto größer auch das Risiko langfristig unter Folgebeschwerden zu leiden. Die gute Nachricht: Wer vor der Epidemie fit und gesund war, der leide nach bisherigen Forschungsergebnissen nur sehr selten unter Post Covid, erklärt Wild. 

Ungewissheit und Sorge nach Infektion

Ein paar Zimmer weiter sitzt Manuja Presber. Auch sie nimmt an der Studie teil. Bei ihr geht es wie bei allen anderen mit der Basisuntersuchung los. Hier werden unter anderem Lunge und Herz überprüft, Blut abgenommen, das Nervensystem untersucht oder ein MRT gemacht. Ein ausführliches Gespräch über den Krankheitsverlauf gehört ebenfalls dazu. 

Die 46-Jährige hatte vor zwei Jahren Corona. Damals hatte sie zwei Wochen lang hohes Fieber. Seitdem leidet Manuja Presber unter anhaltenden Beschwerden. "Meine Hausärztin hat mich auf das Programm hier in Mainz hingewiesen. Ich bin oft sehr müde und kraftlos. Zudem habe ich teils Probleme, die richtigen Worte zu finden", erzählt Presber, die als Pflegerin arbeitet.

Manuja Presber

Manuja Presber leidet unter anhaltenden Beschwerden.

"Man weiß noch nicht viel"

"Schon kleiner Stress löst bei mir Kopfschmerzen aus. Nach der Arbeit brauche ich Ruhe und will nur nach Hause. Früher war ich oft mit Familie oder Freunden unterwegs. Das ist selten geworden", erzählt Presber. Auch nach längeren Auszeiten kämen die Symptome schnell wieder. Manuja Presber hofft auf Hilfe in der Unimedizin Mainz und will mit ihrer Teilnahme an der Studie auch die Forschung voranbringen. "Über Post Covid ist noch nicht viel bekannt. Ich hatte schon viele Untersuchungen. Mein Eindruck ist, dass viele Ärzte in diesem Bereich einfach überfordert sind, weil man noch nicht so viel weiß." 

Neben den körperlichen Symptomen macht der Pflegerin aber auch die Ungewissheit zu schaffen. "Viele Menschen machen sich Sorgen um mich. Was habe ich denn eigentlich? Ich bin schon ein kämpferischer Typ, aber wie lange geht das noch? Und wird es vielleicht sogar noch schlimmer?" Manuja Presber treibt auch das Schicksal einer Arbeitskollegin um, die fünfmal an Corona erkrankt war. Nach der Infektion litt sie unter ähnlichen Beschwerden und verstarb dann plötzlich. "Da mache ich mir jetzt auch schon Sorgen", erzählt sie nachdenklich. 

Viele Fragen, wenig Geld

Neben der Post-Covid-Studie gibt es derzeit noch eine weitere Untersuchungsreihe der Universitätsmedizin Mainz. Sie hat den Namen "SentiSurv RLP" und wurde vom Landesministerium für Wissenschaft und Gesundheit in Rheinland-Pfalz in Auftrag gegeben. Im Rahmen dieses Projekts wird die jeweils aktuelle Inzidenz des Coronavirus ermittelt. 

Jede Woche testen sich rund 14.000 Teilnehmer aus fünf Städten in Rheinland-Pfalz mit einem Antigen-Test auf Corona. Die Ergebnisse übermitteln sie mittels einer App. Ziel ist es, ein Echtzeitbild über die aktuelle Infektionslage zu erhalten. "Dieses Projekt ist ein wichtiger Lerneffekt aus der Pandemie. Es ist ein Frühwarnsystem. Wir sehen, wo sich Infektionen entwickeln. Das hat während der Corona-Wellen gefehlt", erklärt Mediziner Wild.

Zahlreiche unbeantwortete Fragen

Zudem können die Forscher über die App mit den Teilnehmern auch kommunizieren. "Wir erhalten so direkt nicht nur ein individuelles Krankheits-, sondern auch ein Stimmungsbild. Das ist sehr wichtig. Aus der Pandemie wissen wir ja noch, dass es auch um psychologische Probleme ging, die die Menschen teils sehr belastet haben." 

Wild und sein Forscherteam stehen noch vor zahlreichen unbeantworteten Fragen. Die "Gutenberg Post-COVID Studie" startete vor knapp zwei Jahren und sollte eigentlich im Laufe diesen Jahres auslaufen. Das Landesgesundheitsministerium in Mainz hat die Studie mit 398.000 Euro einmalig unterstützt.

Aufgrund immer neuer Fragen will Wild das Projekt aber bis auf Weiteres fortsetzen. "Derzeit steuern Berufsgenossenschaften für die Untersuchung von Betroffenen noch Gelder zu. Für eine dauerhafte Erforschung sind unsere Finanzmittel aber zu gering. Die Pandemie ist zwar vorbei, die gesundheitlichen Folgen von Covid werden uns aber noch sehr lange begleiten. Wir müssen dranbleiben."  

 

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