Ein Jugendlicher hält ein Hörgerät vor sein Ohr.

Jung und schwerhörig Wenn Hörgeräte cool werden

Stand: 03.09.2024 06:48 Uhr

Hörgeräte gibt es mittlerweile in allen Formen und Farben - auch in schick. Trotzdem scheuen noch immer gerade junge Leute davor zurück, sie zu tragen. Ein TikToker will das ändern.

Von Aniko Schusterius, NDR

"Es ist ja allgemein bekannt: Ich trage Hörgeräte. Aber Junge, sind die Dinger geil! Ich trag' die jetzt schon seit über zwei Jahren und nicht einen Tag davon hab ich es bereut." Das Video von Content Creator Levi Penell war ein Überraschungserfolg auf Social Media. Mehr als sechs Millionen Klicks und jede Menge Zuspruch aus der Community: Hörprobleme von jungen Leuten sollten erst genommen werden, für Hörgeräte brauche sich niemand zu schämen.

Hörgeräte gelten noch immer als "Alte-Leute-Ding". Viele Menschen zögern den Gang zum Hörtest hinaus, selbst wenn sie manches nicht mehr so gut verstehen. Doch Mediziner betonen, dass gutes Hören in jedem Alter wichtig ist.

Angst vor Ausgrenzung

Der 24-jährige Levi Penell trägt erst seit drei Jahren Hörgeräte, obwohl seine Schwerhörigkeit bereits angeboren ist. Schon im Alter von sechs Jahren war klar: Levi braucht ein Hörgerät. Doch als Kind schrecken ihn die auffälligen Geräte ab: "Ich habe mich damals geweigert gegen Hörgeräte. Ich fand, dass die total albern aussahen. Damals waren die viel größer und die Hörgeräte für Kinder auch bunt."

Dass seine Schwerhörigkeit Levi im Alltag zunehmend einschränkte, wurde ihm als Student klar, als seine Uni-Vorlesungen nach der Corona-Pandemie wieder in Präsenz stattfanden. Während er am Computer die Lautstärke so hoch wie nötig einstellen kann, verstand er im großen Hörsaal seinen Professor kaum noch. Hinzu kommt ein Tinnitus, der Levi seit Jahren schon Probleme bereitet. Sein HNO-Arzt riet ihm zu Hörgeräten, auch um den Tinnitus zu lindern.

Schamgefühle: Das Tabu Hörgerät

Levi merkt in seinem Alltag, dass Hörprobleme unter jungen Menschen ein Tabu sind. Deutlich wird es ihm besonders im Gespräch mit Gleichaltrigen, die ebenfalls von Hörproblemen betroffen sind. Diese lehnten einen Besuch beim Arzt kategorisch ab, weil sie keine Hörgeräte tragen wollen, sagt er.

Diese Hemmschwelle nimmt auch HNO-Ärztin Sylvia Brockhaus bei ihren Patienten wahr. Während sich Kinder besonders schnell an die Geräte gewöhnten, fürchteten Teenager Stigmatisierung. "Es gibt Teenager, die sagen, dass sie sich schon sehr lange auf ein Hörgerät freuen, das man im Ohr tragen kann und unauffälliger ist. Das macht man in der Wachstumsphase nicht, weil das dann immer wieder neu angepasst werden müsste", so Brockhaus.

Auch eine EuroTrack-Umfrage von 2022 zeigt: Wer Hörprobleme bei sich feststellt, geht nicht zwangsläufig zum Arzt. Jeder Fünfte macht trotz Hörproblemen keinen Hörtest.

Folgen nicht behandelter Schwerhörigkeit

Hörprobleme nicht beim Arzt untersuchen zu lassen, kann schwere Folgen haben, sagt Brockhaus, besonders in jungen Jahren. "Auch wenn sich das Hören über ein paar Jahre nicht verschlechtert, kann sich das Sprachverstehen verschlechtern. Das messen wir getrennt", sagt Brockhaus.

Für jedes Lebensalter gilt: Wer auf Dauer schlecht hört, schädigt sogar das Gehirn. Kommen weniger Reize aus den Ohren im Hirn an, verkümmern die zuständigen neuronalen Netze.

Zukünftig mehr junge Schwerhörige

Mediziner befürchten, dass Schwerhörigkeit gerade bei jungen Menschen in den nächsten Jahren immer weiter zunehmen wird. Die WHO begründet das in ihrem World Hearing Report mit der ständigen Lärmbeschallung im Alltag.

Dazu zählen die Wissenschaftler dauerhaft zu laut eingestellte Kopfhörer und extrem laute Konzertbesuche ohne Gehörschutz. Das kann zu einer Lärmschwerhörigkeit führen, bei der die Sinneshaarzellen in der Hörschnecke des Ohres abknicken. Das Gehirn bekommt keine Signale mehr weitergeleitet - der Schaden ist irreparabel.

Hörsysteme können individuell angepasst werden

Mittlerweile fallen Hörgeräte optisch kaum noch auf, sagt Hörakustiker Lennart Bandick. Er unterscheidet sie in zwei Kategorien: Geräte, die hinter und solche, die in den Ohren sitzen. "Hörgeräte, die hinter den Ohren sitzen, haben im besten Falle eine maßgefertigte Otoplastik", sagt Bandick. Die meist durchsichtigen Formpassstücke halten das Gerät im Ohr und dichten es ab.

Gerade junge Leute wählten oft Modelle, die sich via Bluetooth an das Smartphone koppeln und so Musik abspielen lassen. Je mehr Funktionen ein Hörgerät hat, umso größer ist es jedoch, sagt Bandick.

Das wird auch deutlich beim Preis. Grundsätzlich übernehmen Krankenkassen die Kosten für Hörgeräte mit Basisausstattung, da bleibt nur die Zuzahlung von zehn Euro. Für zusätzliche Funktionen muss ein Kunde tiefer in die eigene Tasche greifen. "Man kann für ein Pärchen Hörsysteme um die fünfeinhalbtausend Euro ausgegeben", sagt Bandick.

Hörgeräte als Gadget der Zukunft

Levi Penell ist mit seinen Hörgeräten sehr zufrieden. Probleme beim Hören hat er nur noch selten, wie in vollen Lokalitäten. Er glaubt, dass Hörgeräte das Gadget der Zukunft werden, wenn sie vielleicht bald mithilfe von KI Fremdsprachen live übersetzen.

Auch den allgemeinen Trend zu In-Ear-Kopfhörern sieht er positiv. "Es ist außerdem grundsätzlich kein ungewöhnlicher Anblick mehr Leute rumlaufen zu sehen, die irgendwas auf dem Ohr hängen haben. Das ist eine positive Entwicklung auch für junge Leute, die Hörgeräte tragen", so Levi. Wenn der Trend das Tabu ablöst, werden kleine Gadgets im Ohr selbstverständlich.

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