Eisschwimmer im Waldseebad in Hasselfelde (Sachsen-Anhalt).

Gesundheit Wo Kälte hilft und wo sie schadet

Stand: 21.01.2024 17:07 Uhr

Eisschwimmen liegt im Trend, soll das Leben verlängern und beim Abnehmen helfen. Tatsächlich wird Kälte auch als Therapie eingesetzt - unterschätzen sollte man sie aber nicht.

Von Marcus Schwandner und Jeanette Schindler, SWR

Eisbaden, also das Schwimmen in eiskaltem Wasser, ist beliebt. In Skandinavien, aber auch in den baltischen Staaten, schlagen Eisschwimmer sogar Löcher ins Eis, um darin zu baden.

Kaltes Wasser kann aber schnell auch lebensgefährlich werden, etwa für Fischer oder Segler, die über Bord gehen. Der Arzt Oliver Opatz arbeitet an der Charité und am Zentrum für Weltraummedizin und extreme Umwelten in Berlin. Er untersucht die Wirkung von Kälte auf Menschen.

Plötzliche Kälte, beispielsweise wenn jemand kopfüber ins Wasser fällt, löst Alarmsignale im Körper aus. Alle Blutgefäße an der Körperoberfläche und den Gliedmaßen ziehen sich schnell zusammen, um den Körperkern warm zu halten. "Durch dieses Zusammenziehen der Gefäße muss das Herz plötzlich gegen einen ganz hohen Widerstand pumpen", erklärt Opatz im Podcast SWR2 Wissen.

"Das Herz kann dann nicht mehr richtig seinen Auswurf leisten und wird plötzlich ganz langsam." Gleichzeitig bekommt das Herz aber einen Impuls, ganz schnell zu pumpen. Durch diese widersprüchlichen Reize kann es zum Herzstillstand kommen.

Schockreaktionen können zum Tod führen

Eine weitere Gefahr: Das Gehirn wird nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt, wenn das Herz plötzlich langsam pumpt. Der Eisschwimmer wird bewusstlos und ertrinkt. Die Hälfte der Todesfälle gehen auf Kälteschockreaktionen zurück. 30 Prozent sterben an Unterkühlung und 20 Prozent tatsächlich noch während der Rettung. Die Betroffenen wähnen sich in Sicherheit, der Stresshormonpegel sinkt und der Körper kämpft nicht mehr ums Überleben, sondern erschlafft.

Daher ist es wichtig, sich durch regelmäßiges Training an die Kälte zu gewöhnen und niemals allein in eisigem Wasser zu schwimmen.

Extreme Kälte hat auch positive Effekte auf den Körper

Die Gefäße ziehen sich zusammen, Muskeln werden heruntergekühlt, wenn der Mensch eisiger Kälte ausgesetzt ist. Und gerade diese Prozesse werden auch als Therapie für verschiedene Krankheiten genutzt, etwa bei Autoimmunerkrankungen, chronischen Entzündungen, rheumatische Erkrankungen oder Gelenkreizungen.

Obwohl Kälte und gerade auch eiskaltes Wasser eine extreme Belastung für den Körper sind, wirken sie sich positiv auf das Herz-Kreislauf-System aus. Es wird durch die Herausforderung angeregt und trainiert. "In mehreren Studien entdeckten die Autoren beim Herz-Kreislauf-System Veränderungen, die nur als gesundheitsförderlich interpretiert werden können", sagt James Mercer, emeritierter Professor der Arktischen Universität in Norwegen.

Auch auf den Blutzuckerspiegel wirkt sich Kaltwasser-Schwimmen positiv aus. Wer regelmäßig in kaltem Wasser schwimmt, dessen Körper springt besser auf Insulin an, das den Blutzucker reguliert. Sowohl die Insulinsensitivität, als auch die Insulinresistenz werden positiv beeinflusst.

Schwimmer steigen im Winter in den Blausee (Schweiz).

Eisschwimmer im Blausee in der Schweiz. Ins eiskalte Wasser sollte man niemals allein.

Kann Kälte Leben verlängern und Alterung bremsen?

Und Kälte kann möglichweise sogar Leben verlängern oder altersbedingten Krankheiten vorbeugen. Wissenschaftler von der Universität Köln untersuchten am Alternsforschungs-Exzellenzcluster CEDAD Fadenwürmer, die Gene für zwei neurodegenerative Krankheiten trugen.

Fadenwürmer mögen eigentlich Zimmertemperatur, wurden für das Forschungsexperiment aber bewusst unterkühlt. Das Ergebnis: Die Fadenwürmer, die kühl gehalten wurden, waren aktiver und lebten länger als ihre Artgenossen, die bei Zimmertemperatur gehalten wurden. In früheren Studien fanden Forscher heraus, dass durch die Kälte auch die Fruchtbarkeit der Fadenwürmer zunahm.

Die Forscher vermuten, dass Kälte zelluläre Reinigungsprozesse aktiviert und dadurch schädliche Proteinverklumpungen schneller abgebaut werden. Diese Verklumpungen sind auch für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Huntington oder Parkinson verantwortlich. Forschungsleiter David Vilchez erhofft sich daher von der Arbeit an den Fadenwürmern wichtige Erkenntnisse über die gesundheitsfördernde Wirkung von Kälte auch beim Menschen.

Experimente auch mit Mäusen

Auch in Experimenten mit Mäusen zeigten sich positive Effekte. Deren Lebensspanne verlängerte sich um ein Fünftel, wenn ihre Körpertemperatur abgesenkt wurde. "Wir waren begeistert, es war genau wie bei den Würmern. Der zelluläre Reinigungsprozess war aktiver bei kälterer Temperatur", sagte Vilchez in SWR2 Wissen. "Dann dachten wir, vielleicht kann so auch die Verklumpung in menschlichen Zellen verhindert werden. Wir haben die menschlichen Zellen genommen, das Hauptprotein, das Huntington verursacht, und festgestellt: Wenn wir alles um ein Grad abkühlen, können wir die Verklumpung vermeiden, da dann das toxische Protein noch weiter zerstört wird." Und das funktioniere auch bei ALS, einer neurodegenerativen Alterserkrankung.

Noch sind die Forschungen im Alltag für Menschen nicht anwendbar. Wer dennoch schon etwas für seine Gesundheit tun möchte, sollte im kalten Wasser schwimmen. Die Metaanalyse des norwegischen Kälteforschers Mercer zeigt eindeutige Ergebnisse auch beim Immunsystem. "Einige Blutwerte verändern sich so, dass man daraus schließt, dass das Immunsystem stimuliert wurde. Und es wirkt anti-entzündlich, könnte man sagen."

Kälte hilft beim Abnehmen

Kaltwasserschwimmen wirkt sich auch auf das Fettgewebe aus. Neugeborene haben viel braunes Fett, das ihnen hilft, die Körpertemperatur zu regeln. Dieses braune Fett geht dann im Laufe der Jahre immer mehr verloren, sodass Erwachsene nur noch sehr wenig davon haben. "Sich der Kälte auszusetzen, stimuliert die Bildung von braunen Fettzellen. Oder: Es verändert weiße zu braunen Fettzellen", erklärt Mercer in SWR2 Wissen.

"Wir nennen dies: das Bräunen von weißem Fett. Warum ist das interessant? Erstens ist das quasi eine extra Heizung. Zweitens verbrauchen braune Fettzellen Energie. Und das ist Fett. Triglyzeride. Die braunen Fettzellen lieben Triglyzeride. Das ist ziemlich gut, denn das ist ein Weg abzunehmen."

Kälte macht glücklich

Kältetherapien können sogar der Psyche guttun. Patienten berichten nach Sitzungen in ein Kältekammer, sie fühlten sich belebt und positiver gestimmt. Zum einen, weil Schmerzen verschwinden oder nachlassen, zum anderen aber auch, weil Hormone ausgeschüttet werden. "Natürlich wird währenddessen ganz viel Adrenalin ausgeschüttet", bestätigt Physiotherapeut Marcel Kleinitz aus Leverkusen. "Wenn es dann vorbei ist, der Therapeut macht die Tür wieder auf, dann folgt diesem starken Adrenalinausstoß ein erhöhter Serotonin- und Endorphin-Ausstoß."

Serotonin und Endorphin - auch die Glückshormone genannt - fördern das Wohlbefinden, wirken beruhigend und schmerzlindernd. Und man schläft besser, denn am Abend steigt auch der Melatonin-Spiegel. Durch die Kälte wird gewissermaßen ein wahrer "Cocktail an Glückshormonen" aktiviert.

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