Ein Diabetiker erhält eine Insulininjektion.

Adipositas-Medikamente Neue Spritzen gegen Übergewicht

Stand: 14.05.2023 09:55 Uhr

Wer an Adipositas leidet, hatte bisher nur eine Option, um Gewicht zu reduzieren: eine Magenverkleinerung. Nun gibt es neue Medikamente. Ist der Hype um die Abnehmspritzen gerechtfertigt? Und wem helfen sie?

Von Boris Geiger, BR

"Ich war nicht mehr in der Lage, alleine aus der Badewanne zu steigen - jetzt kann ich sogar wieder Skifahren und Tanzen", erzählt Barbara Stiemerling freudestrahlend. Die Rheinländerin, die seit vielen Jahren in der Schweiz lebt, hat gerade eine Abnehmtherapie mit dem Wirkstoff Liraglutid hinter sich. Sie konnte ihr Gewicht damit von fast 84 auf rund 66 Kilogramm reduzieren - innerhalb von mehreren Monaten.

Nicht alle Betroffenen nehmen so viel ab und bei manchen wirken die Medikamente auch gar nicht. Doch um die Abnehmspritzen ist gerade ein riesiger Hype entstanden, vor allem in den USA. Tausende Menschen, darunter Promis wie Elon Musk oder Kim Kardashian, berichten auf Social Media von spektakulären Abnehmerfolgen. Was ist dran? Und wie wirken die Medikamente?

Übergewicht - eine neue Pandemie

Adipositas ist eine Volkskrankheit. Ab einem Body-Mass-Index von 30 gilt man als adipös. In Deutschland leiden 19 Prozent der Bevölkerung daran, weltweit sind laut Weltgesundheitsorganisation 650 Millionen Menschen krankhaft fettleibig. Adipositas-Mediziner wie Matthias Blüher vom Universitätsklinikum Leipzig sprechen sogar von einer "neuen Pandemie", für die es dringend neue Therapiekonzepte brauche.

Adipositas-Behandlung: drei Therapiebausteine

Adipositas gilt als chronische Stoffwechselerkrankung, die schwierig zu behandeln ist. Bei leichteren Fällen hilft eine Umstellung auf kalorienarme Ernährung plus mehr Bewegung. Das Problem: Für Patienten, die fünfzig oder mehr Kilo zu viel haben, reicht das nicht. Sie können damit langfristig im Schnitt nur fünf Prozent Gewicht reduzieren. Der Grund: Ihr Körper wehrt sich gegen den Kalorienentzug und aktiviert Hormone, die den Heißhunger auf Kalorien ankurbeln.

Hier kam bisher meist nur eine Magen-OP in Frage. Dabei wird der Magen operativ verkleinert und verändert - man wird schneller satt. Doch eine OP ist immer ein riskanter Eingriff und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Mit den Abnehmspritzen kommt nun ein dritter Therapiebaustein dazu, der direkt auf den Hormonhaushalt des Körpers einwirkt. Was passiert dabei?

Wirkstoffe aus der Diabetes-Therapie

Bei vielen Adipositas-Patienten ist der hormonelle Regelkreis von Hunger und Sättigung gestört. Hier setzen die neuen Medikamente an. Der aktuell gängigste Wirkstoff ist Liraglutid. Ursprünglich gegen Typ-2-Diabetes entwickelt, beschleunigt das synthetische Darmhormon das Sättigungsgefühl im Gehirn, wenn es einmal die Woche gespritzt wird. Außerdem entleert sich der Magen langsamer.

Weitere Wirkstoffe stehen in den Startlöchern: Semaglutid, das noch in diesem Jahr unter dem Handelsnamen "Wegovy" in Deutschland auf den Markt kommen soll. In Studien erzielten Teilnehmer damit eine Gewichtsabnahme von fünfzehn Prozent innerhalb eines Jahres. Und Tirzepatid, mit dem in US-Studien das Gewicht im Schnitt um 21 Prozent reduziert werden konnte. Bislang ist Tirzepatid in Deutschland ebenfalls noch nicht verfügbar.

Medikamente nicht von Kasse übernommen

Für wen kommen die Medikamente in Frage? Ab einem Body-Mass-Index von 27 können die Abnehmspritzen eingesetzt werden, wenn die Betroffenen mindestens eine Begleiterkrankung haben, die im Zusammenhang mit Adipositas steht. Zum Beispiel Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes oder Gelenkentzündung. Wenn die Patientinnen und Patienten keine Begleiterkrankungen haben, ist die Behandlung ab einem BMI von 30 zugelassen.

Das Problem: Während die medikamentöse Therapie in Ländern wie etwa der Schweiz von den Kassen übernommen wird, müssen Betroffene in Deutschland die Medikamente selbst bezahlen. In Dänemark, dem ersten Land in Europa, das bereits mit Semaglutid beliefert wird, liegen die Kosten pro Monat zwischen 180 und 320 Euro.

Endokrinologen wie Blüher fordern, dass sich die medizinischen Rahmenbedingungen in Deutschland ändern müssen. "Die Therapie der Adipositas in unserem Gesundheitssystem ist defizitär. Viele Therapieverfahren sind von der Erstattungsfähigkeit durch Krankenkassen ausgeschlossen. Das betrifft Formen der Ernährungsberatung, aber eben auch der medikamentösen Therapie." Laut Sozialgesetzgebung gelten die Wirkstoffe immer noch als Lifestyle-Medikamente. Hier muss der Gesetzgeber aktiv werden, ansonsten haben die Kassen keine Möglichkeit, die Medikamente zu erstatten.

Gesellschaftliche Stigmatisierung

Blüher, der sich als Vorstandsmitglied der Deutschen Adipositas-Gesellschaft für ein besseres Verständnis der Krankheit einsetzt, weist auf ein immer noch weit verbreitetes Vorurteil hin: Wer übergewichtig ist, besitzt keine Disziplin, hat seine Ernährung nicht im Griff - und sein Leben auch nicht.

Eine gefährliche Stigmatisierung, mit der fast alle Adipositas-Erkrankten zu kämpfen haben. Doch Adipositas ist eine hormonelle Krankheit, an der niemand Schuld hat.

Verhaltenstherapie für langfristigen Erfolg

Allerdings sind die Abnehmspritzen auch kein Wundermittel. Viele Patientinnen und Patienten klagen zu Therapiebeginn über Nebenwirkungen wie starke Übelkeit. Doch die Medikamente allein reichen nicht, um das Gewicht dauerhaft zu halten. "Man wird aufs Pferd gesetzt, aber man muss selber reiten. Ich habe auch Fitnesstraining gemacht, drei bis viermal in der Woche", berichtet Adipositas-Patientin Stiemerling.

Die Behandlung muss außerdem immer verhaltenstherapeutisch begleitet werden, damit die Betroffenen lernen, ihren Lebensstil dauerhaft umzustellen. Denn als chronische Krankheit hat Adipositas auch immer Einfluss auf die Psyche.

Die medikamentöse Therapie steht noch relativ am Anfang. Nur wenn es gelingt, bei der Behandlung den gesamten Menschen in den Blick zu nehmen, können die neuen Abnehmmedikamente tatsächlich ein Gamechanger werden.

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