Eine Frau hält sich eine Wärmflasche an den Unterbauch, während sie im Bett liegt.

Blasenentzündung Wenn Viren gegen Bakterien kämpfen

Stand: 09.08.2023 06:38 Uhr

Immer mehr Bakterien sind resistent gegenüber Antibiotika. In Zürich haben Forschende einen neuen Schnelltest und Therapieansatz zur Behandlung von Harnwegsinfektionen entwickelt - auf Basis von Bakteriophagen.

Von Elisabeth Theodoropoulos, SWR

Etwa jede zweite Frau ist im Laufe ihres Lebens von einer Blasenentzündung betroffen. Die sind nicht nur schmerzhaft und potenziell gefährlich, sondern stellen Ärztinnen und Ärzte auch vor ein Dilemma: Antibiotikaresistenzen sind bei Harnwegsinfekten weit verbreitet und nehmen weiter zu. Trotzdem sind Medizinerinnen und Mediziner oft gezwungen, blind ein bestimmtes Antibiotikum zu verschreiben - ohne zu wissen, ob dieses auch tatsächlich gegen den verursachenden Erreger wirksam ist, da die Identifikation des konkreten Erregers mehrere Tage dauert.

Forscherinnen und Forscher der ETH Zürich haben nun in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Balgrist eine Art Schnelltest entwickelt, der auf Bakteriophagen basiert - das sind Viren, die ausschließlich Bakterien befallen. Zudem haben sie die Phagen genetisch modifiziert, dass sie die krankheitserregenden Bakterien möglichst effizient zerstören.

Diagnose per Lichtsignal

Bakterien dienen den Bakteriophagen als Wirte. Die Phagen sind hochspezialisierte Viren, die jeweils nur eine bestimmte Bakterienart oder -stamm befallen, angreifen und zerstören können. Diese Eigenschaft haben die Forschenden sich zu Nutzen gemacht: Sie haben die auf Harnwegsinfekt-Bakterien spezialisierten Phagen so modifiziert, dass die infizierten Wirtsbakterien nach Kontakt mit den Phagen ein Lichtsignal abgeben.

In Zukunft könnten die Bakterien so direkt in der Urinprobe nachgewiesen werden. Daraufhin kann Betroffenen entweder ein passendes Antibiotikum verschrieben werden, oder sie könnten auch direkt mit den passenden Phagen therapiert werden.

Renaissance der Phagen

Phagentherapien sind bereits seit über 100 Jahren bekannt, gerieten aber in westlichen Industrieländern mit der Entdeckung der Antibiotika in Vergessenheit. Doch immer mehr Bakterien werden gegen Antibiotika resistent.

Bakteriophagen haben den entscheidenden Vorteil, dass sie nur ein einziges Zielbakterium angreifen, ähnlich wie ein Scharfschütze. Antibiotika hingegen zerstören auch die Begleitflora. "Außerdem ist die Verträglichkeit [der Phagen] sehr gut - wir nehmen mit der Nahrung täglich Milliarden von Phagen auf, ohne dass es dabei relevante Nebenwirkungen gibt", sagt Mathias W. Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Jena.

Allerdings hat die Phagentherapie auch Nachteile: Sie muss genau auf die Bakterien zugeschnitten sein, die bei einem Patienten eine Infektion auslösen. Alexander Harms, Assistenzprofessor für Molekulare Phagenbiologie der Technischen Hochschule Zürich, sieht eine Möglichkeit in "vorgefertigten 'Phagen-Cocktails', (…) da sie gerade für alltägliche und nicht lebensbedrohliche Infektionen eine gute (…) Option sind, die den Einsatz von Antibiotika ergänzen und vielleicht auch teilweise ersetzen könnte".

Zusammenspiel von Bakteriophagen und Antibiotika

Außerdem gibt es eine schnelle Entwicklung von Resistenzen gegenüber den eingesetzten Phagen. Den Bakterien fällt es jedoch schwer, gegen Antibiotika und Phagen gleichzeitig Resistenzen zu entwickeln. Wenn man Bakterien also einem hohen Phagendruck aussetzt, entwickeln sich Resistenzen gegenüber den Phagen, wodurch dann häufig aber wieder eine Antibiotikatherapie möglich wird.

"Wir müssen dieses Potenzial nutzen, um Antibiotika und Phagen auf elegante und flexible Weise zu kombinieren", sagt Julia Frunzke, Leiterin der Arbeitsgruppe Bakterielle Netzwerke und Interaktionen am Institut für Bio- und Geowissenschaften am Forschungszentrum Jülich.

Vom Labor in die Klinik

In der EU und in Deutschland gibt es bislang noch kein zugelassenes Phagenpräparat als Medikament. Bis solche Therapien in westlichen Ländern breit angewendet werden können, muss ihre Wirksamkeit in klinischen Studien belegt werden. Die Forschenden der Technischen Hochschule Zürich und der Universitätsklinik Balgrist wollen nun eine solche Studie durchführen, sodass in den nächsten fünf bis zehn Jahren entschieden werden kann, wo und in welcher Form Phagentherapien eingesetzt werden können, sagt Samuel Kilcher, Mitautor der Studie, im Interview mit dem SWR.

Expertinnen und Experten plädieren daher kurzfristig dafür, die Phagentherapie in besonderen Bedarfsfällen für mehr Betroffene in Deutschland bereits jetzt zugänglich zu machen. In Belgien beispielweise kann eine Phagentherapie auf ärztliche Verordnung individuell in Apotheken hergestellt werden. Die Wirksamkeit könnte anhand von unterschiedlichen Infektionen überprüft werden. Expertinnen und Expertem schlagen dazu Wundinfektionen, Infektionen am Gehörgang oder eben der Blase vor. Besonderes Potenzial bietet die Therapie für die (noch) kleine Gruppe von Patienten, bei denen bereits alle anderen Behandlungsansätze versagt haben.

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