Interview

Zeitungskrise "Die Lust an der Apokalypse ist groß"

Stand: 23.11.2012 14:24 Uhr

FTD, FR, "Prinz" vor dem Aus - die deutsche Printmedienlandschaft wird übersichtlicher. Im Interview mit tagesschau.de analysiert der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen die Gründe und spricht von einer Dreifachkrise des Journalismus. Daran hätten auch die Journalisten selbst ihren Anteil.

tagesschau.de: Am 7. Dezember wird die "Financial Times Deutschland" zum letzten Mal erscheinen. Nie hat die FTD in den vergangenen zwölf Jahren schwarze Zahlen geschrieben. Warum konnte sich das Blatt am Markt nie wirklich behaupten?

Bernhard Pörksen: Die Zielgruppe der FTD, gegründet in der Hochphase der New Economy, war immer überschaubar. Darüber hinaus macht der FTD wie auch der "Frankfurter Rundschau" die dreifache Krise im Journalismus zu schaffen. Strukturell ist eine massive Abwanderung wichtiger Anzeigen wie Stellen- oder Rubrikenanzeigen ins Netz zu verzeichnen. Diesen Prozess kann man nicht umkehren. Darüber hinaus ist das Anzeigenaufkommen generell eingebrochen. Aufgrund des Geschäftsmodells von Tageszeitungen, die sich bis zu zwei Drittel durch Anzeigen finanzieren, schlägt jede Werbekrise in brutaler Unmittelbarkeit auf die eigenen Erlöse durch.

Und: Der gedruckte Journalismus steckt in einer Kreativitätskrise. Niemand hat bislang eine robuste Antwort auf die Frage gefunden, wie das überzeugende Geschäftsmodell der Zukunft aussieht. Es gibt Ansätze, aber noch kein Rezept oder gar eine gemeinsame Linie. Das Kernproblem lautet: Wie lässt sich der gedruckte Qualitätsjournalismus in einem Klima refinanzieren, in dem Print als Medium von vorgestern gilt und systematisch tot geredet wird?

Zur Person
Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Uni Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. der Medienwandel, Krisen- und Reputationsmanagement, Kommunikationsmodelle und -theorien, Inszenierungsstile in Politik und Medien und die Dynamik von Skandalen als Spiegel aktueller Wertedebatten.

Fatales Signal der Verlage

tagesschau.de: Heißt das, dass die Nachricht als Ware nicht mehr attraktiv ist?

Pörksen: Nein, sie ist attraktiv, wurde aber viel zu lange viel zu billig abgegeben. Das war der Riesenfehler der Verlage: Sie haben ein kostenintensiv produziertes Gut sehr lange kostenlos geliefert, die eigenen Artikel einfach online gestellt. Sie haben ihrem Publikum signalisiert, dass Artikel, Recherchen und Features zwar in der Herstellung etwas kosten mögen, aber eben im Netz gratis zu haben sind. Das war ein fatales Signal, weil man so seine Zielgruppe daran gewöhnt hat, dass die eigenen Leistungen nicht vergütet werden müssen.

tagesschau.de: Verdrängt also das Netz die Zeitung?

Pörksen: Das würde ich nicht sagen. Aber der gedruckte Qualitätsjournalismus muss sein Geschäftsmodell überdenken, sich breiter aufstellen. Er muss neue Formen der Kooperation zwischen Print und Online entdecken. Er muss sehr viel stärker auf das Prinzip der Kofinanzierung setzen: Reisen anbieten, DVDs und Bücher verkaufen, lukrative Nebengeschäfte erproben, Communities kreieren und auf diese Weise Leserbindung schaffen. Dahin geht der Weg. Die Jahre, in denen man nur mit gedrucktem Journalismus reich werden konnte, sind definitiv vorbei. Und ganz klar ist: Es wird in naher Zukunft weitere Versuche geben, die Gratiskultur zu brechen und stärker auf Bezahlinhalte zu setzen.

tagesschau.de: An welchen internationalen Beispielen für lukrative Internetangebote hätten sich die deutschen Verleger orientieren können?

Pörksen: Die "New York Times" hat vor einiger Zeit das Prinzip eines durchlässigen Online-Bezahlsystems eingeführt. Es ist das Prinzip einer porösen Paywall, das reagiert - und funktioniert. Hier senkt sich die Bezahlschranke nach einer bestimmten Anzahl von Artikeln. Wenn der Leser also mehr lesen will, muss er bezahlen. Meine Prognose ist, dass wir auch in Deutschland vermehrt Paid Content, also bezahlten Inhalt, bekommen. Darüber hinaus gibt es in den USA interessante Formen des journalistischen Mäzenatentums. Einzelne wohlhabende Leute gründen Stiftungen, die ihrerseits aufwendige Recherche fördern und finanzieren. Diese Debatte über verstärkte öffentliche Alimentierung des Qualitätsjournalismus wird auch Deutschland erreichen. Vorstellbar sind zum Beispiel politikferne Stiftungen.

"Printredaktionen mutieren zu Klagemauern"

tagesschau.de: Wenn sich Leser und User jetzt schon so lange an die Gratisangebote gewöhnt haben - wie lässt sich das Ruder noch mal herum reißen?

Pörksen: Ich glaube, es ist auch eine Imagekampagne und eine breite Debatte im Sinne einer gesellschaftspolitischen Antwort notwendig. Die Bewusstseinsbildung für den Wert des Gedruckten findet im Moment seiner größten Krise nicht ausreichend statt. Es muss eine Debatte darüber geben, was Qualität kostet. Modisch formulierende Medienwissenschaftler, Blogger, Social-Media-Berater, Print-Journalisten selbst - sie alle haben die Zeitung bislang mit großer Energie ins Grab geredet. Die Lust an der Apokalypse ist offenkundig ungeheuer groß, auch und gerade in Zeitungshäusern. Viele Printredaktionen sind längst zu Klagemauern mutiert: Die Volontäre werden nicht mehr übernommen, so heißt es, die Anzeigen brechen ein. Und manche Arbeitsämter raten vom Beruf des Zeitungsjournalismus inzwischen dringend ab. Das alles mag stimmen.

Zeitungsleserin

Eine gesellschaftliche Frage: Was ist uns die gedruckte Zeitung wert?

Aber: Ein Medium, das nicht mehr an sich glaubt, kann natürlich auch nicht gut für sich werben und die eigenen Leute zu kreativen Höchstleistungen animieren. Diese Neigung zur vorschnellen Grabrede lässt sich nur drehen, wenn die Printjournalisten selbst damit aufhören, ihren eigenen Untergang zu beschwören und ihn als Gewissheit zu verkaufen. Und wenn Intellektuelle, Kulturschaffende und Schriftsteller sich endlich dieser Debatte annehmen und die Ökonomie publizistischer Qualität zum Thema machen. Hier hat auch mein eigenes Fach, die Medienwissenschaft, versagt. Man muss die Essays, die Stellungnahmen und Streitschriften, die den Wert des Gedruckten zu begründen versuchen, mit der Lupe suchen.

Die Zeitung als Medium des "zweiten Gedankens"

tagesschau.de: Auch andere Printmedien mit dem Schwerpunkt Wirtschaft müssen ums Überleben kämpfen. Ist es besonders schwierig, diese Thematik für die Leser aufzubereiten?

Pörksen: Nein. Wir haben in den letzten Tagen erlebt, dass ganz unterschiedliche Medien eingestellt wurden. Die FTD war ein Wirtschaftsmedium. Das Stadtmagazin "Prinz" ist ein Spaßmedium für Szene-Hedonisten, das in den 80er-Jahren mal seine große Zeit hatte. Die "Frankfurter Rundschau" ist immer auch ein Weltanschauungsorgan gewesen, stark linksliberal orientiert und stets in einem etwas unglücklichen Spagat gefangen: Einerseits gab es den Anspruch einer überregionalen Zeitung, andererseits hatte man besondere Stärken im Lokaljournalismus, war im Rhein-Main-Gebiet erfolgreich.

Das gemeinsame Leiden dieser sehr unterschiedlichen Medien besteht in einem schwierigen Anzeigenmarkt - und der Apokalypse-Faszination im Printgewerbe, der die eigene Branche mit so großer Angstlust als ewig gestrig beschreibt.

tagesschau.de: Wird es in zehn Jahren die Zeitung als Printausgabe noch geben?

Pörksen: Ich bin leider kein Prophet, aber ich glaube schon, dass es die Printausgabe auch in zehn Jahren noch geben wird und dass alle Medienschaffenden gut daran tun, das Gerede über Untergangsszenarien in ein kreatives Nachdenken über neue Geschäftsmodelle zu verwandeln. Und trotz der Konvergenz aller Medien: Ich hoffe zumindest, dass die Idee der Zeitung - ob auf Papier oder in anderer Form - überlebt.

Was ist die Idee einer Zeitung? Ich würde sagen: Es handelt sich - idealerweise - um einen entschleunigten, nachdenklichen Journalismus. Zeitungen sind gerade in Zeiten hektischer Dauerkommunikation Medien des zweiten Gedankens; sie leisten die tiefenscharfe Recherche und eine genaue, unabhängige Beobachtung, die diese Gesellschaft dringend braucht. Für diese Idee der Zeitung lohnt es sich zu streiten.

Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de

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