Interview

Bundesbank-Chef im Phoenix-Interview "Minuszinsen gab es auch früher schon"

Stand: 12.08.2014 17:30 Uhr

Die Kritik an der EZB-Zinspolitik wird immer aggressiver, von einer "Enteignung der Sparer" ist die Rede. Im Interview mit Markus Gürne vom Hessischen Rundfunk schießt Bundesbankchef Weidmann nun zurück: Phasen negativer realer Sparzinsen habe es auch zu D-Mark-Zeiten schon gegeben.

Markus Gürne Herr Weidmann, die Krise ist nicht mehr in aller Munde - trotzdem wabert sie weiter. Wenn man das vergleicht mit einem langen Weg: Wie viel haben wir schon hinter uns und wie viel haben wir noch vor uns?

Jens Weidmann: Hinter der Krise stehen ja sehr tiefgreifende, strukturelle Ungleichgewichte, die sich über lange Zeit aufgebaut haben. Diese Ungleichgewichte abzubauen wird einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Wenn Sie das mit einem Marathon vergleichen wollen, dann befinden wir uns vielleicht irgendwo in der Halbzeit. Die Ziellinie ist noch nicht durchschritten. Es geht darum, dass die Länder wieder wettbewerbsfähiger werden. Es geht darum, dass die hohe Staatsverschuldung, zum Teil auch die hohe private Verschuldung, abgebaut wird. Es geht auch darum, dass wir die regulatorischen Konsequenzen aus der Krise ziehen, also das Finanzsystem widerstandsfähiger machen. 

Zur Person
Seit Mai 2011 ist Jens Weidmann Präsident der Deutschen Bundesbank und damit auch Mitglied des EZB-Rats. Zuvor arbeitete der studierte Volkswirt beim Internationalen Währungsfonds und beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Gürne Es gibt ja viele Staaten in Europa, die haben immer noch enorme Schuldenstände angehäuft. Es gab auch in jüngster Zeit wieder das Beispiel einer Bank, die in Schieflage gekommen ist, die portugiesische Banco Espiríto Santo. Die musste dann auch mit europäischem Geld gerettet werden. Ist die Krise noch unterschätzt von der Politik und von uns allen?

Weidmann: Die Finanzmärkte haben sich sehr stark beruhigt. Das darf aber nicht zum Maßstab werden, um die Krise zu beurteilen. Wie gesagt, die Verschuldung ist noch relativ hoch. Deswegen kommt es darauf an, dass die Staaten konsolidieren und dass man sich an die neuen, vereinbarten und gestärkten Haushaltsregeln hält. Es kommt auch darauf an, dass wir die regulatorischen Änderungen umsetzen. Bei dem Fall Portugal, den Sie ansprechen, haben wir ja gesehen, dass man in der Lage ist, eine Bank über das Wochenende abzuwickeln, und zwar, indem die Gläubiger stärker einbezogen werden als in der Vergangenheit. Insofern passen Haftung und Kontrolle besser zusammen. Aber auf der anderen Seite sind auch bei diesen regulatorischen Änderungen noch viele Schritte zu tun.

"Die Krise zu überwinden, ist Aufgabe der Politik"

Gürne: Die Europäische Zentralbank hat in dieser Krise Beachtliches geleistet. Sie ist viel in Vorleistung getreten, das hing aber auch damit zusammen, dass die Politik sich in vielfacher Hinsicht vornehm zurückgehalten hat und den Ball zur Notenbank gespielt hat. Sie sind immer jemand gewesen, der die Politik auch aktivieren wollte, aktiver einzugreifen. Wie sehen Sie die Rolle der Politik? Ist das gelungen, oder wünschen Sie sich da noch mehr?

Weidmann: Also, zunächst einmal ist klar, dass die Krise nicht durch die Geldpolitik überwunden werden kann, sondern nur durch die Politik selbst. Weil man ja an den strukturellen Ursachen ansetzen muss. Insofern hat die Geldpolitik auf einen Konjunktureinbruch reagiert, wie wir ihn seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gesehen haben. Das war ein sehr tiefer konjunktureller Einbruch, und insofern ist es auch gerechtfertigt, dass die Geldpolitik im Moment expansiv ausgerichtet ist. Aber mit der Geldpolitik ist es ein bisschen wie mit einem Schmerzmittel: Es nimmt die Symptome, aber ist keine Ursachentherapie. Und insofern kommt es jetzt auf die Politik an, die Wirtschaften wieder wettbewerbsfähiger zu machen, die Haushalte zu konsolidieren. Erst dann wird die Krise nachhaltig überwunden sein. Ein ganz wichtiger Aspekt in dem Zusammenhang, der eben auch vor dem Hintergrund dieser Bankenrestrukturierung in Portugal zu sehen ist, ist das Comprehensive Assessment, also die Bilanzbereinigungsprozesse im Bankenbereich, die stattfinden müssen.

Gürne: Sehen Sie denn, dass auf dem Gebiet Fortschritte erzielt werden? Oder hätten Sie es gern noch ein bisschen offensiver?

Weidmann: Naja, das eine schließt das andere ja nicht aus. Natürlich hätten wir gerne mehr. Auf der anderen Seite muss man anerkennen, dass in den Ländern, die sehr stark im Fokus der Krise gestanden haben und Programme der Troika hatten, dass in diesen Ländern sehr viel passiert ist. Dort zeigen sich schon erste Erfolge. Zum Beispiel in der Verbesserung der Leistungsbilanz oder in der Rückführung der Haushaltsdefizite.

"Wir Deutschen dürfen nicht selbstzufrieden werden"

Gürne: Wenngleich es natürlich auch andere Länder gibt, wie Frankreich zum Beispiel, die Anlass zur Sorge geben.

Weidmann: Es gibt andere Länder, die konjunkturell etwas schlechter dastehen. Frankreich und Italien sind sicherlich in dem Zusammenhang zu nennen. Und es gibt Länder, die den Reformbedarf eher später erkannt haben, weil sie in der Krise nicht so stark im Fokus standen. Auf der anderen Seite sollten wir nicht immer mit Fingern auf andere zeigen. Es gibt ja durchaus keinen Anlass zur Selbstzufriedenheit in Deutschland. Auch Deutschland steht vor großen Herausforderungen ganz anderer Natur. Es sind eher längerfristige Herausforderungen, besonders im Zusammenhang mit der Überalterung der Gesellschaft. Auch auf diese Herausforderung muss Deutschland reagieren.

Gürne: Nun gibt es in Deutschland Kritik an der Niedrigzinspolitik der Zentralbank. Deutsche Sparer jammern über sehr niedrige, beziehungsweise überhaupt keine Zinsen mehr. Bei den Rentnern ist es ebenso zu sehen. EZB-Präsident Mario Draghi sagt, Partikularinteressen deutscher Sparer könnten nicht im Mittelpunkt stehen. Es gehe um höherrangige Interessen. Aber wie lang kann das so weitergehen?

Weidmann: Zunächst einmal: Die Geldpolitik reagiert auf eine außergewöhnliche Lage und, ja, auf einen sehr niedrigen Preisdruck. Insofern ist eine expansive Geldpolitik auch angemessen. Was wir im Moment beobachten und was die Sparer zurecht ärgert und umtreibt, nämlich dass die Verzinsung auf ihre Anlage die Inflation nicht mehr ausgleicht, das gab es ja auch schon zu D-Mark-Zeiten. Es gibt immer wieder Phasen, in denen diese reale Verzinsung negativ ist. Entscheidend ist, dass eine solche Phase sehr expansiver Geldpolitik nicht länger andauert als notwendig, um Geldwertstabilität zu sichern; und dass wir nicht aus Rücksichtnahme auf die Verschuldungssituation der Staaten einen notwendigen Ausstieg aus diesen expansiven Maßnahmen aufschieben.

Im Übrigen ist es ja auch so, dass wir Bürger nicht nur Sparer sind. Wir sind auch Immobilienbesitzer und als solche profitieren wir derzeit von den sehr günstigen Finanzierungsbedingungen. Wir sind auch Arbeitnehmer und profitieren davon, dass Unternehmen sich derzeit sehr günstig finanzieren können. Also: Die Bürger sind ja nicht nur Sparer, sondern haben verschiedene Hüte auf.

"Die Lage am Arbeitsmarkt ist gut, also steigen Löhne"

Gürne: Ein interessanter Punkt, zu dem Sie sich jüngst geäußert haben, ist die Lohnpolitik. Wir haben in Deutschland Tarifautonomie. Arbeitgeber und Gewerkschaften handeln Löhne aus. Sie haben gesagt, da ist durchaus noch Luft nach oben. Also einen Rahmen vorgegeben, in dem man sich bewegen kann. Sie haben dafür von Arbeitgeberseite ordentlich Kritik bekommen, aber auch mancher Gewerkschafter fühlte sich in seinem ureigensten Gebiet von Ihnen ein bisschen auf den Schlips getreten. Warum haben Sie das gemacht?

Weidmann: Wir haben auch überhaupt nichts vorgegeben. Wir haben das gemacht, was wir immer tun - nämlich bestimmte Entwicklungen beschrieben und bewertet, die Einfluss auf die Preisdynamik haben. Lohnentwicklung ist natürlich ein ganz zentraler Einflussfaktor auch auf künftigen Inflationsraten. Was wir gesagt haben, ist, dass es vollkommen normal ist, dass sich die Löhne im Einklang mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bewegen. Die gesamtwirtschaftliche Lage hat sich verändert. Die Lage am Arbeitsmarkt ist ausgesprochen gut, und das heißt, dass auch die Löhne stärker steigen als in der Vergangenheit oder stärker als in anderen Ländern des Euroraums, die wirtschaftlich schlechter dastehen. Das ist normal und das passiert auch derzeit. Das haben wir dargestellt und gleichzeitig gesagt, dass aus dieser Entwicklung, die wir beobachten und die wir auch für die Zukunft erwarten, keine Stabilitätsrisiken resultieren.

Gürne: Nun gibt es aktuelle Entwicklungen: die Ukraine-Krise, Syrien, den Irak-Konflikt, Gaza - also sehr viele Konflikte, die Einfluss nehmen auch auf so ein exportstarkes Land wie die Bundesrepublik. Wir werden am Donnerstag Daten bekommen, wie das Bruttoinlandsprodukt sich bewegt. Die jüngsten Prognosen waren nicht so wahnsinnig rosig. Erwarten Sie eine Verschlechterung oder sind Sie weiter optimistisch?

Weidmann: Sie haben vollkommen Recht. Es gibt geopolitische Risiken wie beispielsweise die Krise um die Ukraine, die zugenommen haben und die insofern auch den Konjunkturausblick perspektivisch belasten können. Insgesamt gehen wir aber davon aus, dass die relativ positive Grundtendenz der Konjunktur in Deutschland aufrechterhalten bleibt und bleiben auch mehr oder weniger bei den Prognosen, die wir bereits veröffentlicht haben. Für den Euroraum ist die Entwicklung sehr heterogen, das hatten Sie ja vorhin beschrieben. Deutschland ist sicherlich am einen Ende des Spektrums. Es gibt viele Länder, die deutlich geringere Wachstumsraten registrieren als Deutschland. Die Heterogenität, die wir beobachten, ist derzeit sehr stark ausgeprägt - und eben auch eine Herausforderung für die Geldpolitik, weil wir mit unseren Instrumenten Geldpolitik nur für den Euroraum insgesamt betreiben können. Das wird schwieriger, je unterschiedlicher die Wirtschaftsentwicklungen in den einzelnen Ländern sind.

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