Interview

Affären bei ThyssenKrupp "Immer mehr Gewinn - das ist verantwortungslos"

Stand: 18.01.2013 17:47 Uhr

ThyssenKrupp hat nicht nur Milliarden verloren, sondern auch ein Imageproblem: Verstöße gegen das Kartellrecht, Korruption, Luxusreisen. Doch das zentrale moralische Problem sieht der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann im Gespräch mit tagesschau.de im Ziel unbegrenzter Gewinnmaximierung.

tagesschau.de: ThyssenKrupp erlebte die laut Beobachtern turbulenteste Hauptversammlung der Unternehmensgeschichte. Es gibt finanzielle Verluste - aber auch den Imageverlust durch Korruptionsfälle. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen ökonomischen Fehlentscheidungen und moralischem Versagen?

Ulrich Thielemann: Es gibt kein ökonomisches Handeln, das ethisch einfach neutral wäre. In einer Krise werden zum Beispiel auch Gehälter gekürzt oder Leute entlassen. Es geht also um Folgen unternehmerischer Entscheidungen für Menschen. Deshalb sollte man den Blick auch nicht isoliert auf Korruption oder Lustreisen richten. Das sind gewiss moralisch verwerfliche Handlungen. Aber viel wichtiger ist die ethische Bedeutung der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens, seiner Unternehmenskultur insgesamt.

Zur Person
Ulrich Thielemann (geboren 1961 in Remscheid) ist Direktor des Instituts "Menschliche Marktwirtschaft – Denkfabrik für Wirtschaftsethik e.V." in Berlin. Das Institut setzt sich für eine ethische Sicht des Wirtschaftens ein und kritisiert eine fortschreitende Ökonomisierung von Politik und Lebensverhältnissen. Von 2001–2010 war er Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen, 2011 hatte er eine Gastprofessur für Wirtschaftsethik an der Universität Wien inne.

tagesschau.de: Gerade bei diesem Thema hat Vorstandschef Heinrich Hiesinger heute von "Seilschaften und blinder Loyalität" in der Führungskultur gesprochen - eine Beschreibung, die nicht nur auf ThyssenKrupp zutrifft?

Thielemann: ThyssenKrupp gehört zu den Unternehmen, die man lange mit dem Titel "Deutschland AG" versehen hat. Man meinte damit eine gewisse Abgrenzung vom anglo-amerikanischen Modell, wo sich der Unternehmenserfolg ganz auf die Shareholder-Value, die höchstmöglichen Renditen für die Aktionäre richtet. Im deutschen Modell sollte der langfristige Unternehmenserfolg, vielleicht auch ein gemäßigterer Umgang mit den Arbeitnehmern zählen. Aber gerade in diesem Modell regierten Manager gern als unumschränkte Herrscher, nach Gutsherrenart. Der Unterschied zwischen beiden Unternehmenskulturen hat sich allerdings längst verwischt - und vielleicht haben bei ThyssenKrupp die schlechten Seiten von beidem durchgeschlagen.

tagesschau.de: ThyssenKrupp war am Schienenkartell beteiligt, soll bei Bauprojekten Schmiergeld gezahlt haben, es gab Luxusreisen auf Firmenkosten. Das erinnert an den Fall Siemens. Auch dieser Großkonzern geriet wirtschaftlich in Schwierigkeiten. Ist Korruption kein Erfolgsrezept?

Thielemann: Ein Fall wie Siemens zeigt wohl, dass ethisch krass unverantwortliches Verhalten auch große Konzerne irgendwann einholt - durch öffentlichen Gegendruck und durch die Gerichte. Aber ob das auf Dauer wirklich den Profiteuren entscheidend schadet, bleibt dabei offen. Die schlauen Aktionäre sind dann längst weitergezogen. Sie haben häufig höhere Gewinne eingefahren als später eventuell Strafzahlungen ausmachen.

Ich halte diese schöne Formel: "Langfristig zahlt sich ethisches Verhalten wirtschaftlich aus" nicht für richtig. Denn das bedeutet ja: Ethisch verantwortliches Verhalten dient der Gewinnmaximierung, ist ein Mittel zu diesem Zweck. Damit wird aber die Zielsetzung unbegrenzter Gewinnmaximierung selbst legitimiert. Spätestens die Finanzkrise hat jedoch gezeigt, dass dieses enthemmte Wirtschaftskonzept selbst falsch ist. Gewinne können auch zu hoch ausfallen und sie fallen zurzeit zu hoch aus. Verantwortungsvoll handelt ein Unternehmen, das Gewinne erzielen, aber nicht ständig maximieren will. Wer so handelt, reizt auch nicht alle Mittel zum Gewinnmachen aus. Leider lernt man an den ökonomischen Hochschulen aber das Gegenteil.

tagesschau.de: Es gibt kein größeres Unternehmen, das sich nicht "Corporate-Governance"-Richtlinien zulegt. Gerhard Cromme hat sogar einmal eine Regierungskommission zu Verhaltenskodizes in der Wirtschaft geleitet. Sind das nur Feigenblätter?

Thielemann: Die Formel "Corporate Governance" kam aus den USA und bedeutete ursprünglich knallhart die Verpflichtung des Managements auf die Vorteile der Anteilseigner, der Aktionäre. So hat es gerade auch Cromme vertreten. Man hat das dann später etwas zurückgenommen und spricht jetzt von "Corporate Social Responsibility" (CSR) als Verantwortung der Unternehmen für die Gesellschaft. Aber auch das ist meist ein Ablenkungsmanöver von den wirklich zentralen Problemen unternehmerischer Verantwortungslosigkeit. "CSR" müsste etwa heißen: Wir zahlen unsere Steuern am jeweiligen Standort nach Buchstaben und Geist der Steuergesetze. Stattdessen fahren die international aufgestellten Konzerne ihre Steuerlast mit atemberaubenden Tricks gegen Null. Ich meine: Bringt euer Haus da erst mal in Ordnung und dann redet von Unternehmensverantwortung.

tagesschau.de: Aber kann es sich ein Management leisten, nach solchen regeln zu agieren?

Thielemann: Das ist in der Tat schwer, weil es einen Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz bedeutet. Es braucht also letztlich eine international abgestimmte politische Regulierung. Und ethisch verantwortliche, wirklich starke Manager müssten eigentlich sagen: Wir brauchen solche politische Regulierung. Wir wollen dieses schmutzige Spiel nicht mehr mitmachen.

Das Interview führte Gregor Taxacher für tagesschau.de

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