Aufruf zum Warnstreik durch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Jahr 2013 in Dresden.

Urteil erwartet Kippt das Streikverbot für verbeamtete Lehrer?

Stand: 14.12.2023 06:26 Uhr

Verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland dürfen nicht streiken. Dagegen haben einige vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt. Jetzt kommt das Urteil.

Von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion

Geklagt haben drei Lehrerinnen und ein Lehrer. Unter ihnen ist Kerstin Wienrank. Sie ist verbeamtete Lehrerin und hat im Februar 2009 in Hannover gestreikt, "das einzige Mal", wie sie sagt. Zusammen mit Tausenden Beschäftigen des Öffentlichen Dienstes folgte sie einem Warnstreik-Aufruf der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Damals liefen Tarifverhandlungen. Es ging um mehr Lohn. Der Streik sollte "Druck machen".

Eigentlich hätte Wienrank damals in der Schule sein müssen, denn verbeamtete Lehrer dürfen in Deutschland nicht streiken. "Ich wusste damals schon, dass das Konsequenzen haben wird, und ich war bereit, diese zu tragen", sagt sie. Aber sie habe sich dafür einsetzen wollen, dass die erkämpften Tarifergebnisse der Angestellten auf den Beamtenbereich übertragen werden. Sie fand es auch verantwortbar zu streiken, weil "durch schulinterne Regelungen und Absprachen ein 'Schaden' für Schülerinnen und Schüler nicht entstehen konnte".

Bundesverfassungsgericht bestätigt Verbot

Dennoch wurde das Gehalt von Wienrank gekürzt, und sie bekam eine Geldbuße. Dagegen hatte sie vor deutschen Gerichten geklagt, genau wie ihre drei Kolleginnen und Kollegen. Jedoch ohne Erfolg - 2018 wies auch das Bundesverfassungsgericht die Klagen zurück. Karlsruhe stellte klar: Das Streikverbot für Beamte sei ein "eigenständiger hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums" im Sinne des Grundgesetzes.

Beamte dürften nicht streiken, weil sie eine besondere Treuepflicht gegenüber dem Staat hätten, so das Bundesverfassungsgericht. Im deutschen Beamtenrecht gebe es ein besonderes System von aufeinander abgestimmten Rechten und Pflichten. Die Treuepflicht der Beamtinnen und Beamten sei dafür da, dass der Staat auch in Krisen handlungsfähig bleibe. Im Gegenzug habe der Staat auch eine besondere Fürsorgepflicht. Beamte seien auf Lebenszeit angestellt und hätten einen Anspruch auf angemessene Besoldung.

Streikverbote nur für Polizisten und Soldaten?

Die Klägerinnen und der Kläger sagen dagegen: Man könne das Streikverbot ja auf bestimmte Beamtengruppen beschränken, die eine besondere Rolle im Staat einnehmen - Polizisten und Soldaten zum Beispiel. Sie stützen sich dabei auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahr 2009.

Straßburg hatte damals einen Fall aus der Türkei vorliegen und gesagt, zwar dürfe das Streikrecht eingeschränkt werden. Streiks von Angehörigen des Öffentlichen Dienstes, die Hoheitsgewalt ausüben, könnten zum Beispiel verboten werden. Andererseits dürfe es aber kein allgemeines Streikverbot für den Öffentlichen Dienst geben.

Eine solche Unterscheidung zwischen verschiedenen Beamtengruppen hat das Bundesverfassungsgericht 2018 aber nicht überzeugt. Karlsruhe wies darauf hin, dass ein Streikrecht für bestimmte Gruppen von Beamten das gesamte System in Mitleidenschaft ziehen könnte.

Angestellt oder verbeamtet: Welche Rolle spielt das?

Bei der Verhandlung vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verteidigte der Vertreter der Bundesregierung das Streikverbot. Die EGMR-Entscheidung von 2009 sei auf Deutschland nicht übertragbar. In Europa gebe es ganz unterschiedliche Systeme des Beamtentums. Deutschland müsse einen Entscheidungsspielraum beim eigenen System haben.

Außerdem, so ein weiteres Argument der Bundesregierung, könnten verbeamtete Lehrer ja um eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis bitten und sich anstellen lassen. Dann könnten sie auch streiken.

Die Gewerkschaft GEW, die die Klägerinnen und den Kläger unterstützt, wies allerdings auf die hohen Hürden eines solchen Wechsels hin. Lehrer würden dann ihre Pensionsansprüche verlieren, sagte die GEW-Bundesvorsitzende Maike Finnern. Sie betont: "Ob man hinterher wieder in der Schule arbeiten darf, das ist noch lange nicht gesagt." Es gebe keine rechtliche Garantie, nach dem Wechsel aus dem Beamtenstatus wieder eingestellt zu werden.

Ein Urteil mit Tragweite

Interessant an dem Fall ist, dass er vor der Großen Kammer des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs verhandelt wurde. Dort sitzen 17 Richterinnen und Richter aus den Mitgliedstaaten des Europarats und befassen sich mit Verfahren von besonderer Bedeutung. Die Große Kammer des EGMR hatte bisher nicht oft Fälle behandelt, in denen Deutschland verklagt wurde. Der Gerichtshof misst der Frage des Streikrechts für beamtete Lehrer also eine große Bedeutung bei.

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