Preiserhöhungen Unter Strom

Stand: 15.11.2012 15:17 Uhr

Auf Deutschlands private Stromkunden rollt eine Preislawine von bislang nicht gekanntem Ausmaß zu: Um bis zu 19 Prozent wollen die Energieversorger ihre Tarife zum Jahreswechsel anheben. Im Schnitt beträgt der Preissprung fast 12 Prozent. Als Begründung wird vor allem die Energiewende, konkret die ab 1.1.2013 steigende EEG-Umlage, ins Feld geführt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit - und kein Grund zur Hysterie.

Von Jürgen Döschner, WDR

Es ist ein Schock mit Ansage: Sechs Wochen im Voraus müssen die Grundversorger, also die in einem Gebiet jeweils größten Stromlieferanten, ihre Preiserhöhungen den Kunden mitteilen. Bezogen auf den 1. Januar 2013 ist der Stichtag also der 15. November. Mehr als 210 dieser Grundversorger haben nach Angaben des Online-Vergleichsportals "Verivox" bis heute ihre "blauen Briefe" an die Kunden verschickt.

So kündigte zum Beispiel Vattenfall für Hamburg und Berlin Preiserhöhungen von 13,5 Prozent an. Bundesweit reichen die Zuschläge von 1,8 bis 18,9 Prozent. Der durchschnittliche Preisanstieg liegt bei rund 12 Prozent. Die Experten von "Verivox" erwarten, dass noch weitere Versorger nachziehen und die Stromrechnung für die privaten Haushalte ab dem 1. Januar 2013 um durchschnittlich 12 bis 13 Prozent steigen wird - das sind rund drei Cent pro Kilowattstunde bei einem derzeitigen Strompreis von 25 Cent pro Kilowattstunde.

Für eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 5000 Kilowattstunden wäre das eine Zusatzbelastung von 150 bis 160 Euro im Jahr, im Extremfall können es aber auch bis zu 250 Euro sein.

Stromversorger: "Die Energiewende ist schuld"

Die Standardbegründung für die bevorstehenden Preiserhöhungen lautet: Die teure Energiewende ist schuld. Konkret: die rasant steigende Umlage zur Förderung von Solar- und Windstrom. Doch das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Zwar steigt in der Tat zum Jahreswechsel die sogenannte EEG-Umlage von 3,6 auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde. Doch als "Preisschild der Energiewende" taugt die EEG-Umlage keineswegs. Denn der Aufschlag zum 1.Januar 2013 enthält einige Faktoren, die mit dem eigentlichen Ausbau des Ökostroms wenig zu tun haben.

Stromkunden subventionieren Großunternehmen

An erster Stelle ist dabei der wachsende Kreis von Unternehmen zu nennen, die von der Zahlung der EEG-Umlage ausgenommen werden. Laut Berechnung der Grünen im Bundestag werden so im kommenden Jahr zahlreiche Großverbraucher um rund sieben Milliarden Euro entlastet - und kleine Unternehmen sowie Privatverbraucher entsprechend belastet. Immerhin 0,7 Cent des Anstiegs entfallen außerdem auf Nachholeffekte für 2012, weil die Regierung in diesem Jahr das Wachstum des Ökostroms zu gering angesetzt hatte. Außerdem wurden 0,4 Cent als Reserve für das kommende Jahr eingeplant. Um die zusammengenommen 1,1 Cent könnte theoretisch die EEG-Umlage ab 2014 sogar wieder sinken.

Schon die Zusammensetzung der EEG-Umlage zeigt: Mit der bevorstehenden Tariferhöhung zahlen die Stromkunden keineswegs nur für den teureren Ökostrom. Über den Strompreis finanzieren Kleinunternehmer und Privathaushalte auch milliardenschwere Subventionen für Großunternehmen. Dazu gehört auch die sogenannte Sonderkundenumlage zur Befreiung energieintensiver Betriebe von den Netzentgelten. Das macht immerhin 0,2 Cent pro Kilowattstunde der Strompreiserhöhungen aus. Und die Sozialisierung der Haftungsrisiken beim Netzausbau auf hoher See bezahlen die privaten Stromkunden mit weiteren 0,25 Cent pro Kilowattstunde. Unterm Strich hat diese Politik dazu geführt, dass ausgerechnet jene, die am lautesten über die Energiewende und ihre Kosten jammern, nämlich die energieintensiven Unternehmen, am Ende sogar weniger für ihren Strom zahlen müssen, als zuvor.

Politisch motivierte Empörung?

Aber auch für die Privatkunden sind die bevorstehenden Preiserhöhungen keine Katastrophe. Bei allem berechtigten Ärger über die Tarifanhebungen an sich und deren Dimension: Diese Zuschläge werden niemanden arm machen, der nicht vorher schon arm war. Denn die Ausgaben für Strom machen in einem Durchschnittshaushalt gerade mal 20 Prozent der gesamten Energieausgaben aus.

Der größte Batzen geht fürs Heizen drauf, nämlich rund 40 Prozent. Und hier (Öl und Gas) sind die Preise in den vergangenen Jahren wesentlich stärker gestiegen als beim Strom. Nimmt man allein die in letzter Zeit so viel gescholtene EEG-Umlage, dann beträgt nach Berechnungen der Deutschen Umwelthilfe selbst der gestiegene Satz ab 2013 nur ganze 0,5 Prozent der Konsumausgaben eines durchschnittlichen Haushalts. Schon diese Relationen zeigen, dass in der gegenwärtigen Debatte über den Strompreis und die angeblichen Kosten der Energiewende auch ein gerüttelt Maß politische Motivation steckt. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass Millionen Haushalte noch nie über einen Wechsel des Stromanbieters nachgedacht haben, dass viele nicht einmal wissen, wie hoch ihre Stromtarife sind, dass gewaltige Potenziale zum Stromsparen immer noch ungenutzt bleiben, dann wirkt manche Empörung über die jüngste Tariferhöhung verlogen.

Bundesregierung entlastet Unternehmen

Aber auch wenn es Fakt ist, dass die Energiewende niemanden arm macht: Steigende Strompreise machen jenen, die es ohnehin schon schwer haben, das Leben noch schwerer. Tausende Grundsicherungs-, Wohngeld- oder BAföG-Empfänger trifft es durchaus, wenn sie monatlich zehn bis 15 Euro mehr für ihren Strom zahlen müssen. Doch während sich die Bundesregierung immer neue Instrumente ausdenkt, die Unternehmen bei den Energiekosten zu entlasten, fehlt es bislang an Initiativen, gerade jenen Menschen zu helfen, die es am nötigsten haben. Dabei wäre dies leicht machbar und auch bezahlbar.

Greenpeace hat zum Beispiel unlängst vorgeschlagen, die Ausnahmeregelungen für die Industrie auf jene Branchen zu beschränken, die unter internationalem Wettbewerb stehen und gleichzeitig Ökostrom steuerlich zu begünstigen. Das würde die Anhebung der EEG-Umlage zum 1.1.2013 mehr als überflüssig machen.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schlägt vor, einkommensschwache Haushalte gezielt beim Strompreis zu entlasten. Die Kosten von 154 Millionen Euro, so rechnet das DIW vor, ließen sich leicht aus den rund 1,4 Milliarden Euro Mehrwertsteuer zahlen, die der Bund allein durch die gestiegenen EEG-Abgabe zusätzlich einnimmt.

Energiewende - ein Gewinn für alle?

Trotz des Rekord-Preissprungs zum Jahreswechsel: Der steigende Strompreis ist kein Grund zur Hysterie - und schon gar keine Rechtfertigung für eine Ausstiegsdebatte aus der Energiewende. Für den überwiegenden Teil der Haushalte und Unternehmen gilt auch nach dem 1.1.2013: Der Strom bleibt bezahlbar. Und für jene, die ihn schon jetzt kaum bezahlen können, ließe sich mit dem entsprechenden politischen Willen schnell eine Lösung finden. Mehr noch: Mittel- und langfristig wird die Energiewende, werden Atomausstieg und Abkehr von fossiler Stromerzeugung für alle ein Gewinn sein - nicht nur ökologisch (weniger Kohlendioxid-Ausstoß, geringere Risiken durch Atomkraft), sondern auch ökonomisch, etwa durch die Einsparung von Rohstoffimporten und geringeren Kosten infolge Klimawandels.

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