Rom und die Schuldenkrise Warum es mit Italien nicht aufwärts geht

Stand: 25.10.2011 05:07 Uhr

EU-Politiker nennen Italien mittlerweile in einem Atemzug mit Griechenland. Bis Mittwoch muss das Land konkrete Vorschläge machen, wie es aus der Krise kommen will. Dabei lassen sich die Probleme Italiens kaum von heute auf morgen lösen. Das beginnt beim umstrittenen Ministerpräsidenten Berlusconi, der sich mit seiner unsicheren Koalition von einer Vertrauensabstimmung zur nächsten hangelt. Italien ist nicht mehr wettbewerbsfähig, klagen Unternehmer. Es gibt zu viel Bürokratie und zu wenig Innovationen. Junge Menschen bekommen keine Arbeit, Rentner fette Pensionen. Der Reformstau ist gewaltig.

Von Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom

In Italien gibt es immer noch die schöne und teure Einrichtung der Geschwisterrente. Stirbt ein Rentenempfänger, können Bruder oder Schwester 15 Prozent der Rente des Verstorbenen für sich beanspruchen.

Für Pietro Reichlin, Wirtschaftsprofessor an der "Luiss Universität" in Rom, ist der Reformbedarf bei den Renten am größten: "In den nächsten zwei, drei Jahren bleiben die Renten ein schwerwiegendes Problem, weil es in Italien noch zu viele Menschen gibt, die viel zu früh in Rente gehen - mit einer Rente, die viel zu hoch ist, verglichen mit den eingezahlten Beiträgen. Unsere nationale Rentenversicherung hat ein Defizit, das sie nicht auffüllen kann."

Verschenktes Innovationspotenzial

Schön, wenn man alt ist in Italien, dann kommt man immerhin in den Genuss einer Rente. Den Jungen geht es dagegen nicht so gut, die Arbeitslosenquote ist hoch: 28 Prozent bei den Unter-25-Jährigen. Das ist nicht nur ein gewaltiger sozialer Sprengstoff. Italien verzichtet damit auch auf Innovationspotenzial, sagt der Unternehmer Gian Maria Gros-Pietro: "Italien ist ein kleines Land mit weniger als einem Prozent der gesamten Weltbevölkerung. Wir können nur wachsen, wenn wir einen Platz finden unter den Ländern, die auf Weltniveau Neuerungen einführen."

Zu viel Bürokratie, zu viele Kosten

Gros-Pietro war bis vor kurzem Chef des größten italienischen Autobahnbetreibers und kennt deshalb die Probleme eines Unternehmers aus eigener Erfahrung. Am schlimmsten, sagt er, ist die Bürokratie. Es dauert Ewigkeiten, bis man beispielsweise eine Baugenehmigung bekommt. Noch mehr Zeit braucht man nur, wenn man vor Gericht muss: "Es dauert unglaublich lange, in Italien seine Rechte durchzusetzen. Und das ist ein Kostenfaktor, der von Unternehmen als Hindernis angesehen wird, sich in Italien zu engagieren."

Wer schneller ans Ziel kommen will, muss extra Geld in die Hand nehmen. Korruption und Vetternwirtschaft bremsen Italiens Wirtschaft, sagt Tatjana Eifrig, Analystin bei der römischen Privatbank Finnat. "Italien erinnert mehr an eine Planwirtschaft als an ein kapitalistisches Land", sagt sie. "Es werden Pöstchen versprochen. Wo eine Person gebraucht wird, werden fünf hingesetzt, weil, da gibt es ja den Cousin… Und der Bürger zahlt mit seinen Steuern."

Kaum Infrastruktur südlich von Neapel

Ein weiterer Standortnachteil: die Infrastruktur. Alles, was südlich von Neapel liegt, ist über Straße und Schiene nur schwer zu erreichen. "Ein eklatantes Beispiel, das mir dazu einfällt, ist der Hafen von Gioia Tauro, der hätte das Rotterdam des Mittelmeer werden sollen", erzählt Eifrig. "Es gibt noch nicht mal eine richtige Straße, die dort die Waren abtransportieren könnte, geschweige denn einen Güterbahnhof."

Regierung selbst ist die größte Wachstumsbremse

All diese Probleme sind natürlich nicht über Nacht entstanden. Es sind vor allem die Versäumnisse der Politik, die Italien von einer Wirtschaftsmacht zu einem Wackelkandidaten werden ließen.

Ministerpräsident Silvio Berlusconi spricht zum Beispiel seit 17 Jahren vom Ausbau der Autobahn von Salerno, südlich von Neapel, nach Reggio Calabria, in der Spitze des Stiefels. Doch geschehen ist bis heute wenig. Auch dank des Koalitionspartners Lega Nord, der zuallererst immer an seine Klientel im Norden Italiens denkt.

So wird Italiens Regierung selbst zur größten Wachstumsbremse, sagt Wirtschaftsprofessor Pietro Reichlin. "Die italienische Regierung scheint unfähig, die aktuellen Herausforderungen zu bestehen, weil sie aus einer Koalition besteht, die sehr zerstritten ist."