Armut durch die Schuldenkrise in Griechenland Obdachlosigkeit trifft jetzt auch die Mittelschicht

Stand: 18.01.2012 17:13 Uhr

Die Troika prüft, die Wirtschaft schrumpft - und in Griechenland leben immer mehr Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut. Die Zahl der Obdachlosen ist im vergangenen Jahr um bis zu 25 Prozent gestiegen. Unter ihnen sind viele junge, gut ausgebildete Hauptstädter.

Von Reinhard Baumgarten, ARD-Hörfunkstudio Istanbul

Die drastischen Einsparungen der vergangenen Monate, die taumelnde Wirtschaft und die lahmende Konjunktur schlagen tiefe Wunden in die griechische Gesellschaft. Die Armut ist teilweise erheblich gestiegen. Ein sichtbares Symptom ist die Zunahme der Obdachlosigkeit. Offiziell nicht bestätigten Zahlen von Nicht-Regierungsorganisationen zufolge hat sie seit 2009 um 25 Prozent zugenommen. Markos Bolaris, der stellvertretende griechische Gesundheitsminister, ist sich des wachsenden Problems bewusst. "Letzten Monat haben wir unsere Liste durch die Kategorie der "Neuen Obdachlosen" erweitert. Das sind Bürger, die arbeitslos wurden, ihre Rechnungen nicht mehr zahlen konnten und deren Wohnungen zwangsgeräumt wurden. Das ist das neue Profil der griechischen Gesellschaft."

Menschen aus der Mittelschicht schlafen auf der Straße

Sie lagern in Seitenstraßen, führen ihre letzte Habe in Einkaufswagen mit sich, schlafen in Hauseingängen und auf Lüftungsschächten. Der orthodoxe Priester Vater Ignatius betreibt im Süden Athens ein Obdachlosenheim. "Wir haben keinen Platz. Das Problem nimmt ständig zu. Die Not ist groß, und es gibt wenig Hilfe", berichtet der Priester. So wie der Staat mit den Dingen umgehe, werde alles immer nur schlimmer.

Vieles, was der Staat gegenwärtig macht, macht er, um Auflagen der Troika zu erfüllen. Vieles macht er, weil es aufgrund der hohen Schulden, des aufgeblähten öffentlichen Sektors und der Unproduktivität Griechenlands kaum andere Möglichkeiten gibt. "Noch kommen viele in Not geratene Griechen bei Verwandten unter", sagt Bolaris. Doch je länger die Krise dauere, umso mehr greife die Armut um sich.  

"Wir denken darüber nach, mit der Hotelbranche zu kooperieren, damit die uns Hotels stellen, die wegen der Krise unterbeschäftigt sind", sagt Bolaris weiter. Es gebe Hotels, die voll möbliert, aber geschlossen seien. Die könnten kostengünstig genutzt werden, um Obdachlose aufzunehmen.

"Die Krise hat ihren Höhepunkt erreicht"

Die Obdachlosigkeit treffe alle Teile der Gesellschaft, erzählt Vater Ignatius. "Wir haben jetzt sogar viele Frauen und Kinder hier. Das ist neu. Eine alleinerziehende Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde, lebt hier in unserem Obdachlosenheim."

Griechenland muss weiter sparen. Neue Massenentlassungen stehen an. Die Arbeitslosigkeit steht offiziell bei 18 Prozent, Tendenz steigend. Markos Bolaris, der stellvertretende Gesundheitsminister, ist zweckoptimistisch. Die neue Obdachlosigkeit, so meint er, sei ein Übergangsproblem – wie auch die gesamte Krise, die sich jetzt auf dem Höhepunkt befinde. Wie lange diese Übergangszeit dauert und wohin sie letztlich führt, weiß keiner. Gegenwärtig ist ein Fünftel der elf Millionen Griechen bereits verarmt oder konkret von Verarmung bedroht.