Athener leiden unter Sparmaßnahmen "Wir haben das Ende der Fahnenstange erreicht"

Stand: 25.05.2011 03:09 Uhr

Der internationale Druck auf Griechenland wächst weiter: Das hoch verschuldete Land soll seine Reform- und Haushaltsziele erreichen. Die Bevölkerung muss mit massiven Einschnitten leben - ohne zu wissen, ob die Maßnahmen erfolgreich sein werden.

Von Steffen Wurzel, ARD-Hörfunkstudio Istanbul

Die Solonos-Straße in der Athener Innenstadt. Bis vor einigen Monaten war sie noch eine der Nummer-Eins-Adressen für alle Shoppingwütigen in der griechischen Hauptstadt: viele ältere Geschäfte mit Stammkundschaft, zahlreiche trendige, neue Boutiquen und dazu eine Menge schicke Cafés.

Viel geblieben ist davon nicht. "In vielen Geschäften hier in der Straße hängen Schilder mit dem Aufdruck: 'Alles muss raus!' oder 'Schlussverkauf! Wir können die Miete nicht mehr bezahlen'. Woran das liegt? Die Leute kaufen nicht mehr ein und die Mieten sind zu teuer", meint eine Jurastudentin. So wie ihr geht es vielen Athenern. Sie erkennen ihre Stadt nicht wieder. Der GSEE, einer der beiden großen Gewerkschaftsdachverbände des Landes, schätzt, dass jeder Grieche heute im Schnitt 20 Prozent weniger Einkommen zur Verfügung hat als vor Beginn der Schuldenkrise.

Von der Prachtstraße zum Sanierungsfall

Im Zentrum Athens ist das indirekt sichtbar: Die Leute kaufen nicht mehr ein, weil sie das wenige Geld, das am Monatsende übrigbleibt - wenn überhaupt - sparen. Allein im Großraum Athen ist der Umsatz im Einzelhandel vergangenes Jahr um etwa drei Milliarden Euro zurückgegangen. In der Solonos-Straße ist jedes dritte Geschäft oder Café geschlossen. Die Türen sind verrammelt und an den Schaufenstern hängen verschmierte Plakate.

Das Ganze sei vor allem ein psychologisches Problem, sagt Tzannimis Aris, der Besitzer eines kleinen Copyshops in der Straße. Er hat Glück, denn sein Geschäft ist mehr oder weniger krisensicher. Fotokopien und Schreibzeug, das gehe immer, sagt er. Und die Fixkosten hielten sich auch in Grenzen. Doch trotzdem ist er frustriert und ratlos: "Es ist tragisch! Sie sehen ja diese trostlose Kulisse hier. Und dann eben die Verunsicherung. Was wird uns wohl noch bevorstehen? Und das schlägt sich natürlich auch auf die Arbeit nieder. Irgendwann resignierst du, und du willst einfach nur noch hinschmeißen."

Keiner weiß, wohin der Weg führt

Es ist vor allem die ständige Unsicherheit, die viele Griechen in den vergangenen Monaten an ihre psychischen Belastungsgrenzen gebracht hat. Seit mehr als einem Jahr drückt die Regierung immer wieder neue Sparpakete durch und betont gebetsmühlenartig, die Anstrengungen seien hart, aber eben nötig um das Land zu retten. Nur ob und wann es Griechenland wirklich schafft, aus dem tiefen Tal wieder herauszukommen, das kann und will keiner sagen - weder in Athen, noch in Brüssel oder sonstwo.

Und genau das ist es, was die Leute in Griechenland frustriert - so wie Beate Liebhaber: "Wenn ich nur wüsste, was wirklich auf mich zukommt. Wenn man das aber nicht weiß, dann gibt es schlaflose Nächte." Sie war Ende der 1970-er Jahre aus der Pfalz nach Athen gezogen, seit mehr als 20 Jahren ist sie griechische Staatsbürgerin. Die ehemalige Beamtin an der Athener Universität hatte das Pech, genau zum Höhepunkt der griechischen Schuldenkrise in den Ruhestand zu gehen.

Angst um das Existenzminimum

Während ganz Europa über das große Ganze debattiert: 'Was können die Griechen noch privatisieren?' 'Was brächte eine mögliche Umschuldung?' und 'Braucht das Land neue Rettungskredite?' beschäftigt sich Beate Liebhaber mit ganz anderen Fragen. Mit konkreten Dingen, die ihr Leben betreffen: "Seit Monaten warte ich auf einen Rentenbescheid. Ich habe meine Rente eingereicht, Ende September, und seitdem warte ich darauf, dass ich vielleicht irgendwann mal Bescheid bekomme, wie viel Rente ich bekomme. Heute weiß man es nicht weil kein Mensch mehr weiß, was gekürzt wird und was nicht gekürzt wird und ich habe noch keinen Euro bekommen."

Zurzeit lebt Beate Liebhaber von ihren Ersparnissen, ab und zu schießt die Familie aus Deutschland ein bisschen Geld rüber. Die kleine Hochhauswohnung in einem Vorort von Athen kostet rund 500 Euro im Monat. Obwohl die Menschen in Griechenland seit einem Jahr weniger Geld zur Verfügung haben, sind die Kosten des täglichen Lebens nicht runtergegangen - im Gegenteil: "Früher kostete die Metro einen Euro, jetzt 1,40. Das sind 40 Prozent mehr. Was soll ich dazu noch mehr sagen? Das betrifft ganz viele Dinge im Alltag."

Keine Zukunft für die Jugend

Der große Buchladen in der Solonos-Straße in der Athener Innenstadt hat noch nicht dicht gemacht. Die Nähe zur Uni sorgt für einen gewissen Grundumsatz. Der Besitzer sieht jedoch schwarz für die Zukunft Griechenlands: "Der Sozialstaat wurde abgebaut. Und das ist sehr gefährlich. Schlimm ist es auch mit der Arbeitslosigkeit. Vor allem junge Leute sind betroffen. Hunderttausende. Für eine kurze Zeit bekommen sie Arbeitslosengeld - und danach, finito! Was dann?"

Sein Umsatz hier im Buchladen sei im vergangenen Jahr um etwa ein Drittel zurückgegangen, sagt der 70-Jährige. Das, was am Monatsende übrig bleibe, sei zu wenig zum Leben, aber zu viel zum Sterben. Deswegen müsse er auch selber immer noch hinter der Theke stehen. "Das griechische Volk kann keine zusätzlichen Maßnahmen mehr ertragen. Dieser Druck, der von den internationalen Kontrolleuren ausgeübt wird, immer neue Kürzungen und Sparmaßnahmen, das Runterfahren der Sozialleistungen und die immer schlimmer werdende Rezession - das alles sprengt den Rahmen. Wir haben das Ende der Fahnenstange erreicht!"