Hauptsitz der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt.
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Hartnäckig steigende Preise Das Thema Inflation ist noch lange nicht abgehakt

Stand: 25.01.2024 06:41 Uhr

Die Teuerung zieht in Deutschland und vielen Ländern Europas wieder an. Ob und wann es zu Zinssenkungen kommt, ist unklar. Vorerst gilt es als ausgeschlossen, dass die Europäische Zentralbank den Leitzins antastet.

Eine Analyse von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Die Wellen schlagen meterhoch, es stürmt unbarmherzig - es ist für die riesigen Containerfrachter ein Kurs durch raue Gewässer. Immer mehr Schiffe nehmen den rund 5.500 Kilometer langen Umweg um das Kap der Guten Hoffnung im südlichen Afrika in Kauf, anstatt durch den Suezkanal zu fahren. Denn jemenitische Huthi-Rebellen greifen mit aller Gewalt die Schifffahrt im Roten Meer an und machen die Fahrt zum Suezkanal gefährlich.

Die Reise rund ums Kap dauert fünf bis acht Tage länger und treibt zunehmend die Frachtraten in die Höhe - auch deshalb, weil die weltweite Logistik für rund 15 Prozent des Welthandels erneut durcheinandergewirbelt wird. So dürften in den kommenden Wochen wieder verstärkt Container in Asien fehlen, weil der Nachschub wegen des längeren Transports fehlt, warnte kürzlich etwa der Chef des Logistik-Konzerns DHL, Tobias Meyer, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Meyer weiß, wovon er spricht, denn in Corona-Zeiten löste diese Entwicklung massive Lieferengpässe aus - und damit langfristig auch steigende Preise. 

Die neuen Turbulenzen im Welthandel sind nur ein Grund für das tendenzielle Wiederanziehen der Inflation. Die weiterhin hohen Energiekosten, schlechte Ernten und die Tendenz bei vielen Unternehmen, höhere Preise zu verlangen als nötig - bekannt als "Gierflation" - treiben die Teuerung ebenso an wie höhere Steuern und deutlich gestiegene Löhne.

Teuerung in vielen Ländern hartnäckig - oder steigend

So zog die Inflationsrate in Deutschland nach hiesiger Berechnungsweise im Dezember im Vergleich zum Vorjahr auf 3,7 Prozent an nach 3,2 Prozent im Vormonat. Auch in der Eurozone legte die Teuerung wieder zu - um 0,5 Prozentpunkte auf 2,9 Prozent. Besonders stark stiegen die Preise in der Slowakei (6,6 Prozent), Österreich (5,7 Prozent) und Frankreich (4,1 Prozent). In Griechenland oder Spanien, wo man hoffte, die Lage unter Kontrolle zu haben, legt die Teuerung weiter zu oder verharrt auf hohem Niveau. Ähnlich ist die Situation in vielen anderen Ländern außerhalb der Eurozone, insbesondere in den USA und in Großbritannien.

Lebensmittelpreise ziehen wieder an

Viele Beobachter sehen keine wirkliche Entwarnung. Zwar ist der Rückgang der Inflation in der Eurozone seit dem Höhepunkt von 10,6 Prozent vor mehr als einem Jahr bemerkenswert. Doch jetzt scheint sich die Teuerung auf deutlich höherem Niveau festzusetzen als zu den Zeiten vor Corona. Der Gang in den Supermarkt oder die Fahrt an die Tankstelle bleibt für die meisten Bürgerinnen und Bürger kostspielig.

Vor allem bei Nahrungsmitteln gibt es keine Entspannung, sondern wieder anziehende Preise. Mögen die Kosten für Fernsehgeräte oder Standmixer gesunken sein - vor allem bei Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs wird weiter alles teurer. Der Rückgang der Gesamt-Inflation in den vergangenen Monaten wird für Verbraucher also kaum sichtbar.

All das zeigt: das Problem der Inflation ist noch nicht erledigt. Die Teuerung hält sich hartnäckig. Geradezu naiv war die Einschätzung der meisten Marktteilnehmer an den Aktienmärkten. Sie sahen die Phase massiv steigender Preise schon für weitgehend überwunden an, spekulierten auf baldige Zinssenkungen und trieben damit die Aktienkurse vor Weihnachten auf neue Höchststände.

Doch ob es in der Eurozone dieses Jahr überhaupt Zinssenkungen geben wird, sei noch völlig offen, stellte jetzt Robert Holzmann, Gouverneur der Österreichischen Nationalbank klar. Dafür gebe es "keinerlei Garantie". Sein Land leidet seit Monaten unter besonders hohen Preisen, insbesondere wegen der starken Abhängigkeit von Energielieferungen. "Inflationsbekämpfung gleicht einem Marathonlauf", so Holzmann, der im EZB-Rat als Hardliner gilt. "Die letzten Meter sind die schwierigsten."

Lagarde sieht weiter keinen Spielraum für Zinssenkungen

Etwas mutiger zeigte sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde in Davos - doch vor dem Sommer sieht auch sie keinen Spielraum, über Zinssenkungen zu diskutieren. "Wir befinden uns auf dem richtigen Pfad in Richtung unseres Inflationsziels von zwei Prozent", so die EZB-Chefin. "Aber wir haben es noch nicht erreicht." Und in einer Breitseite an die Anleger fügte sie hinzu: Im Kampf gegen die Inflation sei es "nicht förderlich, wenn die Erwartungen viel zu hoch" seien. EZB-Chef-Ökonom Philip Lane sieht das ebenso. Er glaubt nicht, dass die Preise in diesem Jahr mit derselben Rate und Geschwindigkeit zurückgehen wie im Vorjahr.

Vor diesem Hintergrund ist es also ausgeschlossen, dass die Währungshüter diese Woche auf der ersten geldpolitischen Ratssitzung im neuen Jahr an der Zinsschraube drehen. Auch dürften sie große Schwierigkeiten haben, schon bald das Inflationsziel von zwei Prozent zu erreichen, was die eigenen Prognosen aber ohnehin nicht vorsehen. Tatsächlich geht die EZB in diesem Jahr von drei Prozent aus und hofft, sich im kommenden Jahr der Zielmarke anzunähern.

Dramatische Folgen etwa für Baubranche

Der Druck aus vielen Branchen der Wirtschaft, die Zinsen wieder zu lockern, ist allerdings groß. Denn der hohe Leitzins von 4,5 Prozent ist mitverantwortlich für sinkende Investitionen der Unternehmen. Einen Kredit aufzunehmen ist derzeit richtig teuer. Dramatisch sind die Folgen in der Baubranche: immer mehr Projekte stehen vor dem Aus, gestiegene Finanzierungskosten haben die Nachfrage drastisch einbrechen lassen. Die Situation ist so angespannt, dass das Baugewerbe jetzt zum ersten Mal seit langem auch Entlassungen nicht mehr ausschließt - eine Entwicklung, die man vor wenigen Jahren für ausgeschlossen gehalten hätte.

Auf der anderen Seite dämpft die hohe Inflation weiterhin das Konsumverhalten der Bevölkerung, gerade in Deutschland. Das zeigt sich nicht nur am enttäuschenden Weihnachtsgeschäft. Auch die gegenwärtige Bereitschaft zum Shoppen ist sehr gering. Da aber auch der Export nicht rund läuft, trifft der schwache Binnenmarkt die deutsche Wirtschaft umso härter.

EZB vor weiterem Dilemma

Die EZB steuert somit auf ein weiteres Dilemma zu. Weil sie viel zu spät auf den Anstieg der Inflation reagiert hat, muss sie jetzt besonders hart und lange durchgreifen - damit würgt sie aber zunehmend die Erholung der Konjunktur ab. Die große Frage ist deshalb, wie konsequent die Währungshüter bei der rigiden Inflationsbekämpfung bleiben.

Viele Volkswirte argumentieren, die Zentralbank solle sich von ihrem Zwei-Prozent-Inflationsziel verabschieden. Sie werde es angesichts der veränderten Strukturen der Wirtschaft, der zunehmenden De-Globalisierung, der hohen Kosten der "grünen" Transformation und wegen der zahlreichen Krisen in der Weltwirtschaft ohnehin nicht mehr erreichen. Auch in anderen Teilen der Welt gibt es ähnliche Diskussionen.

Bislang haben sich die Notenbanker allerdings dagegen gestellt - bei der EZB wohlwissend, dass man mit einem solchen Vorhaben viel Vertrauen in der Bevölkerung zerstören würde. Auf die Diskussion angesprochen versicherte EZB-Direktorin Isabel Schnabel in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung": "Wir haben nicht die geringste Absicht, unser Inflationsziel von zwei Prozent anzutasten."

Somit kommt auf die EZB in diesem Jahr wieder einmal ein schwieriger Balance-Akt zu: die Inflation wirkungsvoll bekämpfen, die Konjunktur nicht völlig abwürgen und das Vertrauen der Bevölkerung sichern - das Vorhaben gleicht ein bisschen der Quadratur des Kreises. Aber vielleicht steht den Währungshütern ja auch das Glück bei und einige Probleme verschwinden wieder - etwa der Konflikt im Roten Meer. Dann würden zumindest die langen Schifffahrten durch die rauen Gewässer am Kap der Guten Hoffnung nicht mehr zu Buche schlagen.

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