Trotz historisch hoher Preise Entwarnung für die nächste Heizperiode?

Stand: 01.04.2022 16:10 Uhr

An den Energiemärkten sind die Preise in den vergangenen Monaten massiv gestiegen. Besonders dramatisch ist die Entwicklung beim Erdgas. Beim Blick auf den kommenden Winter wird manchem angst und bange - zu Recht?

Von Mark Ehren, tagesschau.de

Erdgas war viele Jahrzehnte günstig, doch nicht erst seit Beginn des Ukraine-Kriegs ist der Preis dramatisch gestiegen. Denn bereits in den Monaten vor dem bewaffneten Konflikte reduzierte Russland seine Gaslieferungen auf das vertraglich vereinbarte Minimum; anders als früher verkaufte das Land kein Erdgas mehr auf dem so genannten Spotmarkt, dem Markt für sehr kurzfristige Lieferungen. Die Folgen sind bis heute sichtbar: niedrige Füllstände in den Gasspeichern in Westeuropa und deutlich höhere Preise als gewohnt.

In den Niederlanden wird der Preis gemacht

Doch in welcher Verfassung ist eigentlich der europäische Erdgasmarkt? Auskunft gibt der so genannte "Title Transfer Facility”, kurz TTF. Dabei handelt es um einen virtuellen Handelspunkt im niederländischen Gasnetz, über den Erdgas für die Niederlande an den Terminbörsen in London und Chicago gehandelt wird. Dieser wird von den Marktteilnehmern in vielen europäischen Ländern als ein so genannter Referenzmarkt betrachtet. Die Preise, die sich dort bilden, sind oftmals die Basis für Erdgaspreise auch in anderen europäischen Ländern - kein Wunder, sind sie doch über ihre Gaspipelines miteinander verbunden.

In diese Preisbildung gehen die Erwartungen aller Marktteilnehmer ein, die die TTF-Terminkontrakte handeln. Ein wichtiger Teil besteht dabei aus professionellen Marktteilnehmern, die eben gerade nicht aus Spekulationsgründen, sondern aus Gründen der Absicherung und der damit verbundenen besseren Planbarkeit am Markt aktiv sind. Dazu gehören auf der einen Seite Erdgasproduzenten, die ihr Produkte auf Termin verkaufen; auf der andere Seite stehen Verbraucher von Erdgas wie Energiekonzerne oder Industrieunternehmen, die ihren Bedarf im Vorfeld zu festen Preisen absichern wollen, um Planungssicherheit zu haben.

Winter nicht teurer als der Sommer

Rund eineinhalb Wochen nach Beginn des Ukraine-Kriegs herrschte Panik am Markt, der Preis für kurzfristig verfügbares Erdgas sprang auf bis dato nicht gesehene Höhen. Erst bei rund 350 Euro je Megawattstunde drehte der Markt wieder nach unten.

Mittlerweile hat sich der Preis für kurzfristig verfügbares Erdgas im Bereich von 100 bis 130 Euro je Megawattstunde eingependelt - immer noch viel im Vergleich zu früheren Jahren, aber deutlich weniger als bei den Höchstpreisen. Auch für die weiteren Frühlings- und Sommermonate befinden sich die Notierungen in diesem Bereich, obwohl der Erdgasverbrauch insbesondere im Gebäudesektor wegen der stark sinkenden Heizlast in kommenden Monaten zurückgehen wird. Offenbar geht der Markt davon aus, dass die Erdgasnachfrage hoch bleiben wird, um beispielsweise die im historischen Vergleich nur gering gefüllten europäischen Erdgasspeicher wieder aufzufüllen.

Bei den Erdgas-Notierungen für den kommenden Winter wird derzeit sogar ein etwas geringerer Preis aufgerufen als für die bevorstehenden Sommermonate. Der Markt geht also davon aus, dass die Versorgung für die kommende Heizperiode nicht gerade üppig, aber auch nicht extrem knapp ausfallen wird.

Mehr sparen, mehr liefern

Auf der einen Seite unterstellt der Markt damit offenbar, dass die aktuelle Diskussion über die Bezahlung der russischen Erdgaslieferungen in Rubel zumindest zufriedenstellend gelöst werden wird und damit kein umfassender Lieferstopp aus Russland bevorsteht.

Auf der anderen Seite gehen die Marktteilnehmer möglicherweise davon aus, dass die Nachfrage ebenfalls sinken wird; etwa durch Sparmaßnahmen, indem zum Beispiel Erdgas in der Stromproduktion durch Braun- und Steinkohle ersetzt wird. Immerhin wurden im Jahr 2020 rund 14 Prozent des Erdgases in Deutschland verstromt - das Sparpotenzial ist also in diesem Bereich enorm. Auf der anderen Seite erscheinen zusätzliche Lieferungen von verflüssigtem Erdgas (LNG) nach Westeuropa ebenfalls wahrscheinlich.

Der Erdgasmarkt bleibt also angespannt, von Panik in Bezug auf den kommenden Winter ist aber derzeit nichts zu sehen. Neue, jederzeit mögliche Winkelzüge des Kremls sind natürlich in den aktuellen Preisen noch nicht enthalten.

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