Auf einem Tank einer Wasserstofferzeugungsanlage ist ein Aufkleber mit der Aufschrift „Wasserstoff“ angebracht.

Klimaneutrale Zukunft Gelingt die Wasserstoff-Wende?

Stand: 07.07.2023 08:15 Uhr

Ohne Wasserstoff keine Klimawende - denn Verkehrssektor und Industrie sind auf den Energieträger angewiesen. Einige Unternehmen wittern hier ihre Chance - sie wollen das begehrte Gut produzieren.

Von Sonja Kolonko, WDR

Alexander Voigts "neues Zuhause" ist der ausgediente Flughafen Berlin Tegel. Von hier aus will er mit seinem Unternehmen HH2E in die Serienproduktion von Elektrolyseuren einsteigen. Um genau zu sein: Voigt kauft alte Kraftwerksstandorte und baut dort Wasserstoffkraftwerke, die mithilfe Erneuerbarer Energien in großem Stil Wasser zu Sauerstoff und den begehrten Grünen Wasserstoff aufspalten. Lange Zeit galt das als unrealistisch, weil es zu wenig Erneuerbare Energien gab. Das ändert sich langsam.

Ökopionier will Energiewende ermöglichen

Gerade im Osten des Landes verpuffen zu Spitzenzeiten derzeit schon mehr als 30 Prozent des Stroms aus Wind und Sonne ungenutzt, weil die Stromnetze so viel Energie nicht aufnehmen können. Genau hier setzt Voigts Geschäftsidee an: Er zapft die überschüssige Energie ab, speichert sie in Batterien und betreibt damit die Elektrolyseure. Bis 2030 will er vier Gigawatt (GW) Grünen Wasserstoff produzieren.

Das wäre fast die Hälfte dessen, was sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag als Zielmarke gesetzt hat: Zehn GW Grünen Wasserstoffs sollen bis 2030 im eigenen Land produziert werden. Wie das gelingen kann, soll eine in den nächsten Wochen erscheinende "Nationale Wasserstoffstrategie" verraten, verspricht der zuständige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Peer Stefan Wenzel. Bekannt ist nur so viel: Die zehn GW decken nur etwa 30 Prozent des Energiebedarfs der heimischen Industrie. Der Rest muss importiert werden.

Vieles steht bislang nur auf dem Papier

Falko Ueckerdt vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung hat sich in einer Studie angeschaut, wie realistisch es ist, dass Deutschland und Europa ihre Wasserstoffziele erreichen - und er ist skeptisch: Denn bis zu 90 Prozent aller Wasserstoffprojekte existieren bislang nur auf dem Papier, finale Investitionsentscheidungen fehlen.

Alexander Voigt hat schon investiert: 250 Millionen pro Kraftwerksstandort, also insgesamt eine Milliarde Euro. Doch das reicht nur für die ersten 100 Megawatt (MW) Elektrolyseleistung pro Standort; um jeden Elektrolyseur auf ein GW zu skalieren, müsste er weitere eineinhalb Milliarden Euro pro Standort investieren.

Weitere Investitionen hängen also auch bei ihm davon ab, wie sich das Umfeld entwickelt - also von der Frage, wie schnell es ein Pipeline-Netz gibt, das seinen Wasserstoff zum Kunden bringt und wie schnell seine Kunden ihre Prozesse auf Grünen Wasserstoff umstellen.  

Die Stahlindustrie braucht Grünen Wasserstoff

Allein die Stahlindustrie in Deutschland ist für sieben Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Darum hat die Salzgitter AG einen Plan erarbeitet, wie sie bis 2030 nahezu CO2-frei Grünen Stahl produzieren will: Die drei Hochöfen am Standort Salzgitter sollen durch Direktreduktionsanlagen und einen Elektrolichtbogenofen ersetzt werden, die mit Grünem Wasserstoff laufen.

Sogar den Wasserstoff produzieren sie schon mit einem eigenen Elektrolyseur, wobei der nur zehn Prozent des späteren Bedarfs decken dürfte - auch die Salzgitter AG ist also darauf angewiesen, dass möglichst schnell ein Pipeline-Netz gebaut wird, das ihnen Grünen Wasserstoff in großen Mengen nach Salzgitter liefert.

Kernnetz kommt bis 2032

Studien zeigen, dass für den Transport von Grünem Wasserstoff das bestehende Erdgasnetz genutzt werden kann. Allerdings ist Wasserstoff ein wesentlich kleineres und reaktiveres Molekül als Erdgas. Darum müssen die Netze umgerüstet werden - und das kostet: rund 30 Milliarden Euro.

Nachdem man sich lange darüber stritt, wer die Kosten für diesen Umbau tragen soll, einigte man sich Ende Mai auf einen Gesetzesentwurf zur Schaffung eines Wasserstoff-Kernnetzes. 2032 soll das Netz in Betrieb gehen - also zwei Jahre später als bis zum Erreichen des Wasserstoff-Ziels. Staatssekretär Wenzel erklärt dazu lediglich, dass einzelne Netzabschnitte früher in Betrieb gehen dürften.

Volle Kraft voraus für Wasserstoff?

Die Schwierigkeit liege darin, dass man es mit einer "mehrfachen Henne-und-Ei-Situation" zu tun habe, sagt Experte Ueckerdt vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Ein Hochlauf der Wasserstoffproduktion gelinge nur, wenn die Erneuerbaren Energien schnell genug ausgebaut würden. Zeitgleich müsse aber auch die Netzinfrastruktur ausgebaut werden; außerdem müsste sich die Industrie parallel ebenfalls auf Grünen Wasserstoff umstellen. Solange jeder Marktteilnehmer noch abwarte, was die anderen machten, passiere zu wenig.

Zwar gibt es viele Bemühungen seitens des Staates, den parallelen Markthochlauf mit Subventionen und staatlichen Regulierungen zu unterstützen, aber da liege ein weiteres Problem, so Katherina Reiche. Sie ist Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrats, einem Gremium unabhängiger Experten, das die Regierung bei der Umsetzung der Wasserstoffstrategie berät. Denn in Deutschland müssten für jedes Vorhaben einzeln Förderanträge eingereicht werden, die dann lange und aufwändig von der EU geprüft würden.

Reiche empfiehlt, sich an den USA zu orientieren: Der dort vor kurzem aufgesetzte Inflation Reduction Act belohne jedes eingesparte Kilogramm CO2 mit einer Steuergutschrift. Das sei einfach umzusetzen und fördere alle Teilmärkte - also den Ausbau der Erneuerbaren, die Wasserstoffproduktion und die Industrie, die durch Grünen Wasserstoff CO2 einspare - gleichzeitig.

Bislang sieht es allerdings nicht so aus, als würde Deutschland dem Expertinnenrat folgen. Genaueres liefert womöglich die "Nationale Wasserstoffstrategie" innerhalb der kommenden Wochen.