Europäische Zentralbank Teil des Problems oder Teil der Lösung?

Stand: 07.09.2016 16:23 Uhr

Die Europäische Zentralbank versucht, den Euroraum mit einer lockeren Geldpolitik zu stabilisieren, doch die Kritik der Banken wird schärfer. Die EZB würde das Fundament für die nächste Wirtschaftskrise legen, heißt es.

John Cryan ist kein Mann, der die Öffentlichkeit um jeden Preis sucht. Der 55-jährige Chef der Deutschen Bank arbeitet lieber im Stillen und hat derzeit alle Hände voll zu tun, sein angeschlagenes Institut auf Vordermann zu bringen.

Doch wenn der Brite vor die Kameras tritt oder zum Kugelschreiber greift, wählt er - ziemlich unbritisch - deutliche Worte: Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank verursache derzeit mehr Schaden als Nutzen, sagte er kürzlich im Rahmen einer Bankenkonferenz in Frankfurt am Main.

Zwar habe die EZB in der Krise viel getan, um Europa zu stabilisieren, "inzwischen wirkt die Geldpolitik aber den Zielen entgegen, die Wirtschaft zu stärken und das europäische Bankensystem sicherer zu machen".

"EZB legt Fundament für nächste Krise"

Der oberste Chef der deutschen Sparkassen, Georg Fahrenschon, ist bekannt für klare Worte. Er ging sogar noch weiter als Cryan. Mario Draghi lege mit seiner Geldpolitik das Fundament für die nächste Wirtschaftskrise, so Fahrenschon. Wenn man Marktmechanismen außer Kraft setze, Wertpapiermärkte beschädige und Regulierungskosten erhöhe, könne man nicht erwarten, dass die Kreditinstitute glänzend dastünden.

Die Kritik der Banken an der lockeren Geldpolitik der EZB wird immer schärfer. Die Institute ächzen unter dem weggebrochenen Einlagengeschäft und unter hohen Kosten durch Strafzinsen. Gleichzeitig zieht die Bankenaufsicht der EZB die Daumenschrauben immer stärker an, fordert höhere Rücklagen und bessere Absicherung. Damit sinkt die Profitabilität. Immer mehr Institute geraten dadurch in Schieflage.

Offen fordert der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, der Steuerzahler solle erneut einspringen, um die Branche zu retten. Dabei ist der Steuerzahler durch die EZB-Politik schon gebeutelt genug: Er erhält keine Zinsen mehr für sein Erspartes und muss um seine Altersvorsorge bangen. Pensionskassen und Versicherungen haben immer mehr Probleme, die versprochen Leistungen zu erwirtschaften. Alle nicht garantierten Überschüsse und Sonderleistungen sind ohnehin schon passé.

Die Immobilienblase wächst

Gleichzeitig hält der Run auf den Immobilienmarkt mit exorbitanten Preissteigerungen an und die Immobilienblase wird immer größer - auch wenn keiner sie so nennen will. Dadurch steigt die Verschuldung der privaten Haushalte, ein zentraler Grund für die Finanzkrise von 2008/2009.

In dieser Woche durchbrach das Volumen der Anleihekäufe der EZB die Schallmauer von einer Billion Euro: eine Eins mit zwölf Nullen. Dieses Volumen ist größer als die Anleihe-Käufe der amerikanischen Federal Reserve. Trotz dieser Riesensumme ist das Ergebnis der EZB-Politik dürftig: Die Inflationsrate ist weit entfernt vom angestrebten Ziel, das bei knapp zwei Prozent liegt. Im August lag sie im Euroraum bei nur 0,2 Prozent. Rechnet man die Energiepreise heraus, fiel sie sogar.

Auch die Wirtschaft entwickelt sich in den meisten Ländern schwach. Zwar gibt es in einigen Staaten Erfolge, wie etwa in Spanien. Doch unter dem Strich erleben die Menschen keine spürbare Verbesserung, die Arbeitslosigkeit im Euroraum-Durchschnitt verharrt bei rund zehn Prozent. Einen wirklichen Durchbruch haben sieben Jahre lockere Geldpolitik bislang nicht gebracht.

Verlängert EZB Programm zum Ankauf von Anleihen?

EZB-Chef Draghi sieht das allerdings anders. Er hält seine Politik für erfolgreich und will unvermindert daran festhalten. Er liebäugelt sogar damit, die außerordentlichen Maßnahmen noch einmal zu verschärfen. Eigentlich war das laufende Programm zum Kauf von Anleihen bis zum März kommenden Jahres angelegt. Nun glauben Beobachter, dass die EZB den Zeitrahmen deutlich erweitern wird. Viele setzen darauf, dass Draghi dies bereits auf der EZB-Ratssitzung diese Woche durchsetzen und danach bekannt geben wird. Das monatliche Kauf-Volumen von 80 Milliarden Euro wird vermutlich aber nicht erhöht.

Für die Währungshüter wird es allerdings immer schwieriger, überhaupt genug passende Anleihen zu finden. Spätestens im Frühjahr nächsten Jahres erwarten Fachleute einen Engpass. Nach den selbst gesetzten Regeln darf die EZB nur Anleihen kaufen, deren Verzinsung höher liegt als der gegenwärtige Einlagezins von minus 0,4 Prozent. Das Beispiel deutscher Bundesanleihen macht deutlich, wie schwierig das ist. Nach Schätzungen der britisch-chinesischen Bank HSBC kommen rund 60 Prozent der auf dem Markt befindlichen Bundesanleihen nicht mehr in Frage, weil ihre Rendite darunter liegt.

Auch das Angebot auf dem Markt für Firmenanleihen, die die EZB seit einiger Zeit ebenfalls kauft, wird knapp. Die Verzerrungen in diesem Segment sind gewaltig und wirtschaftlich ungesund. Umso mehr lassen daher Überlegungen aufhorchen, die EZB könnte in ihrer Not auch Produkte am Aktienmarkt kaufen. Spekuliert wird über Indexfonds, also Anlagen, die sich an der Entwicklung von Aktienindices, etwa dem Deutschen Aktienindex, orientieren. Damit würden Papiere, die in den Indices enthalten sind, verstärkt gekauft. Ihre Kurse würden künstlich noch weiter nach oben getrieben. Auch die Blase am Aktienmarkt würde immer größer.

Konjunkturprogramm für alle Spekulanten

Unter dem Strich zeigt diese Entwicklung, dass der EZB, trotz aller gegenteiliger Beteuerungen, zunehmend die Instrumente ausgehen. Sie kann zwar ihre Maßnahmen weiter verschärfen und sich neue Varianten ausdenken. Sie greift damit aber immer stärker in die  Mechanismen der Finanzmärkte ein und setzt sie teilweise sogar außer Kraft. So gibt es etwa sehr schwere Störungen an den Anleihemärkten. Sollte die EZB tatsächlich direkt oder indirekt am Aktienmarkt eingreifen, wäre dies ein kostenloses Konjunkturprogramm für alle Spekulanten - mit unabsehbaren Folgen.

Gleichzeitig haben die Politiker in Brüssel und in den Nationalstaaten die viele Zeit, die ihnen die EZB mit ihren Maßnahmen erkauft hat, nicht genutzt. Nirgendwo in Europa gibt es wirksame strukturelle Reformen, die die Wirtschaft voranbringen. Nirgendwo gibt es Ansätze, die den Euroraum als Ganzes stärken. Die Chef-Etage der EZB schaut mit Verzweiflung und Verärgerung auf diese Situation. Die europäischen Staaten hätten sich bislang lediglich zu "halbgaren und halbherzigen Strukturreformen" durchringen können, kritisierte etwa EZB-Direktoriumsmitglied Benoit Coeuré auf der Notenbank-Konferenz im amerikanischen Jackson Hole.

Für den Euroraum kann das langfristig nichts Gutes bedeuten. Eine Währungsunion, die nur mit Stützungsmaßnahmen zusammen gehalten wird, hat dauerhaft kaum Überlebenschancen. In einem haben Cryan, Fahrenschon und Co. Recht: Die Geldpolitik der EZB legt derzeit das Fundament für gravierende Probleme in der Zukunft, die uns alle betreffen und für die wir alle im schlimmsten Fall teuer zahlen müssen. Ein Überdenken der lockeren Geldpolitik und etwas mehr Selbstkritik der EZB wären mehr als angebracht.

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